Fachkräftequote in Hamburgs Pflegeheimen: Kümmert euch um die Pflege!
Die Hälfte aller Arbeitskräfte in Pflegeheimen müssen Fachkräfte sein. Hamburg will die Regel nun „flexibilisieren“. Verständlich ist das, gut nicht.
E s klingt nach einem verzweifelten Schritt: Hamburg will die Fachkraftquote in Pflegeheimen senken. Der Grund: natürlich wie immer der Fachkräftemangel. Damit titelten das Hamburger Abendblatt und der NDR am Montag.
Auf Anfrage der taz schwächt die Sozialbehörde die Nachricht ein wenig ab. Eine generelle Absenkung der Fachkraftquote sei nicht geplant. Aber die Behörde will die „Anforderungen an die Personalausstattung“ in der vollstationären Pflege „flexibilisieren“.
Was heißt das konkret? Im Moment muss jede zweite Arbeitskraft in Hamburger Pflegeheimen eine Fachkraft sein. Alle weiteren Arbeitskräfte dürfen Hilfskräfte beziehungsweise Pflegeassistent*innen sein. Diese Regelung führt aktuell in Hamburg dazu, dass gut 1.300 Pflegeplätze gesperrt sind, weil der Fachkräfteschlüssel für diese Plätze sonst nicht eingehalten werden könnte.
Die Behörde will diesen Schlüssel nun „nicht generell“ absenken, aber sie will es möglich machen, dass dieser Schlüssel nicht mehr ganz so streng gehandhabt wird. So soll es den Heimen beispielsweise möglich gemacht werden, zu bestimmten Zeiten, etwa in der Nacht, mit weniger Fachkräften und dafür mehr Pflegeassistent*innen zu arbeiten.
Schlechte Arbeitsbedingungen
Wie die neue Regelung genau formuliert sein soll, ist noch nicht klar. In Kraft treten soll sie aber laut Sozialbehörde spätestens Ende Juni. Die Betreuungsqualität solle darunter nicht leiden, betont die Behörde.
Sozialverbände haben diese Maßnahme schon länger gefordert. Und für Menschen, die gerade dringend auf einen Pflegeplatz für sich oder ihre Angehörigen warten, ist das sicherlich auch eine gute Nachricht. Und natürlich kann man dem Land nicht vorwerfen, dass es versucht, dringend benötigte Pflegeplätze zu schaffen.
Aber ob dieser Schritt, der ein Symptom der eklatanten Pflegekrise ist, in dieser Situation der richtige ist, lässt sich trotzdem bezweifeln. 2021 hat eine Studie aus Bremen ergeben, dass Pflegekräfte vor allem deshalb in Teilzeit gehen, weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind. Denn die Fachkräfte sind oft überlastet. Dienstpläne und Schichtsysteme sind nicht arbeitnehmer*innenfreundlich. Oft müssen Pflegekräfte kurzfristig einspringen. Die Krankenstände sind hoch.
Dass die Arbeitsbedingungen und die Belastung in der Pflege besser werden, wenn sich weniger Fachkräfte die gleiche Verantwortung teilen, ist unrealistisch. Hilfs- und Assistenzkräfte in der Pflege haben aufgrund ihrer Ausbildung weniger Kompetenzen als Fachkräfte. Das heißt aber auch, dass im Zweifel für bestimmte Tätigkeiten doch eine Fachkraft hinzugezogen werden muss.
Zudem schafft die Regelung mehr schlecht bezahlte Jobs, weil die Assistenzkräfte weniger verdienen. Den Teufelskreis von schlechten Arbeitsbedingungen und Fachkräftemangel wird die geplante „Flexibilisierung“ ganz sicher nicht aufhalten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ungerechtigkeit in Deutschland
Her mit dem schönen Leben!
Der Check
Verschärft Migration den Mangel an Fachkräften?
Kompromiss oder Konfrontation?
Flexible Mehrheiten werden nötiger, das ist vielleicht gut
Überraschende Wende in Syrien
Stunde null in Aleppo
Liberale in der „D-Day“-Krise
Marco Buschmann folgt Djir-Sarai als FDP-Generalsekretär
Trumps Wiederwahl
1933 lässt grüßen