FPÖ vor den Nationalratswahlen: Kickl, Corona und der Guru
Corona ist das Thema der rechtsradikalen FPÖ, die in Österreich wohl Wahlsieger wird. Mitten im Wahlkampf lädt sie Maßnahmengegner Bhakdi ein.
Im Wiener Lugner Kino ist das an diesem Dienstagabend keine Position für Außenseiter. Sondern das, was die FPÖ in ihrer Blase an Partei- und Alternativmedien seit Jahren hinaus posaunt. Die Rechtsaußenpartei steht kurz davor, die Nationalratswahl diesen Sonntag zu gewinnen, Umfragen zufolge mit knapp 30 Prozent. Der Ibiza-Skandal von 2019, der die Regierung Kurz–Strache platzen ließ, ist längst vergessen. Nicht aber die Pandemie.
Auch wenn die FPÖ jene Partei war, die im März 2020 noch vor der schwarz-grünen Regierung einen harten Lockdown forderte. Aber auch darüber spricht keiner mehr. Bald hatte die FPÖ die Gunst der Stunde erkannt, stellte sich gegen fast alle Coronamaßnahmen, organisierte Massenproteste. Auch Kickl selbst demonstrierte mit und inszenierte sich als Freiheitskämpfer.
Der Zorn über die damalige Regierung, vor allem über Kanzler Karl Nehammer und die drei wechselnden grünen Gesundheitsminister, ist geblieben. Das wird an diesem Abend klar. „Corona – Wir haben nicht vergessen“ prangt von der Leinwand in großen Lettern, daneben stehen die Fahnen aller österreichischen Bundesländer. Die Veranstaltung ist ein inoffizieller Höhepunkt des FPÖ-Wahlkampfs. Parteivorsitzender Herbert Kickl ist zwar nicht dabei, dafür aber mehrere Parlamentsabgeordnete, FPÖ-Generalsekretär Michael Schnedlitz sowie Stargast Sucharit Bhakdi.
Standing ovations für Bhakdi
Der deutsche Mediziner und Mikrobiologe mit thailändischen Wurzeln ist seit 2012 im Ruhestand – und machte sich als Maßnahmengegner einen Namen. Er stellte, wider alle Evidenz, die Gefährlichkeit des Virus in Frage und behauptete, die Sterberate sei viel niedriger als offiziell angegeben. Impfstoffe kritisierte er vehement.
Der Kinosaal ist bis zum letzten Platz gefüllt. „Und die Schwurbler hatten doch recht“, steht auf den T-Shirts einiger Besucher:innen. Der Beginn verzögert sich, Bhakdis Flug ist verspätet, doch das schadet der Stimmung nicht. Popcorn, Nachos und Getränke von der Kinobar gehen auf FPÖ-Rechnung – das kommt gut an. Vor dem Saal ist ein Bücherstand, zu erwerben gibt es neben Werken wie „Lockdown-Schicksale: Das verschwiegene Leid der Corona-Politik“ auch Bücher zu den Themen „Genderismus“ und „Wokeness“.
Als Bhakdi, der später noch Bücher verkaufen und signieren wird, den Saal betritt, springen etliche auf, applaudieren minutenlang. Dann gibt Leo Lugner, Schwiegersohn des verstorbenen Baumeisters und FPÖ-Lokalpolitikers den Einpeitscher. In der ersten Reihe begrüßt er Martin Rutter und Hannes Brechja, zwei der Gallionsfiguren der Wiener Coronaproteste ohne Berührungsängste zum Rechtsextremismus. „Es war so wichtig, dass ihr damals alle auf die Straße gegangen seid. Dass ihr die Ungerechtigkeit aufgezeigt habt, die von der Bundesregierung ausgegangen ist.“
Gemeint sind die vielfachen Lockdowns und vor allem die im Januar 2022 eingeführte Impfpflicht – ein Resultat der niedrigen Impfquote Österreichs. Mehrfach hat die Regierung, auch aus parteitaktischen Überlegungen heraus, zu lange gewartet, anstatt frühzeitig zu reagieren. Dann wurden umso härtere Maßnahmen notwendig, um Schlimmeres zu verhindern.
Wahlkampf für die FPÖ
Auch die überhastet eingeführte Impfpflicht gehört dazu. In Kraft war sie ohnehin nie, bevor sie im Juli 2022 wieder offiziell abgeschafft wurde. Ein Erfolg, den sich die Maßnahmengegner auf ihre Fahnen schreiben. Nach knapp einer Stunde kommt Bhakdi ans Podium. Wieder tosender Applaus. Dann erzählt er, wie er als Kind lernte, was Menschlichkeit bedeutet. Die anfangs positive Erzählung schlägt aber schnell um.
„Wo Gewalt angewendet wird, da verschwindet die Menschlichkeit. Wo und wann ist in der Geschichte der Menschheit so viel Gewalt – körperlich, mental, verbal – angewandt worden?“, fragt Bhakdi. Zwei Sätze weiter leitet er dann zu den „RKI-Files“ über, also den Protokollen des Krisenstabs am Robert Koch Institut.
Die Entscheidungsträger – er adressiert explizit die deutsche Bundesregierung und die Europäische Kommission – hätten das „größte Menschenexperiment der Menschheitsgeschichte“ durchgeführt, sagt Bhakdi. Und zwar „wider besseres Wissen“. Die „Systemmedien“ hätten bereitwillig mitgemacht. Dieser Tonfall zieht sich durch den gesamten Abend. Und eine Botschaft wird auch im Vortrag Bhakdis klar: Nur eine Stimme für die FPÖ kann dafür sorgen, dass die letzten Jahre aufgearbeitet werden. „Ich verspreche euch, wenn es jetzt keinen Systemwechsel gibt, wird es bald wieder losgehen: Coronatests, Maskenpflicht, Impfungen“, wird ein späterer Redner sagen.
Ein Gegenpol für alle
„Amen“, murmelt ein älterer Herr im Kinosaal mehrmals während der Vorträge. Er hat seinen Frieden im Glauben und in der Kirche gefunden, „anders hätte ich das alles gar nicht überstanden“. Was er damit meint? Die Einsamkeit während der Pandemie. Die Probleme im Gesundheitssystem. Die Verzweiflung, wenn man nicht mehr weiß, was man glauben soll, wie er sagt.
Er steht vielleicht symptomatisch dafür, wie die FPÖ so beliebt werden konnte. Wenn sie am Sonntag triumphiert – und alle Umfragen deuten darauf hin – dann nicht vor allem wegen ihres Kernthemas, der Migration. Sondern wegen des verschwundenen Vertrauens in Politik, staatliche Institutionen, Medien. Die einst monothematische Partei bot all jenen, die sich verraten und verlassen fühlten, einen Gegenpol. Damit hat die FPÖ ein Alleinstellungsmerkmal.
Viele von Kickls Anhängern verehren ihn, überhöhen ihn gar, ähnlich wie man es zuletzt bei Sebastian Kurz gesehen hat. Der jüngste Außenminister und Kanzler Österreichs führte die ÖVP in lichte Höhen. Bevor es zum tiefen Fall kam.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Kampf gegen die Klimakrise
Eine Hoffnung, die nicht glitzert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Zweite Woche der UN-Klimakonferenz
Habeck wirbt für den weltweiten Ausbau des Emissionshandels
Krieg in der Ukraine
Biden erlaubt Raketenangriffe mit größerer Reichweite
Angeblich zu „woke“ Videospiele
Gamer:innen gegen Gendergaga
Haldenwang über Wechsel in die Politik
„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“