FDP-Politiker über Mali nach dem Putsch: „Den Schwung des Moments nutzen“
Deutschland sollte den Umsturz begrüßen und seine Politik in Afrika besser europäisch abstimmen, sagt der Entwicklungspolitiker Christoph Hoffmann.
taz: Herr Hoffmann, Sie haben als erster Bundestagsabgeordneter seit dem Militärputsch Mali besucht. Was war Ihr Eindruck?
Christoph Hoffmann: Es ist sehr ruhig. Die Bevölkerung trägt den Putsch und es bestehen jetzt große Hoffnungen, mit der Übergangsregierung in bessere Zeiten zu kommen. Der Staat stand kurz vor der Implosion, weil die Krake Korruption alles durchdrungen hat. Wenn für die Bürger keine Sicherheit, keine Schule, kein Richter mehr da ist, ist der Vertrag zwischen Bürger und Staat erloschen und es geht in Richtung Failed State. Das war das Problem. Deswegen spricht die westafrikanische Regionalorganisation Ecowas heute von einem rettenden Putsch, obwohl sie ihn erst mal verurteilt hatte. Die Ecowas hat relativ schnell die Volte gemacht. Die deutsche Bundesregierung noch nicht.
Vor Ihrer Reise haben Sie gesagt, Deutschland solle die Entwicklungszusammenarbeit mit Mali aussetzen. Sehen Sie das immer noch so?
Nein, nicht mehr. Es gibt nun eine Übergangsregierung. Entwicklungszusammenarbeit macht nur Sinn, wenn die betroffene Regierung sich für gute Regierungsführung und Freiheit ausspricht. Ohne Transparenz und Rechtsstaatlichkeit versickert die Hilfe in den falschen Taschen und kommt nicht bei den Menschen vor Ort an. Ich denke, der Moment ist jetzt da, wo man umsteuern muss. Humanitäre Programme und die für Landwirtschaft können regierungsunabhängig weiterlaufen. Deutschland hat schon lange Programme für gute Regierungsführung und Dezentralisierung in Mali – die sollte man schnell ergänzen. Denn da geht jetzt ein Fenster auf, in dem man den Schwung des Moments nutzen kann, um die Regierung zu stärken hinsichtlich Transparenz und Digitalisierung der Ministerien. Nur so kann das Vertrauen der Menschen zum Staat wiedergewonnen werden.
62 Jahre, entwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Der gelernte Forstwirt hat 1995-97 in Elfenbeinküste gearbeitet, sitzt seit 2017 im Bundestag, unter anderem als Obmann des Beirats für nachhaltige Entwicklung. Vom 20. bis 24. September besuchte er Mali.
Deutschland sollte sich also jetzt mehr engagieren als vorher?
Es gibt eine Chance, den Failed State abzuwenden und den idealistischen Moment zu nutzen, den diese jungen Offiziere mitbringen. Da ist ein Nationalstolz dabei: das ist unser Land, das lassen wir nicht untergehen. Der Menschenrechtsbeauftragte der UN-Mission sagte mir: Ich kenne diese jungen Offiziere, sie haben mir damals geholfen, Menschenrechtsverletzungen durch die Armee aufzuklären. Er hat die Hand ins Feuer gelegt für die.
Kann der Bundeswehreinsatz in Mali weitergehen wie bisher?
Für den Minusma-Chef in Mali ist völlig klar, dass die UN-Mission ohne die Bundeswehr kaum stattfinden kann. Er wollte eher mehr davon. Auch die Bundeswehrsoldaten vor Ort sagen: Ohne die UN-Mission, ohne uns bricht das Land zusammen und das fällt uns dann in Europa auf die Füße, weil die Migrationsströme einsetzen, wenn der Staat zerfällt. Hier geht es dabei nicht darum, Geflüchtete zurückzuweisen, sondern Fluchtursachen zu bekämpfen. Es ist arrogant anzunehmen, jeder wolle nach Deutschland. Es müssen Strukturen geschaffen werden, sodass die Menschen eine Perspektive haben, in ihrem Land bleiben zu wollen und in ihrem Land etwas bewegen zu können. Das geht nur mit guter Regierungsführung.
Die FDP hat eine neue Afrikastrategie vorgelegt, die eine gemeinsame europäische Strategie für Afrika fordert, in die sich auch Deutschland einfügt. Was hieße das in Bezug auf Mali?
Bisher hat die europäische Entwicklungszusammenarbeit getrennt gewirkt, oft geleitet von Eigeninteressen. Erfolg hieß: Geld ausgeben. Jede Nation hat sich selbst gefeiert. Wenn Entwicklungsminister Müller sagt, mein Haushalt ist um das Dreifache gewachsen, ist es ein Erfolg – innenpolitisch, aber nicht unbedingt vor Ort. Wenn die politische Maxime Geldausgeben ist, kommen verschiedene Nationen mit einem Geldkoffer und sagen: Ich hätte hier ein Projekt für dich. In Mali standen viele Geldgeber in Reih und Glied, aber wir haben es nicht fertiggebracht, dass der gestürzte Präsident wirklich in Richtung gute Regierungsführung gegangen ist. Warum kann man nicht sagen: Voraussetzung für Entwicklungszusammenarbeit muss gute Regierungsführung sein, sonst wird alles Geld nicht funktionieren. Um gute Regierungsführung besser zu konditionieren, dazu brauche ich einen gesamteuropäischen Ansatz mit klaren Grundsätzen. Eine europäische Lösung heißt somit auch für mich, dass der Afrikabeauftragte Nooke nicht in den Kongo reisen kann und Sachen im Namen der Bundesregierung verspricht, und das weder mit der Regierung noch mit Partnerländern abgesprochen ist.
Aber wenn man der Einzige ist, der eine geeinte Strategie will, gibt es keine. In Mali ist Frankreich der dominante Akteur, auch militärisch.
Bei Macron ist Offenheit da und Frankreich ist ganz froh, wenn es aus dieser postkolonialen Rolle rauskommt. Da kann Deutschland ganz gut eintreten, denn wir sind in Mali sehr anerkannt. Die Bundesrepublik war das erste Land, das Mali nach der Unabhängigkeit anerkannt hat. Wir machen sehr lange kontinuierlich Entwicklungszusammenarbeit mit Mali, wir werden anders gesehen und akzeptiert als die Franzosen. Das birgt eine Chance. Es geht bei Europäisierung nicht um eine neue europäische Entwicklungsorganisation, sondern dass man sich die Aufgaben teilt.
Gewählter Präsident gestürzt: Am 18. August verhafteten Soldaten Malis Präsident Ibrahim Boubacar Keita. Der erklärte daraufhin seinen Rücktritt. Eine Militärjunta unter Oberst Assimi Goita, Kommandeur der malischen Spezialkräfte, ergriff die Macht und setzte am 25. September den pensionierten General Bah Ndaw als Übergangspräsidenten ein. Er bildete diese Woche eine Übergangsregierung.
Gewalt und Korruption: Ein Grund für den Putsch war Korruption im Militär unter Beteiligung des Umfeldes von Präsident Keita. Dadurch gerieten große Landesteile unter Kontrolle bewaffneter Gruppen und die Bevölkerung wurde immer unzufriedener.
Heißt das, die deutsche Bundesregierung agiert in Afrika zu wenig europäisch?
Absolut! Schauen Sie sich die BMZ-Liste an, mit welchen Ländern man zusammenarbeiten will und mit welchen nicht. Da hat man überhaupt nichts mit den Europäern abgesprochen.
Was ist der Unterschied zwischen Ihrer Afrikastrategie und der der Bundesregierung? Im Grunde sind sich die Analysen doch sehr ähnlich.
Nein. Nehmen wir das Beispiel Elfenbeinküste. Da finden demnächst Wahlen statt. Es gibt schon 40 Tote durch Unruhen. Der Präsident versucht, sich durch Verfassungsbruch eine dritte Amtszeit zu sichern. Da muss doch Europa sagen: Das geht nicht. Aber das BMZ sagt: Elfenbeinküste ist ein Reformstaat, auf dem guten Weg, und reagiert gar nicht. Vielleicht war es auf dem guten Weg, aber spätestens mit dem Verfassungsbruch von Präsident Ouattara ist es das sicher nicht mehr, und keiner weiß, wie das ausgeht, ob mit Unruhen oder mit einem Militärputsch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Psychiater über Kinder und Mediennutzung
„Die Dinos bleiben schon lange im Schrank“
Kaputte Untersee-Datenkabel in Ostsee
Marineaufgebot gegen Saboteure
Verbotskultur auf Social Media
Jugendschutz ohne Jugend