FDP-Politiker Kemmerich kuschelt mit AfD: Dammbruch-Experte schlägt wieder zu
Thüringens FDP-Chef Thomas Kemmerich plädiert in einer rechtspopulistischen Talkshow für Mehrheitsbildungen mit der AfD. Er ist Wiederholungstäter.
Die FDP widersprach Kemmerich auf taz-Anfrage umgehend: „Die AfD steht für Rassismus, Antisemitismus und autoritäre Politik. Sie steht dem liberalen Gesellschafts- und Politikverständnis der FDP diametral entgegen. Es gibt deshalb für die gesamte FDP keinerlei Zusammenarbeit oder Kooperation mit der AfD“, sagte ein Pressereferent der Bundespartei.
Seit der Thüringer Regierungskrise 2020 ist der glatzköpfige Unternehmer bundesweit für den damaligen politischen „Dammbruch“ bekannt: Kemmerich, damals wie heute Vorsitzender der mit nur knapp über 5 Prozent in den Landtag eingezogenen FDP, kandidierte in einer verfahrenen Situation im dritten Wahlgang als Ministerpräsident und gewann die Wahl auch mit Stimmen der AfD. Die hatten ihren eigenen Kandidaten überraschend nicht gewählt und verhalfen Kemmerich so zur Mehrheit mit einer Stimme.
Kemmerich nahm die Wahl trotz der AfD-Stimmen an, was für Schockwellen in der Republik sorgte und für parteiübergreifende Kritik: Noch am Abend versammelten sich spontan tausende Demonstrierende vor der Berliner FDP-Zentrale und protestierten gegen die politisch tabuisierte Zusammenarbeit mit der AfD – seitdem kursiert das Schlagwort AFDP.
Die AfD-Fraktion applaudierte nach der Wahl Kemmerichs geschlossen. Höcke genoss die Situation sichtlich und gratulierte Kemmerich triumphierend und mit gesenktem Haupt per Handschlag. Die Linken-Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow warf Kemmerich einen Blumenstrauß vor die Füße.
Kemmerich denkt offenbar über Neuauflage nach
Nach massiven Protesten und empörten Reaktionen aus der restlichen Republik, aber auch der Bundesregierung bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich aus Südafrika einmischte, gab Kemmerich schließlich klein bei und trat drei Tage später wieder zurück. Danach kam eine Minderheitsregierung von Bodo Ramelow (Linke) zustande. Die AfD schlug noch mehr Kapital aus der Affäre und klagte danach gegen Merkels Einmischung erfolgreich in einem Organstreitverfahren.
Der Tabubruch, aber auch die Reaktion der demokratischen Parteien und Kemmerichs darauf folgender Rücktritt nagt offensichtlich noch immer am FDP-Politiker. Der 58-Jährige ruderte im weiteren Gespräch zwar etwas zurück und betonte, er wolle keine konstitutionelle Zusammenarbeit mit der AfD, aber er verteidigte auch die Annahme der Wahl mit teils absurden Argumenten: „Keiner von uns hier am Tisch und in der Welt weiß, wer die 45 Stimmen am Ende waren, die auf mich gefallen sind.“
Er sei damals mutig gewesen und würde „immer in Erwägung ziehen, in einem Parlament, in das ich gewählt werde, auch zu kandidieren“. Einen Fehler gesteht Kemmerich nicht ein und inszeniert sich stattdessen als Opfer. Seine Familie sei bedroht worden und Merkel habe organisiert, dass niemand aus der CDU noch mit ihm habe zusammenarbeiten wollen.
In Thüringen, wo die Mehrheitsverhältnisse weiter kompliziert sind und im nächsten Jahr erneut gewählt wird, denkt Kemmerich offenbar schon über eine Neuauflage des Dammbruchs nach. Er sagte: „Beim nächsten Mal wären wir besser vorbereitet und hätten mehr Pfeile im Köcher.“ Auch wenn er auf eine andere Konstellation hoffe.
CDU widerspricht nicht
Saskia Ludwig, eine Brandenburger Landtagsabgeordnete der CDU, saß in der Talkshow daneben und widersprach Kemmerich nicht. Stattdessen schlug sie in eine ähnliche Kerbe: „Ich finde das ziemlich problematisch, dass auch die CDU, Angela Merkel, einen linken Ministerpräsidenten da lieber sieht als jemanden von der FDP.“ Sie glaube, dass Kemmerich für Thüringen deutlich besser gewesen wäre als Ramelow.
Bereits im Oktober 2020 hatte sich das Präsidium der FDP allerdings deutlich von dessen eigenwilligen Einordnungen zur Thüringer Regierungskrise distanziert. Der jetzige Verkehrsminister Volker Wissing sagte damals: „Die Verantwortung für die Wahl zum Ministerpräsidenten von Thüringen am 5. Februar 2020 trägt Thomas Kemmerich. Die Wahl kam offenkundig nur durch die geschlossene Unterstützung der AfD-Fraktion zustande. Die Annahme der Wahl war ein schwerer politischer und persönlicher Fehler.“ Sie stehe in krassem Widerspruch zu der liberalen Grundhaltung, so Wissing: „Der Bundesverband wird eine Spitzenkandidatur von Thomas Kemmerich bei der nächsten Wahl des Landtags von Thüringen nicht unterstützen.“
In der Thüringer FDP weht allerdings ein anderer Wind: Dort wurde der Dammbruch keineswegs kritisch aufgearbeitet. Kemmerich wurde im vergangenen Oktober weitgehend kritiklos und unangefochten mit 87 Prozent zum Vorsitzenden gewählt. Für eine Spitzenkandidatur bei der Landtagswahl 2024 hat sich Kemmerich schon 2021 in Stellung gebracht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Netzgebühren für Unternehmen
Habeck will Stromkosten senken