FDP-Ministerpräsident in Thüringen: Kemmerich tritt sofort zurück
Ministerpräsident Thomas Kemmerich gibt sein Amt nun schneller als erwartet wieder ab. Die Koalitionsspitzen in Berlin fordern eine Neuwahl in Thüringen.
Kemmerich teilte nahezu zeitgleich mit: „Hiermit erkläre ich meinen Rücktritt als Ministerpräsident des Freistaates Thüringen mit sofortiger Wirkung.“ Sämtliche Bezüge aus dem Amt des Ministerpräsidenten und des geschäftsführenden Ministerpräsidenten werde er an die Staatskasse zurückgeben. Kemmerich war am Mittwoch mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten in Thüringen gewählt worden – dies rief heftige Kritik hervor. Einen Tag später hatte er seinen Rücktritt angekündigt – aber bislang nicht vollzogen.
Kemmerich bleibt nach der Verfassung auch nach seinem Rückzug noch im Amt bis ein neuer Ministerpräsident gewählt ist – allerdings nur geschäftsführend. Ihm ist aber jetzt die Möglichkeit genommen, eine Vertrauensfrage im Landtag zu stellen. „Unbenommen ist dem Landtag aber die Möglichkeit, ganz regulär einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen“, sagte der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner der Deutschen Presse-Agentur.
Die Spitzen der großen Koalition hatten vor dem Rücktritt Kemmerichs Kontakt mit FDP-Chef Christian Lindner. Das bestätigte der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans nach der Sitzung des Koalitionsausschusses. Die Situation in Thüringen sei durch das Verhalten der FDP ganz wesentlich beschleunigt worden, sagte Walter-Borjans mit Blick auf die Wahl Kemmerichs.
Christian Lindner habe mittlerweile eingesehen, „dass das ein schwerwiegender Fehler war“. Man habe gesagt, es müsse klar sein, „dass es jetzt diesen Rücktritt geben wird. Das können wir bestätigen“, sagte er auf die Frage, ob es Kontakt mit Lindner gegeben habe. Es sei „richtig, dass die FDP ihrerseits diese Position auch so mitgetragen hat“.
Linke: Ramelow steht bereit
Die Linke sieht nach der Rücktrittserklärung Kemmerichs den Weg für die Wahl von Bodo Ramelow in das Amt frei. „Bodo Ramelow steht bereit, er hat ein Kabinett, das er nach seiner Wahl berufen kann“, sagte der Vizevorsitzende der Thüringer Linken, Steffen Dittes, am Samstag der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt. Thüringen müsse möglichst schnell eine handlungsfähige Regierung bekommen. Er gehe davon aus, dass die Ministerpräsidentenwahl von Ramelow noch im Februar im Landtag erfolgen könne, so Dittes. Kemmerich hatte am Samstag seinen sofortigen Rücktritt erklärt.
Erwartungen habe die Linke allerdings an die CDU und die FDP, die nach dem politischen Beben der vergangenen Tage angekündigt habe, mit dafür zu sorgen, dass es wieder stabile politische Verhältnisse in Thüringen gibt. „Wir haben die Erwartungshaltung, dass Bodo Ramelow im ersten Wahlgang gewählt wird. Das schafft man nicht mit Enthaltungen und einem dritten Wahlgang“ sagte Dittes. Die Linke fordere CDU und FDP darum auf, Ramelows Wahl zu unterstützen. Seiner rot-rot-grünen Koalition fehlen vier Stimmen im Parlament.
Nach einem Krisentreffen mit der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer hatten der Thüringer CDU-Parteivorstand und die Landtagsfraktion eine aktive Unterstützung einer Ramelow-Wahl jedoch ausgeschlossen. Sie erklärten: „Wir werden Initiativen, die darauf abzielen, im gewählten Thüringer Landtag eine Regierung zu bilden, nicht blockieren. Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag wird einen von der Linken aufgestellten Ministerpräsidenten entsprechend ihrer Grundsätze nicht aktiv ins Amt wählen.“
Der Generalsekretär der Thüringer CDU hat sich nach dem Rücktritt Kemmerichs zurückhaltend gezeigt. „Das nehmen wir zur Kenntnis“, sagte der CDU-Politiker Raymond Walk am Samstag. „Das ist Sache der Bundes- und der Thüringer FDP.“
Für eine mögliche erneute Ministerpräsidentenwahl würde eine einstimmig gefasste Beschlusslage der CDU weiter gelten, wonach sie keinen Kandidaten stellt. Auch habe Landeschef Mike Mohring immer klar darauf hingewiesen, dass er nicht als Kandidat zur Verfügung stehe, sagte Walk.
Erklärung von CDU, CSU und FDP
Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken sagte in Berlin, die gemeinsame Stellungnahme der Koalition vom Samstag sei „in großer Einigkeit“ mit CDU und CSU zustande gekommen. Es sei wichtig, dass sich „drei Parteien des demokratischen Spektrums auch nochmals darauf geeinigt haben, dass es unter gar keinen Umständen eine Zusammenarbeit mit der AfD geben kann“. Die FDP sei als weitere Partei des demokratischen Spektrums gut beraten, sich in dieser Frage auch einer Klärung zuzuwenden.
„Regierungsbildung und politische Mehrheiten mit Stimmen der AfD schließen wir aus. Das ist und bleibt die Beschlusslage der die Koalition tragenden Parteien für alle Ebenen“, heißt es in der Erklärung von CDU, CSU und SPD.
Nicht nur die Entwicklung in Thüringen dürfte etwas Spannung aus der großen Koalition im Bund von CDU, CSU und SPD genommen haben, auch der Rücktritt des erheblich in die Kritik geratenen Ost-Beauftragten der Bundesregierung, Christian Hirte (CDU), auf Betreiben von Kanzlerin Angela Merkel dürfte dazu beigetragen haben. Hirte, der Thüringer CDU-Vize ist, hatte ausdrücklich zur Wahl Kemmerichs gratuliert.
Weitere Reaktionen
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), der einer Jamaika-Koalition von CDU, FDP und Grünen vorsteht, rät der CDU, eine Regierung mit Beteiligung der Linkspartei unter Umständen zu tolerieren. Bisher hat die CDU-Spitze dies unter Verweis auf einen Parteitagsbeschluss von 2018 ausgeschlossen.
Die CDU lehne eine Koalition mit der Linkspartei genauso ab wie mit der AfD, sagte das CDU-Präsidiumsmitglied in Kiel am Rande einer Klausurtagung der Spitze der Nord-CDU. „Aber klar ist auch: Wenn Linkspartei und AfD im Landtag eine Mehrheit haben, reicht das als Antwort nicht aus.“
Linkenchef Bernd Riexinger twitterte: „Der Kemmerich-Rücktritt ist folgerichtig. Der große politische Flurschaden bleibt. Unverantwortlich und erschreckend, was sich da manche Politiker der CDU und FDP geleistet haben. Danke an alle, die politisch wach waren und schnell reagiert haben.“
SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil twitterte: „Drei lange Tage hat der Mann, der nur mit den Stimmen der rechtsextremen Höcke-AfD ins Amt kam, Thüringen unnötig ins Chaos gestürzt. Dieses miese Schauspiel hat dank klarer Kante nun ein Ende.“
Der Fraktionschef der Grünen im Erfurter Landtag, Dirk Adams, erklärte nach dem Rücktritt vom Samstag im Kurznachrichtendienst Twitter: „Der Rücktritt ist konsequent, kommt aber viel zu spät!“ Der Landesvorstand der Thüringer SPD hatte bereits zuvor sofortige Neuwahlen gefordert. Vor dem Hintergrund der Ministerpräsidentenwahl vom Mittwoch müssten die Wähler neu über die Zusammensetzung des Landtages entscheiden, hieß es in einer am Samstag in Erfurt verbreiteten Erklärung.
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