piwik no script img

FAQ zum Wirecard-SkandalEY, was soll das?

Die Prüfer von EY wollen für den Wirecard-Betrug nicht zuständig gewesen sein. Zocker haben es hier leicht. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Da hilft auch kein Beten mehr: Ex-Wirecard-Chef Braun wurde am Mittwoch verhaftet Foto: Frank Hoermann/imago

Der Fall Wirecard wird immer irrer und wirrer. Kann die ganze Sache Leuten, die keine BörsenzockerInnen sind, nicht egal sein?

Nein. Die Sache betrifft nicht nur Vermögende, die sich verzockt haben. Weil das Unternehmen im deutschen Aktienleitindex DAX gelistet ist, zahlen auch viele für den Schaden, denen das gar nicht klar ist, zum Beispiel Leute, die eine Lebensversicherung haben. Bei vielen Geldanlagen wird gezielt in Papiere von DAX-Unternehmen investiert. Durch den Sturz von Wirecard sind Milliarden an Vermögen vernichtet worden. Abgesehen davon: Der Fall ist ein spannender Wirtschaftskrimi.

Was ist passiert?

Wirecard galt als der große Hoffnungsträger der deutschen Fin-Tech-Szene. Das Unternehmen wickelt Zahlungen im bargeldlosen Verkehr ab und ist schnell extrem gewachsen. Nachdem der Börsenkurs geradezu explodiert ist, ist Wirecard 2018 in den DAX aufgestiegen – und jetzt innerhalb von Wochen zusammengebrochen. Denn es hat sich herausgestellt, dass die hohen Gewinne erfunden waren, die den Börsenkurs in die Höhe getrieben haben. Unklar ist, ob 1,9 Milliarden fehlende Euro geklaut wurden oder nie existiert haben.

Wer sind die Schurken?

Sicher nicht nur der ehemalige Wirecard-Chef Markus Braun und zwei Manager, die die Staatsanwaltschaft München I am Mittwoch hat verhaften lassen. „Nach derzeitiger rechtlicher Prüfung werden den Beschuldigten in zum Teil verschiedenem Umfang gewerbsmäßiger Bandenbetrug, Untreue, unrichtige Darstellung und Marktmanipulation in mehreren Fällen vorgeworfen“, teilte die Staatsanwaltschaft mit. Die ehemalige Nummer zwei bei Wirecard, Jan Marsalek, ist auf der Flucht. Wer und wie viele mit von der Partie waren, werden die Ermittlungen zeigen.

Wie ist der Betrug aufgeflogen?

Weil es Meldungen über Unregelmäßigkeiten gab, verlangte ein Geschäftspartner eine Sonderprüfung durch einen Wirtschaftsprüfer, der bis dahin nicht bei Wirecard tätig war. Unklar ist, warum sich die Manager darauf eingelassen haben, ob sie etwa glaubten, ihr Betrugssystem sei wasserdicht. Die Prüfer von KPMG lieferten einen vernichtenden Bericht ab, denn sie fanden für angebliche Umsätze keine Belege. Daraufhin verweigerte der Haus-Wirtschaftsprüfer EY (früher Ernst & Young) das Testat. Kurz danach ist Wirecard implodiert und hat Insolvenz angemeldet.

Hat vorher keiner gemerkt, dass etwas nicht stimmte?

Die Wirtschaftsprüfer von EY haben über Jahre eine saubere Bilanz testiert. Dabei gab es schon 2008 erste Hinweise auf Unregelmäßigkeiten. Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger erhob den Vorwurf der Bilanzmanipulationen. Doch als bekannt wurde, dass Mitglieder auf fallende Kurse von Wirecard spekuliert hatten, wurde das nicht mehr ernst genommen. Seitdem bestand die Verteidigungsstrategie von Wirecard bei Vorwürfen stets darin, KritikerInnen versuchte Marktmanipulation zu unterstellen. Das geschah auch, als die Financial Times 2019 über Bilanzmanipulationen berichtete.

Lesen die Leute von der deutsche Finanzaufsicht keine Zeitung?

Doch. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) hat durchaus auf die Berichte reagiert: Sie hat den Journalisten der Financial Times angezeigt – wegen versuchter Marktmanipulation. Vorher haben die AufseherInnen sogenannte Leerverkäufe von Wirecard-Aktien verboten, mit denen AnlegerInnen auf fallende Kurse spekulieren. Das wurde von der Finanzwelt als Vertrauensbeweis für Wirecard interpretiert. Die Bafin hat zwar eine Untersuchung bei der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung in Auftrag gegeben – aber nicht reagiert, als der Bericht nicht kam.

Wie werden Aktiengesellschaften in Deutschland überhaupt kontrolliert und von wem?

Wirtschaftsprüfer – in der Regel einer der großen Gesellschaften Deloitte, EY, KPMG und PwC – bestätigen die Richtigkeit eines Jahresabschlusses mit einem Testat. Der Aufsichtsrat nimmt den Bericht der Wirtschaftsprüfer ab. Die nächste Instanz ist die Bafin, die wiederum Kontrollaufträge an die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung gibt.

Was ist die Prüfstelle?

Das ist ein eingetragener Verein, der als „Bilanzpolizei“ gilt. Die Prüfstelle hat ihren Sitz in den Axel-Springer-Arkaden in Berlin. Nach eigenen Angaben hat sie dort ganze 14 Prüfer – für weit mehr als 1.000 Unternehmen. Sie kann Aktiengesellschaften nur stichprobenartig kontrollieren. Die Bundesregierung hat den Vertrag mit ihr nach dem Wirecard-Reinfall gekündigt. Die Prüfstelle selbst verweist darauf, dass sie gar nicht für die Aufdeckung von Betrug zuständig sei. „Das Aufspüren von Bilanzbetrug und Ermittlungen sind nicht Bestandteil des Aufgabenkatalogs“, heißt es in einer Erklärung der Prüfstelle.

Hat der Fall keine Konsequenzen für EY?

Hunderte Anleger haben Klagen gegen EY wegen ihres Vermögensverlustes angedroht.

Und was ist mit der staatlichen Finanzaufsicht Bafin?

Bis jetzt steht Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) fest zur Bafin-Spitze. Er will die Aufsicht künftig besser ausstatten und ihr mehr Rechte einräumen – was er genau will, bleibt aber nebulös.

Haben es Wirtschaftskriminelle in allen Ländern so leicht wie in Deutschland?

Nein. In den USA zum Beispiel hat die Börsenaufsicht weitreichende Rechte, um Unternehmen umfassend zu kontrollieren. Anders als hierzulande gibt es dort ein Unternehmensstrafrecht. Unternehmen können zu hohen Geldstrafen verurteilt und sogar vom Staat zerschlagen werden.

Wie geht es weiter?

Am kommenden Mittwoch wird es eine Sondersitzung des Finanzausschusses zu Wirecard geben. Möglicherweise wird der Bundestag einen Untersuchungsausschuss einrichten.

Kann die Sache für Finanzminister Scholz gefährlich werden?

Scholz macht zurzeit eine äußerst unglückliche Figur – und das nicht zum ersten Mal. Auch bei den anrüchigen Cum-Ex-Geschäften, bei denen Investoren nicht gezahlte Steuern rückerstattet bekamen, wurde ihm vorgeworfen, als Hamburger Bürgermeister nicht richtig hingeschaut zu haben.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

12 Kommentare

 / 
  • Das Grundproblem scheint mir zu sein, dass die Wirtschaftsprüfer viel zu sehr an einem Auftrag eines Großkunden interessiert sind. Ein Freund von mir war z.B. vor Jahren an der Prüfung einer deutschen Großbank beteiligt. Als er auf konkrete Probleme hinweis, wurde ihm bedeutet, dass man diesen Großkunden nicht verlieren wolle ...

  • Man sollte hier nicht immer von Buchprüfern reden. Das ist eine andere Kategorie. Der richtige Ausdruck heißt Wirtschaftsprüfer. Im vorigen liegenden Fall mag es von Bedeutung sein, dass die hochgelobte Vorzeige-Chefin von EY Deutschland (DACH) Julie Teiglang, die sogar 2019 Chefin von EMEA (EUROPA MIDDLE EAST AFRIKA) wurde, unter besonderem Druck stand, Mandate zu akquirieren und zu behalten. Da lässt man dann schon mal fünfe gerade sein.

  • Insgesamt geht bei der Berichterstattung doch vieles durcheinander und es werden voreilig Schlüsse in jede Richtung gezogen. Die Abschaffung der DPR scheint das erste Bauernopfer zu sein. Bei dem Budget das die DPR zur Verfügung hatte kann man sich relativ schnell denken wie groß die Personalkapazitäten sind, was vorher niemanden in der Politik gestört hat.

    Die Prüfer von EY scheinen als nächstes dran zu sein. Aus meiner Sicht ist die Sache allerdings nicht so einfach wie überall dargestellt nach dem Motto die waren zu blöd eine Bankbestätigung abzustimmen.

    Im Bestätigungsvermerk 2018 hat EY einen Hinweis nach IDW PS 406 erteilt der sich mit den Problemen der Scheingeschäfte befasst. Ein Hinweis führt natürlich immer noch nicht zu einer Einschränkung des Testates aber es zeigt zumindest, dass sich EY mit der Thematik intensiv auseinander gesetzt haben muss und das ganze auch entsprechend dokumentiert haben muss. Aus meiner persönlichen Erfahrung würde das bedeuten, dass sich die Thematik von erfahrenen Prüfern angeschaut wurde und auch im Team mit den leitenden Partnern besprochen wurde. Darüber Hinaus ist in einem solchen Sachverhalt zwingen die interne begleitende QA einzubeziehen und aufgrund des potenziellen Reputationsschadens gehe ich davon aus, dass die Thematik auch intern zusätzlich über die Fachabteilung konsultiert wurden ist. Alles andere würde mich überraschen.

    Fall dem so ist kann ich mir nicht vorstellen, dass man EY ein Fehlverhalten vorwerfen kann. Die Prüfung ist gewissenhaft durchzuführen, dass heißt aber nicht das der Bestätigungsvermerk absolute Sicherheit bittet. Er bittet hinreichende Sicherheit.

    Entscheidend wird aus meiner Sicht sein, was die APAS bzw. WPK feststellen wird. Danach kann man sich objektiv ein Urteil darüber erlauben, ob von Seiten EY ein Fehlverhalten vorliegt.

    Die diskutierten Maßnahmen gehen aus meiner Sicht in großen Teilen an der Sache vorbei. Hier sollte man die Prüfung durch APAS und WPK abwarten.

  • "Unklar ist, ob 1,9 Milliarden fehlende Euro geklaut wurden oder nie existiert haben."



    Laut der Aussagen eines von Wirecard 'gejagten' Betrugsaufdeckers und sog. Shortseller (2008 ff und der deswg. von Wirecard selbst verfolgt wurde) handelte es sich eher um ne Art Geldwäsche, zB "über in den USA gesetzlich eindeutig verbotene Einzahlungen von Privatpersonen über Kreditkarten auf Online-Poker-Konten" und wurde weltweit über unscheinbare Blumenläden und Handyläden abgewickelt... Die Deutsche Staatsanwaltschaft ließ diese Anzeige allerdings 2012 fallen.

    Ein spannender Krimi... mit Haupt- oder Nebenrollen wie K.T. zu Gutenberg (und vlt steckt ja auch Philip Amthor's Augustus 'Intelligence-Affäre' dahinter die auch erst vor wenigen Wochen bekannt wurde und bei der Gutenberg ebenso mitmischte...?) MFG







    www.n-tv.de/wirtsc...ticle21930007.html

  • EY gehört zerschlagen, wie damals 2002 Arthur Andersen wegen des Enron Skandals!

  • 0G
    01022 (Profil gelöscht)

    Wirecard ist erst der Anfang dieser Art von Pleiten. Die Bafin hat anscheinend ein wollwollendes Auge auch auf die andere Bank im D.A.X. Und darum wird Olaf Scholz nicht der erbärmlich vermessene Kanzlerkandidat der SPD.

    • 8G
      82286 (Profil gelöscht)
      @01022 (Profil gelöscht):

      "Wirecard ist erst der Anfang dieser Art von Pleiten." Richtig. Und solange die größten Gangster noch als "Unternehmer" beweihräuchert werden, wird sich auch nichts ändern.

  • Na - Heiliger Strohsack - Wurde ja Zeit •





    Scholz macht zurzeit eine äußerst unglückliche Figur – und das nicht zum ersten Mal. Auch bei den anrüchigen Cum-Ex-Geschäften, bei denen Investoren nicht gezahlte Steuern rückerstattet bekamen, wurde ihm vorgeworfen, als Hamburger Bürgermeister nicht richtig hingeschaut zu haben.“

    Das ist zwar immer noch eher mild -



    Euphemistisch - wa. “…unglücklich…“👻



    Aber doch immerhin ein Anfang.



    Oil of Olaf I. - mal an den Thron pinkeln!



    Das Mindeste. Wo‘s doch alllang die Spatzen von den Dächern pfiffen. Woll!



    Normal.

    kurz - M. E. - Hat er gepennt - Kann sein Handwerk nicht - oder - Schiß nem Dax-Concern rechtzeitig die Eier hochzubinden • Gellewelle -

  • Ein Unternehmensstrafrecht gibt es übrigens auch in Frankreich. In Deutschland herrscht offenbar die lutherische Vorstellung vor, Finanzwirtschaft etwas so Ekliges und Schleimiges ist, dass man besser das Licht löscht.

  • Wer ist dafür zuständig, zu prüfen, dass den Werten und Vorgängen in den Büchern auch greifbare Werte und Vorgänge gegenüber stehen?

    Sind das die Buchprüfer - dann hat EY ein Problem. Oder ist das der Bundesfinanzminister mit seinen Behörden?

    • @Peter_:

      Die Buchprüfer. Aber eigentlich wird nur geprüft, ob die Buchungen und Bilanzpositionen belegt sind. Die Echtheit der Belege wird wohl nicht geprüft.

      • @Adam Weishaupt:

        Die Echtheit der Belege ist nicht unbedingt zu prüfen, aber deren Plausibilität und die Plausibilität der daraus entstehenden Bilanzpositionen durchaus. Dazu gibt es einen Haufen Regelwerke:



        de.wikipedia.org/w...3%BCfungsstandards



        Das Problem ist, dass die Arbeit vor Ort bei den 4 großen Prüfungsgesellschaften meist von weniger erfahrenen Prüfungsassistenten gemacht wird. Nach meiner Erfahrung kann man diese Leute leichter aufs Kreuz legen. Darüber stehen erfahrene Prüfungsleiter, die aber aus Kapatitätsgründen nur punktuell selbst prüfen können. Ganz oben stehen die Partner, die am meisten verdienen, häufig auf die Auftragsbeschaffung spezialisiert und in das Tagesgeschäft nur eingeschränkt eingebunden sind. So eine Struktur steht in der Gefahr, nur mittelmäßige Qualität zu liefern.