Extreme Rechte in Europa: Der Spuk fängt erst noch richtig an
Das jährliche Treffen der europäischen Rechtspopulisten fand in Tschechien statt. Journalisten wurden isoliert und am Arbeiten gehindert.
Der Weihnachtsmärkte wegen ist sie mit Freundinnen nach Prag gekommen. Und sie landet mittendrin im alljährlichen Treffen der Rechtspopulisten der EU-Parlamentsfraktion „Europa der Nationen und der Freiheit“, das am Spätnachmittag in diesem abgelegen und heruntergekommenen Hotelkomplex stattfinden soll.
Die österreichische FPÖ ist aus Gründen der Regierungsbildung entschuldigt. Aus Deutschland, so die Teilnehmerliste, ist nur Marcus Pretzell angereist.
Polizei und Security gelten nicht nur dem Stargast des Kongresses, dem Niederländer Geert Wilders. Laut Tomio Okamura, Chef der tschechischen „Partei der direkten Demokratie“ (SPD) und Prager Gastgeber der ENF, hätten Islamisten allein im vergangenen Jahr 18 Attentate geplant. Die Ordnungskräfte sollen auch drei Demonstrationen schützen, die sich dort zwischen der Stadtautobahn und den Plattenbauten der Prager Südstadt für den Nachmittag angekündigt haben.
Getrennt demonstrieren
„Zusammen werden wir aber nicht demonstrieren“, erklärt ein Vertreter der Antifa verächtlich, die die Zufahrt zum Hotel aus drei Richtungen her blockieren will. Die tschechischen Grünen, die im Oktober eine existenzbedrohende Wahlschlappe einstecken mussten, haben derweil in einem Bündnis für ein „Europa ohne Angst und Hass“ zu einem Marsch durch die Prager Peripherie aufgerufen und sind als Erste am Hotel angekommen.
Statt der erwarteten 1000 finden sich zwar nur, so Polizeiangaben, etwas über 350 Demonstranten ein. Mit wehenden Europafahnen und einer riesigen Ukraine-Flagge schreien sie laut „Schande, Schande“ in Richtung Tagungszentrum.
„Ich glaube, gerade habe ich Okamura gesehen“, lacht ein Demonstrant und zeigt in Richtung Fenster, durch das ein paar Leute und festlich gedeckte Stehtische zu sehen sind.
Zu diesem Zeitpunkt sitzen Okamura und seine Gäste noch weit entfernt im luxuriösen Radisson am Prager Wenzelsplatz, wo sie eine Pressekonferenz abhalten. Dort findet die eigentliche Tagung der ENF statt, was im Voraus nicht öffentlich kommuniziert wurde.
Schlecht sitzende Anzüge
Im Top-Hotel am Stadtrand findet nur der öffentliche Teil des Treffens statt. Dazu sind etwa 250 Teilnehmer aus ganz Tschechien angereist, die größtenteils Vokuhila-Haarschnitte und schlecht sitzende Anzüge tragen.
Während der eineinhalbstündigen Reden dürfen sie sich im Ballsaal des Hotels als Retter Europas feiern lassen. „Sie vertreten den Geist des Prager Frühlings“ ruft die englische UKIP-Abgeordnete Janice Atkinson in die Menge.
Geert Wilders beschwört den ersten tschechoslowakischen Präsidenten „Thomas Masaryk“ und Jan Palach, der „lieber für die Freiheit starb, als unter dem Joch des Totalitarismus zu leben“.
Tschechien gebe ihr Hoffnung, erklärt der zweite Stargast der Tagung, Marine Le Pen, in ihrer Rede, die im Jubel des Publikums untergeht. Während sie von einem Europa der souveränen Nationen spricht, ist von draußen ein lautes Dröhnen zu hören. Offensichtlich ist die Antifa vor dem Hotel angekommen. „Die machen nur Krach, sonst sind sie ganz friedlich“, lacht einer der Ordner, die die Journalisten von den Teilnehmern der Veranstaltung isolieren sollen.
Mies behandelt
Ohne Begleitung der Ordner darf sich keiner der wenigen akkreditierten Journalisten hinter den Abschirmwänden, die in den Pressebereich führen, bewegen. „So mies bin ich noch nie behandelt worden“, schimpft ein englischer Kameramann, der versucht, an drei Sicherheitsleuten „vorbei zu drehen“, die sich während der Reden breitbeinig drohend zwischen Pressebereich und Publikum aufgestellt haben.
Nach knapp zwei Stunden ist alles vorbei. Die Demonstranten haben sich da schon lange verzogen. „Passen Sie aber trotzdem auf“, rät ein Ordner beim Herausgehen.
In der hoteleigenen Bar sitzen die Damen aus Franken, die die Prager Weihnachtsmärkte genossen haben. „Ist der Spuk endlich vorbei?“, fragen sie gut gelaunt. Geht man nach den Reden und dem Selbstbewusstsein, das die ENF-Oberen am Wochenende in Prag zur Schau stellen, fängt der Spuk erst noch an.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei VW
Massiver Gewinneinbruch bei Volkswagen
VW-Vorstand droht mit Werksschließungen
Musterknabe der Unsozialen Marktwirtschaft
Verfassungsgericht entscheidet
Kein persönlicher Anspruch auf höheres Bafög
Kamala Harris’ „Abschlussplädoyer“
Ihr bestes Argument
Zu viel Methan in der Atmosphäre
Rätsel um gefährliches Klimagas gelöst
Nahostkonflikt in der Literatur
Literarischer Israel-Boykott