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Extinction Rebellion in DresdenAlle fühlen sich wohl

Mehr als 30 junge Menschen beteiligen sich am Mittwoch bei einer Klimaschutz-Aktion in Dresden. Hierarchien gibt es keine, alles wird im Plenum besprochen.

Auch die Protestform „Die-In“ haben die jungen Demonstrant*innen am Mittwochabend gemacht Foto: Pia Stendera

DRESDEN taz | Am Mittwochnachmittag brennt die Sonne auf den Vorplatz des Dresdner Kulturpalastes. Am Brunnen, der an diesem Tag kein Wasser spuckt, steht eine Gruppe junger Menschen. Sie gehören zur Klimabewegung Extinction Rebellion. Ihre heutige Mission: „Swarming“, Ausschwärmen. Kira, ein junges Mädchen mit Zopf und in Blumentop und Rock erklärt der Gruppe, was es damit auf sich hat: Sieben Minuten lang soll der Autoverkehr aufgehalten werden.

Wer radikale Blockaden erwartet, wird enttäuscht. Da der Kampf gegen den Klimawandel keine individuelle, sondern eine Veränderung im System brauche, werden Autofahrende mit selbstgebackenem Kuchen besänftigt und „herzlich eingeladen“ sich der Bewegung anzuschließen.

Faltblätter aus Recyclingpapier erklären ihre Forderungen: Den Ausruf des ökologischen Notstands, null CO-Emissionen bis 2025 und eine sozialverträgliche Umsetzung der Klimaschutzmaßnahmen.

Ihre Kapitalismuskritik, aber auch die Aktionsformen und die offenere Entscheidungsfindung reichten über Fridays for Future hinaus, erklären vier SchülerInnen, während Sonnencreme verteilt wird. Neben ihnen macht ein Junge Yogaübungen – er ist der „Polizeibeauftragte“. Kira ist Koordinatorin für den Ablauf des Nachmittags.

taz ost

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Hierarchien gibt es nicht. In Arbeitsgruppen werden Stimmungsbilder erhoben. Nach einer ersten Swarming-Runde, die neben Hupen der AutofahrerInnen und schüchternem Gesang der der KlimaschützerInnnen – „We float the streets with justice“ – ruhig abläuft, ist wieder Plenum.

Ihre erste Aktion feiern alle Beteiligten mit zustimmenden Handzeichen, danach wird wieder gesungen. Der Plan, nun eine Hauptverkehrsstraße zu blockieren, wird verworfen. Auf der ruhigeren Straße zwischen zwei Fußgängerzonen hätten sich alle wohlgefühlt, also wird hier auch die zweite Blockaderunde eingeleitet, sagt Kira.

Die Polizei ist verwirrt

In der Zwischenzeit sind die pink gekleideten TrommlerInnen der Gruppe „Rythms of Resistance“ gekommen. PassantInnen applaudieren, im Hintergrund kommen sechs Mannschaftswagen angefahren. Ob der Applaus der Blockade oder der Trommlergruppe gilt, bleibt unklar.

Die Polizei ist verwirrt, wohl weil ihre Mannschaftsstärke eine Eins-zu-eins-Betreuung der rund dreißig Beteiligten zuließe. Die Polizei fragt, ob die Klimaschützer nun eine Demo anmelden wollen. Doch auch das wollen die DemonstrantInnen erstmal im Plenum beraten, wie sie der Polizei freundlich mitteilen und sich artig bei ihr bedanken. Der Grundsatz „alle sind willkommen, so wie sie sind“ scheint auch für die Polizei zu gelten.

Das Plenum, der Polizeibeauftragte, der inzwischen kein Yoga mehr macht, und die Polizei einigen sich auf die Anmeldung einer Spontandemonstration. Der Anregung der Polizei, diese auf die Fußwege der Dresdner Altstadt zu beschränken, kommen die KlimaschützerInnen bereitwillig nach. Als sie zum Schluss auf dem Schlossplatz einlaufen, singt eine Straßenmusikantin Puccinis Arie „O mio babbino caro“.

Die KlimaschützerInnen klatschen begeistert, dann ziehen sie sich zum Biertrinken der „Regenerations-AG“ zurück. Die will wissen, wie sich alle bei der Aktion gefühlt haben. Kira ist zufrieden: Swarming, Die-In, Demo – „alle Aktionsformen an einem Tag geschafft“, sagt sie.

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7 Kommentare

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  • 8G
    80576 (Profil gelöscht)

    Am wichtigsten ist, dass sich alle wohlgefühlt haben. Offensichtlich klappt es in diesem Kollektiv mit der awareness richtig gut. Freut mich, ich hab da jetzt auch ein echt gutes Gefühl. Weiter so.

  • Zitat: „Hierarchien gibt es nicht. […] Nach einer ersten Swarming-Runde [...] ist wieder Plenum.

    Nur, dass sich keine Irrtümer festsetzen im Kopf: Ein „Plenum“ ist nicht das Gegenteil von „Hierarchien“.

    Jeder, der nicht auf einer einsamen Insel aufgewachsen ist, weiß: Wollen mehr als 30 Leute mehr als eine Aufgabe lösen, brauchen sie eine Struktur. Denn 30 unterschiedliche Menschen haben (mindestens) 30 Meinungen. Wer jede Frage jedes Mal mit allen „ausdiskutieren“ will, ist einfach nicht schnelle genug, um den Weltuntergang noch zu verhindern.

    Am Grundsatz „alle sind willkommen, so wie sie sind“ führt allerdings kein Weg vorbei. Wer eine ganze Welt retten will, braucht schließlich jede Hilfe, die er kriegen kann. Er hat auch keine Hand frei, um Quertreiber aufzuhalten. Keine Weltrettung ohne intelligente Arbeitsteilung also. Und neben der horizontalen Struktur (Wer kümmert sich um was?) braucht es sogar eine vertikale (Wer bündelt und wer hält Kontakt?). Was die Weltrettung allerdings gar nicht gebrauchen kann, sind dämliche Hahnenkämpfe um das Privileg, andere zu dominieren.

    Mir ist schon klar, dass eine Gesellschaft wie unsere sich schwer tut damit, Hierarchien getrennt vom Gewaltprivileg zu denken. Unsere Strukturen stammen schließlich aus einer Zeit, in der Patriarchen über Leben und Tod entscheiden durften. Und zwar vor allem dann, wenn sie zu dumm waren, um zu überzeugen. Mitbestimmung war schon deshalb illusorisch, weil kaum jemand freiwillig sterben wollte für „seinen“ Patriarchen. Bei der Klimarettung aber geht es nicht um Todesstrafen. Es geht darum, Leben zu retten. Und zwar möglichst alle.

    Das ist ein Unterschied, der sich im Denken erst noch wiederfinden muss. Das wird nicht leicht, denn dank unserer Vorgeschichte gibt es (berechtigterweise) wenig Vertrauen unter den Menschen. Es gibt nur leider auch keine andere Möglichkeit, die Welt zu retten.

  • 8G
    88181 (Profil gelöscht)

    "Der Grundsatz „alle sind willkommen, so wie sie sind“ "

    Bei dieser Hippielosung hätten sich auch Nazis willkommen gefühlt haben können.

    • @88181 (Profil gelöscht):

      willkommen sofern sie den grundsätzen der organisation zustimmen und danach handeln wollen.



      ein nazi würde zunächst mal ex-nazi werden müssen, aber dann ginge das wohl klar.

  • Obacht! Wenn die Polizei nicht so schläfrig gewesen wäre und mal wie gewohnt Sicherheitskontrollen durchgeführt hätte, wären garantiert jede Menge Wattebällchen ans Licht der Öffentlichkeit gekommen!

    • @Edward:

      und was willst du damit sagen? wäre dir eine schlagertruppe sympatischer?

      • @motorbit:

        Schlagertruppe? Gesungen haben die auch. Oder meinen Sie "SchlÄgertruppe" - die mag ich nicht.