Export von verbotener Agrarchemikalie: Für EU-Bauern zu gefährlich, für Südafrika reicht's
Bei der Alzchem-Hauptversammlung soll gegen den Export einer Agrarchemikalie protestiert werden. Sie ist so giftig, dass die EU sie verboten hat.

Tatsächlich steht die Substanz laut der EU-Chemikalienbehörde Echa in Verdacht, Krebs und Störungen der Fortpflanzungsfähigkeit und Entwicklung von Embryonen zu verursachen. Der Stoff kann demnach auch zu schweren Verätzungen der Haut und gravierenden Augenschäden führen. Die EU-Kommission stellte in ihrer Verbotsbegründung „eindeutige Hinweise“ darauf fest, dass die Anwender einer größeren Menge des Mittels ausgesetzt würden als als sicher angesehen wird. Doch dieses grundsätzliche Verbot bezog sich nur auf den Einsatz in der EU – die Produktion für den Export ist bis heute erlaubt. Ein Ausfuhrverbot für solche Chemikalien konnte der Bundesagrarminister der Ampelkoalition, Cem Özdemir (Grüne), nicht durchsetzen. Eine EU-Regelung lässt auf sich warten.
Deshalb verkauft Alzchem sein Cyanamid-haltiges Produkt Dormex immer noch als „Wachstumsregler“, der bei Wein- und Obstgehölzen die Winterruhe der Pflanzen breche. Ohne das Mittel würden sich in Klimaregionen mit milden Wintern und somit wenigen kalten Stunden zu wenige Knospen rechtzeitig öffnen. Dormex steigere die Ernten, so das Unternehmen mit Sitz in Trostberg.
Doch die Kritischen Aktionäre schreiben: „Bäuerinnen und zivilgesellschaftliche Organisationen aus Südafrika berichten über Anwendungen ohne ausreichende Schulung, mangelnde Schutzausrüstung und in Konsequenz von Gesundheitsschäden, die klare Verstöße gegen Arbeitsschutzvorschriften zur Vermeidung von Gesundheitsgefahren und Arbeitsunfällen darstellen.“ Dafür seien zwar die Arbeitgeber vor Ort verantwortlich, aber Alzchem mache sich mitschuldig, denn: „Bei derart schädlichen Produkten wie Dormex ist es auch unter Einhaltung höchster Sicherheitsmaßnahmen nicht möglich, eine Gesundheits- und Umweltgefährdung auszuschließen“.
Lunge geschädigt, Job verloren
Für die Kritiker ist auch nicht nachvollziehbar, „ob und wie Alzchem prüft und offenlegt, wie, wann und mit wem Schulungen zur sicheren Anwendung von Dormex in Exportländern durchgeführt werden.“ Es gebe zudem keinen Plan, aus dem Export von in der EU wegen Gesundheits- und Umweltrisiken verbotenen Chemikalien auszusteigen. Fazit: Der Vorstand verstoße gegen die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte, zu denen sich Alzchem explizit bekenne.
Bei der Hauptversammlung will die Landarbeiterin Dina Ndleleni den Aktionären sagen, dass sie im Juli 2022 während der Arbeit bei einem südafrikanischen Tafeltraubenproduzenten mit Dormex vergiftet worden sei. „Meine Lunge wurde so geschädigt, dass ich meinen Arbeitsplatz und mein Einkommen verlor, weil ich arbeitsunfähig war“, so die Südafrikanerin. „In den sieben Jahren, in denen ich auf der Farm gearbeitet habe, habe ich weder eine persönliche Schutzausrüstung noch eine Schulung oder Informationen über die verwendeten Pestizide erhalten.“ Sie verlangt von Alzchem Hilfe bei ihrem Kampf um eine Entschädigung durch die Farm.
Hersteller weist Vorwürfe zurück
Der Vorstand argumentiert in seiner Stellungnahme zu dem Antrag damit, dass Dormex die Produktion von Früchten und Nüssen in Regionen wie Kalifornien oder Südafrika ermögliche, in denen sie „klimatisch nur schwer oder unter großem wirtschaftlichen Risiko möglich wäre“. So leiste das Mittel „einen wichtigen Beitrag zur gesunden Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung.“ Weder weniger gefährliche Produkte noch andere Techniken könnten Landwirten beim Problem mit der ausbleibenden Winterkälte helfen.
Wenn Alzchem kein Cyanamid mehr produzieren würde, würden die Kunden „von anderen, oft weniger zuverlässigen Lieferanten bedient.“ Die Händler des deutschen Unternehmens dagegen klärten die Anwender in Schulungen über potenzielle Gefahren auf. „Landwirte und Anwender werden persönlich unterrichtet, wie man das Produkt sicher einsetzt.“ Es werde auch darauf geachtet, dass es vor Ort ausreichend persönliche Schutzausrüstung gebe. In manchen Ländern habe das Unternehmen selbst zum Beispiel Handschuhe kostenlos zur Verfügung gestellt.
Für die Verbraucher sieht Alzchem sowieso keine Gefahr: Da Cyanamid schon Wochen vor dem Austrieb eingesetzt werde, sei ausgeschlossen, dass zum Erntetermin in den Trauben oder Äpfeln noch Spuren der Chemikalie zu finden sind.
Doch Peter Clausing, Toxikologe der Umweltorganisation Pestizid-Aktionsnetzwerk, weist die Verteidigung des Konzerns zurück: „Die Behauptung von Alzchem, Dormex sei sicher in der Anwendung, ist völlig inakzeptabel. Nach Angaben der europäischen Behörden wird der zulässige Grenzwert für den Anwender selbst mit persönlicher Schutzausrüstung um mehr als das 60-fache überschritten.“ Clausing verweist auf ein Gutachten der EU-Behörde für Lebensmittelsicherheit zu Cyanamid.
„Dormex wird aus wirtschaftlicher Zweckmäßigkeit eingesetzt – nicht aus der Not heraus“, ergänzt Silke Bollmohr, Referentin der Entwicklungsorganisation Inkota. Viele Weinbaubetriebe in den betroffenen Regionen würden erfolgreich ohne Dormex arbeiten – „zum Beispiel durch den Anbau von Rebsorten, die von Natur aus an milde Winter angepasst sind.“
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