Expo in Osaka: Holzring statt Glaskugel
Die Länder auf der Weltausstellung in Japan zeigen sehr unterschiedliche Zukunftsvisionen. Warum sollten wir überhaupt so konkret darüber nachdenken?

Auch in zwei der acht Signature Pavillons, mit denen Gastgeber Japan seine offizielle Vision inszeniert, geht es um KI, die in der Zukunft eine alltägliche Lebensform sein wird. Erzählt wird beispielsweise die Geschichte einer Großmutter, die nicht sterben, sondern weiterhin Zeit mit ihrer Enkelin verbringen möchte – und sich fragt, wie es wäre, wenn sie dafür zur KI wird und als Android weiterlebt. Sie fragt einen Zen-Mönch um Rat, ob das wirklich „Leben“ sei, und erhält die vielsagende Antwort: „Näher wirst du ihm nicht kommen.“
Diese großen Zukunftsentwürfe erinnern nicht nur an die Visionen verschiedener technologie-optimistischer Pioniergemeinschaften des Silicon Valley. Sie werfen gleichzeitig auch Fragen auf: Ist dies wirklich die Utopie, die wir alle anstreben? Ist es wünschenswert, das Handeln in der Gegenwart hierauf auszurichten?
ist Professor für Kommunikations- und Medienwissenschaft am ZeMKI der Uni Bremen. Er forscht unter anderem zu digitalen Zukünften.
Doch finden sich auf der Expo 2025 auch andere Imaginationen. Sie ist durchzogen mit kleineren Zukunftserzählungen, die dichter am eigenen Leben liegen. Wie etwa im unscheinbaren „Future Life Village“ am Rande des Geländes, in dem Initiativen aus Japan in mehreren kleinen Pavillons ihre Ansätze für ein besseres, nachhaltiges Leben vorstellen.
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Statt großer KI-Visionen sind das sehr konkrete Projekte, die sich beispielsweise mit der Frage beschäftigen, wie in dem alternden und sich auf die Ballungszentren konzentrierten Land zukünftig junge Menschen zum Bleiben in kleineren Städten motiviert werden können. Oder es geht um den Aufbau eines „Desaster Reduction Learning Centres“ nach dem großen Erdbeben von Kobe 1995 und wie man die dabei gesammelten Erfahrungen auf andere Regionen übertragen kann, um mit zukünftigen Naturereignissen besser umgehen zu können.
Ganz nebenbei wird auch greifbar, dass das Potenzial von KI vielleicht eher in kommunikativen Anwendungen liegt, wie etwa einer auf der Expo praktizierten automatischen Synchronübersetzung von Diskussionen, durch die über Sprachbarrieren hinweg ein erstaunlich guter Austausch möglich ist.
Man sollte aber große und kleine Zukunftsentwürfe nicht einfach gegeneinander stellen. Beide sind vor allem deshalb wichtig, weil sie bei dem, was wir in der Gegenwart tun, eine Orientierung geben. Damit machen sie wiederum bestimmte Zukünfte wahrscheinlicher als andere. Das gilt im privaten – wie stellt man sich das eigene Leben in einem Jahrzehnt vor? – genau wie im gesellschaftlichen Bereich: Wie soll die Gesellschaft, in der wir leben, in 20, 30 oder 100 Jahren aussehen?

Eine Weltausstellung funktioniert wie ein Stimmungsbarometer der großen Zukunftsentwürfe. Repräsentativ sind die Zukunftsinszenierungen der verschiedenen Länder wie auch die Expo 2025 insgesamt: Sie liegt auf einer künstlich angelegten Insel, dort wird ihr Gelände durch eine als „Grand Ring“ bezeichnete, rund 20 Meter hohe Holzkonstruktion in historischer Bauweise umschlossen. Sie erinnert an das ausladende, kreisrunde Hauptquartier von Apple.
Innerhalb des Rings befinden sich neben den japanischen Signature Pavillons auch die der rund 160 beteiligten Länder, aufgeteilt in die Themenfelder „Connecting Lives“, „Empowering Lives“ und „Saving Lives“. Dort, wo die Pavillons mehr sind als Tourismus-, Industrie- und Politikwerbung, dominiert das eingangs skizzierte Bild der Gesellschaft der Zukunft: Sie löst die gegenwärtigen Probleme mit KI-Technologien und wird dadurch nicht nur lebenswerter, sondern auch ökologischer.
Bemerkenswert ist, dass ausgerechnet der deutsche Pavillon eine große Imagination von nachhaltiger Zukunft anbietet, die Technik nicht einfach abwehren oder nur regulieren möchte, wie ansonsten häufig in Deutschland der Fall, wenn digitale Zukünfte angesprochen werden. Titel des Pavillons ist „Wa!“, was im Japanischen mit drei unterschiedlichen Schriftzeichen geschrieben werden und so zugleich „Kreislauf“, „Harmonie“ und „Wow“ bedeuten kann.
Augenzwinkernd gibt es deutsche Küche unter anderem als Bratwurst auf kleinen Holzspießen, die Nationalfahne löst sich in Kringeln auf, die für die Kreislaufwirtschaft stehen, und der Pavillon selbst besteht aus mehreren runden Holzhäusern, die sich selbst regenerieren können. Im Inneren stellt ein Audioguide Projekte der Kreislaufwirtschaft vor. Gerahmt ist dies durch einen Einstieg in den Pavillon, bei dem Besuchergruppen gemeinsam ihre Zukunftsvorstellung einer nachhaltigen Stadt visualisieren – und abgeschlossen durch eine zum eigenen Handeln aufrufende immersive Projektion.
Der deutsche Pavillon in Osaka führt auf doppelte Weise vor Augen, warum wir auch große Zukunftsimaginationen brauchen. Er zeigt, wie sich kleine Einzelprojekte zu einer begeisternden Utopie einer zukünftigen Gesellschaft zusammenfügen können und warum diese erstrebenswert ist. Zugleich macht er aber deutlich, woran die letzte Regierung auch gescheitert ist: nämlich eine solche positive Vorstellung von Zukunft und einen damit verbundenen Aufbruch im eigenen Land kommunizieren zu können.
In diesen unterschiedlichen Herangehensweisen entfaltet die Expo 2025 ein besonderes Potenzial: Lösungen für einzelne Probleme der Gegenwart werden greifbar, kleine und große Visionen geben gemeinsam Orientierung für eine lebenswerte Zukunft. Nur wenn diese besteht, kann ein kollektives Handeln entstehen, eine gemeinsame Veränderung.
Dabei geht es bei solchen kollektiven Zukunftsvorstellungen nicht einfach nur um das gemeinsame Ausmalen einer schönen Zeit. Oft werden Finanz- und Strukturentscheidungen in der Gegenwart mit konkreten Zukunftsvorstellungen begründet, in Wirtschaft wie Politik: Geht man kollektiv von einer Zukunft aus, die durch militärische Konflikte gekennzeichnet ist, fällt man andere Entscheidungen, als wenn man kollektiv eine kommende nachhaltige, friedfertige Gesellschaft sieht. Gerade für kleine Projekte werden so die großen Visionen zentral, weil sie die Finanzentscheidungen bestimmen. Und genau deswegen ist es wichtig, dass wir uns auch um unsere digitalen Zukünfte mehr Gedanken machen. Osaka kann dafür ein Anfang sein.
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