Experte über islamistische Gewalt: „Prävention ist möglich“

In Dresden soll ein syrischer Islamist einen Mann erstochen haben. Islamwissenschaftler Michael Kiefer spricht über mögliche Hintergründe.

Blumen und Kerzen liegen auf einem Bordstein

Der Tatort knappe drei Wochen nach der Tat: Erinnerung an ein Opfer islamistischen Hasses Foto: Sebastian Kahnert/dpa

taz: Herr Kiefer, ein 20-jähriger Syrer, gerade aus der Haft entlassen, soll am 4. Oktober in Dresden einen Touristen erstochen und dessen Begleiter verletzt haben. Die Generalbundesanwaltschaft geht von einem islamistischen Terroranschlag aus. Was weiß man sonst noch über den Fall?

Michael Kiefer: Wir wissen, dass der mutmaßliche Täter 2015 aus Syrien nach Deutschland gekommen ist. 2017 hat er sich dem IS zugewandt, 2018 ist er wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verurteilt worden. Interessant ist, dass er seine Haftstrafe bis zum letzten Tag absitzen musste. Das ist bei Jugendstrafen ungewöhnlich und ein Hinweis, dass die Resozialisierung in der Haft nicht gut lief. Er wurde ja nach der Entlassung auch unter Führungsaufsicht gestellt …

… das bedeutet?

… zum Beispiel, dass er sich regelmäßig melden muss oder sich an bestimmten Orten nicht aufhalten darf.

Das war offenbar zu wenig. Er soll sich als Attentäter angeboten haben, auf seinem Handy waren Anleitungen für Selbstmordattentate. Was wäre die Alternative zur Führungsaufsicht gewesen?

Sicherheitsverwahrung gibt es bei Jugendlichen nur bei langjährigen Haftstrafen. Möglich gewesen wäre eine Observierung, die aber personalintensiv ist und richterlich genehmigt werden muss. Ich warne davor, aus der Ferne und ohne Details der Risikoanalyse zu kennen, der Polizei und den Behörden Fehler zu attestieren.

Mit was für einem Typus von Täter haben wir es tun?

Der mutmaßliche Täter von Dresden ist kein anerkannter Asylbewerber, er hat einen Duldungsstatus. Es gibt drei Taten von Flüchtlingen ohne Bleibeperspektive oder mit schwierigen Lebensperspektiven, die an diesen Fall erinnern. 2018 gab es in Hamburg einen Messerangriff von einem jungen Flüchtling, der in einem Flüchtlingsheim lebte und psychische Probleme hatte. Er stach willkürlich auf Passanten ein.

In Köln gab es 2018 einen ähnlichen Fall. 2020 verletzte ein Iraker in Berlin mit seinem Auto gezielt Motorradfahrer schwer. Bei den Tätern haben wir es, bei aller Vorläufigkeit, mit instabilen Persönlichkeiten zu tun, die in wenig geordneten Verhältnissen leben und nur unzureichend psychosozial betreut waren. Das Milieu vor allem junger Flüchtlinge ist für islamistische Gruppen als Rekrutierungsfeld interessant.

Sie haben sich mit Chatprotokollen von Islamisten befasst. Mit welcher Erkenntnis?

geboren 1961, ist Islam- und Politikwissenschaftler. An der Universität Osnabrück befasst er sich mit Phänomenen der Radikalisierung.

Bei Radikalisierungen von Jugendlichen spielen fast immer kritische Lebensereignisse wie der Tod von Angehörigen oder schulisches Scheitern eine Rolle. Der Weg in den Islamismus ist oft eine Flucht aus einem als frustrierend empfundenen Alltag. Wie weit die Radikalisierung geht, hängt oft davon ab, ob die Jugendlichen zu ihrem familiären Umfeld noch intensive Kontakte haben. Wenn nicht, ist die Radikalisierung wahrscheinlicher. Es gibt ein Bündel von Faktoren.

Lassen sich Radikalisierungen bei Geflüchteten verhindern?

Prävention ist möglich. Die Unsicherheit, ob man bleiben kann, und die Unmöglichkeit, eine berufliche Ausbildung zu machen, fördern die Empfänglichkeit für Radikalisierungen. Aber wir wissen aus der Kriminalprävention, dass die auch immer scheitern kann.

Es gibt also keinen Katalog von Maßnahmen, der die Gefahr von gewaltsamen Radikalisierungen wirksam begrenzt und senkt?

Der israelische Psychologe Haim Omar hat das wegweisende Konzept der „wachsamen Sorge“ entwickelt. Das kann sozialarbeiterisches Monitoring umfassen, aber auch polizeiliche Maßnahmen. Aber auch hier gilt: Vorsicht mit Verallgemeinerungen. Es gibt auch spontane Gewalttaten, die kaum voraussehbar sind.

Sind die Präventionsmaßnahmen in Deutschland ausreichend?

Man muss schon sagen, dass Deutschland, verglichen mit Frankreich, viel Geld in die Hand genommen hat, etwa für das Bundesprogramm „Demokratie leben“. Wie wirksam das ist, kann man nicht exakt sagen, weil es nur wenig Forschungen dazu gibt.

Auffällig ist, dass es sich in Dresden, Berlin, Köln und Hamburg offenbar um Einzeltäter handelt.

Man muss das von organisierten Taten wie dem Massaker in Bataclan in Paris 2015 oder Attentaten von al-Qaida unterscheiden. Wir wissen noch nicht nicht, ob die Straftat in Dresden geplant war oder spontan erfolgte.

Gibt es Ähnlichkeiten zu rechtsextremen Tätern wie in Hanau und Halle?

Ja, weil es sich um radikalisierte Einzeltäter handelt. Ansonsten nicht. Halle und Hanau waren langfristig geplante Taten, die Opfer sind gezielt ausgesucht worden. Bei Messer­attentaten, die oft aus Alltagssituationen entstehen, ist das meist nicht der Fall.

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