ExpertInnen zu islamischer Theologie: „Imame werden die wenigsten“
In welchen Berufen landen AbsolventInnen der Islamischen Theologie? Eine Studie will das erfassen. Ein Gespräch mit den ForscherInnen dahinter.
taz: Seit 2010/11 kann man an mehreren Universitäten Islamische Theologie oder Religionspädagogik studieren, mittlerweile sind es sieben Institute. Was wissen wir über die Studierenden?
Constantin Wagner: Über den Hintergrund und die Motivation der Studierenden wissen wir schon ziemlich viel. Derzeit haben wir an den sieben Standorten in Deutschland mehr als 2.500 Studierende, die allermeisten identifizieren sich selbst als Muslime. Von denen, die ein klares Berufsziel haben, wollen die meisten Lehrer:innen werden.
Ein Großteil studiert aber, ohne zu wissen, in welchem Feld sie später einmal arbeiten wollen, sie haben das Studium vor allem aus Interesse aufgenommen. Was sie mit ihrem Studium anfangen, wissen wir nicht. Die ersten Absolvent:innen haben ja erst vor fünf, sechs Jahren die Unis verlassen. Genau deswegen machen wir jetzt eine groß angelegte Verbleibstudie. Dafür wollen wir zwei Abschlussjahrgänge an den fünf schon länger etablierten Instituten befragen: Wie lief der Berufseinstieg? Wo arbeitet ihr heute? Und: Werdet ihr angemessen bezahlt?
Was vermuten Sie?
Naime Çakir-Mattner: Ich weiß von vielen Studierenden, dass sie mit Jugendlichen, Frauen oder Familien arbeiten möchten. Das liegt möglicherweise an dem sehr hohen Frauenanteil, den man in allen Studiengängen der Islamischen Theologie sieht. Generell kann man sagen, dass neben dem Lehramt Soziale Arbeit oder der recht neue Bereich der muslimischen Seelsorge ein naheliegendes Berufsfeld ist.
Jan Felix Engelhardt: Wir gehen davon aus, dass uns der hohe Frauenanteil auch Erkenntnisse über den – vermutlich deutlichen – Gender Pay Gap zwischen männlichen und weiblichen Absolvent:innen liefert sowie über die Verteilung von Voll- und Teilzeitstellen. Wir wollen aber auch zusammentragen, wie gut das Studium für die verschiedenen Berufe qualifiziert. Bisher fehlt im Vergleich zu den kirchlichen Theologien bei der Islamischen Theologie eine klare Struktur, wie die Absolvent:innen anschließend in den Beruf kommen, wie etwa bei einem katholischen Priesterseminar oder einer Diakonenausbildung.
Die Politik wünscht sich ja vor allem, dass die Islamische Theologie – etwa mithilfe des neuen Islam-Kollegs in Osnabrück – in Deutschland ausgebildete Imame hervorbringt, die in die muslimischen Gemeinden hineinwirken sollen. Ist dieser Beruf für die Studierenden überhaupt ein Thema?
Jan Felix Engelhardt ist Geschäftsführer an der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG).
Naime Çakir-Mattner ist Professorin für Islamische Theologie mit Schwerpunkt muslimische Lebensgestaltung an der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Constantin Wagner ist Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Heterogenität an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz.
Engelhardt: Bisher werden nach unserer Wahrnehmung die wenigsten Absolvent:innen Imame. Daran wird auch das neue Kolleg in Osnabrück wenig ändern können. Auch wenn mehr Studierende dieses Berufsziel hätten: Den meisten muslimischen Gemeinden in Deutschland fehlt es schlicht an finanziellem Spielraum, gut ausgebildete Imame entsprechend zu bezahlen.
Das ist ja auch ein Grund, warum für Ditib-Gemeinden die sogenannten Import-Imame aus der Türkei so praktisch sind. Sie müssen nicht bezahlt werden. Das ist die eigentliche Crux bei der Imam-Ausbildung. Und übrigens auch bei anderen Berufen. Die muslimischen Gemeinden können sich qualifiziertes Personal oft nicht leisten.
Wagner: Meine Beobachtungen gehen auch in diese Richtung. Zudem sehen Politik und Gesellschaft Studierende der Islamischen Theologie immer noch als Integrationsagenten. Dazu scheint zu passen, dass der Anteil der Studierenden aus Nichtakademikerfamilien bei der Islamischen Theologie mit rund 70 Prozent deutlich höher ist als bei anderen Studiengängen.
Studierende berichten, dass sie einen gewissen gesellschaftspolitischen Druck spüren: Ihr habt studiert, jetzt wirkt bitte im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung in die muslimische Community hinein. Diese Erwartung ist überzogen und problematisch.
Inwiefern?
Wagner: Einerseits geht sie davon aus, dass antidemokratische Tendenzen in der muslimischen Community dominieren würden, andererseits überfrachtet sie die Absolvent:innen mit einer doppelten Erwartung. Muslime, die beispielsweise als Religionslehrer:innen arbeiten, sollen nicht nur ihren Fachunterricht gestalten und (religiöses) Wissen vermitteln, sondern auch noch für die gesellschaftliche Integration zuständig sein.
Geht man davon aus, dass Muslime durch den Religionsunterricht integriert werden sollen, werden sie als bisher außerhalb der Gesellschaft stehend imaginiert. Was wir brauchen ist aber eine stärkere Anerkennung und Normalisierung von muslimischem Leben in Deutschland.
Manche Bundesländer wie Bayern oder Hessen bevorzugen einen staatlichen Islamunterricht ohne muslimische Partner. Was bedeutet das für angehende islamische Religionslehrer:innen?
Die Studie Die Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AWIG) führt die Verbleibstudie zusammen mit den Universitäten Gießen und Mainz durch. Gefördert wird das Forschungsprojekt durch das Bundesbildungsministerium (BMBF).
Das Studium Islamische Theologie bzw. Religionspädagogik wird an sieben Hochschulen in Deutschland angeboten. Aktuell gibt es insgesamt 2.500 Studierende in diesen beiden Fächern. Die ersten Studierenden haben 2010/11 das Studium aufgenommen.
Wagner: Es verunsichert Studierende. Sie wollen als Muslime ihre Religion unterrichten und wissen nicht, ob das so ohne Weiteres geht, wenn der Religionsunterricht in staatlicher Verantwortung liegt. Für Frauen spielt da noch die Frage rein, ob sie im Unterricht eine islamische Kopfbedeckung tragen dürfen.
Man darf nicht vergessen, dass die Strukturen noch sehr jung sind. Deutschlandweit erhalten momentan etwa 70.000 Schüler:innen islamischen Religionsunterricht. Nur in einigen Bundesländern läuft der bekenntnisorientierte islamische Religionsunterricht reibungslos. Die Politik sollte aufpassen, dass sie junge Muslime, die sich in die Gesellschaft einbringen möchten, nicht ausbremst.
Kann Ihre Studie helfen, solche Verunsicherungen aufzulösen?
Çakir-Mattner: Das hoffen wir. Vom Feedback der Absolvent:innen erwarten wir uns jedenfalls wertvolle Impulse. Bisher wissen wir nicht, wie gut oder schlecht der Berufseinstieg klappt. Für die Hochschulen ist diese Information wichtig, um nachsteuern zu können.
Und auch für Studieninteressierte ist es gut zu wissen: Welche Qualifikationen muss ich mir während des Studiums aneignen? Wenn sie das wissen, können sie möglicherweise auch aus den mittlerweile doch recht unterschiedlichen Angeboten für Islamische Theologie besser auswählen.
Engelhardt: Ich werde oft von jungen Menschen gefragt: Was bringt mir denn ein Studium der Islamischen Theologie? Darauf will ich ihnen antworten können.
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