Ex-Übergangspräsidentin von Bolivien: Jeanine Áñez muss 10 Jahre in Haft
Die rechtsgerichtete Politikerin wurde im Zusammenhang mit dem Putsch gegen ihren Vorgänger Evo Morales verurteilt. Ein weiterer Prozess gegen sie folgt.
La Paz afp | Boliviens ehemalige Übergangspräsidentin Jeanine Áñez ist im Zusammenhang mit einem angeblichen Staatsstreich gegen ihren Vorgänger Evo Morales zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Wie das Gericht am Freitag entschied, muss Áñez die Haftstrafe wegen „Pflichtverletzungen“ und verfassungswidriger Beschlüsse in ihrer Zeit als Senatorin in einem Frauengefängnis in La Paz verbüßen. Die rechtsgerichtete Politikerin sitzt bereits seit 15 Monaten in Untersuchungshaft.
Der Prozess gegen die 54-jährige Áñez hatte im Februar begonnen, am Dienstag forderte die Staatsanwaltschaft 15 Jahre Haft. In ihren Abschlussworten warf Áñez dem Gericht vor, Beweise nicht berücksichtigt zu haben, die den angeblichen Putsch gegen Morales widerlegen sollten. „Ich habe nie nach Macht gestrebt“, sagte sie.
Die frühere Vize-Senatspräsidentin Áñez hatte das höchste Staatsamt im November 2019 übergangsweise übernommen, nachdem der langjährige Präsident Morales angesichts von Massenprotesten und unter dem Druck der Armee zurückgetreten und ins Exil gegangen war.
Zu Beginn ihrer kurzen Präsidentschaft ordnete Áñez den Einsatz von Polizei und Militär auf den Straßen an, um die Ordnung wiederherzustellen. Nach Angaben einer Expertengruppe starben bei der Gewalt in jenen Tagen 35 Menschen. Nach dem Wahlsieg von Morales' Parteifreund Luis Arce bei der Präsidentschaftswahl im Oktober 2020 gab sie ihr Amt wieder ab.
Einen Monat später kehrte Morales nach Bolivien zurück und übernahm wieder die Führung der von ihm gegründeten Regierungspartei MAS. Im März 2021 wurde Áñez dann festgenommen, sie sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Regierung, Staatsanwaltschaft und das von der MAS dominierte Parlament werfen ihr vor, mit der Übernahme des Präsidentenamts die Verfassung gebrochen zu haben. Sie muss sich deshalb in einem weiteren Prozess wegen „Terrorismus“ und „Aufruhrs“ vor Gericht verantworten.
Die konservative Politikerin weist alle Vorwürfe als politisch motiviert zurück und trat im Februar in einen Hungerstreik.
Morales hatte Bolivien als erster indigener Präsident Lateinamerikas mehr als 13 Jahre lang regiert. Die Massenproteste gegen ihn richteten sich gegen seine umstrittene Kandidatur für eine vierte Amtszeit und seine von Manipulationsvorwürfen überschattete Wiederwahl.
Leser*innenkommentare
Lighfe
Es wird nicht erwähnt, dass die bolivianische Verfassung die Präsidentschaft auf 2 Amtszeiten beschränkt.
Man stelle sich vor Trump würde nach 2 Amtszeiten einfach noch eine 3te ranhängen. Und dann das Volk befragen, ob er sich noch für eine 4te Wahl aufstellen dürfe. Das Volk sagt NEIN. Daraufhin klagt Trump beim Supreme Court dies als sein "Menschenrecht" ein und stellt sich ein 4tes Mal zur Wahl auf.
Man brauch hier nicht über links oder rechts berichten. Das ist komplett irrelevant.
Es ist schade, dass eine Partei, die in Bolivien viel Gutes bewirkt hat so Macht geil wird.
Vielleicht berichtet man ja über die Pro-Russlandhaltung von Morales?
Dorian Müller
"Die Massenproteste gegen ihn richteten sich gegen seine umstrittene Kandidatur für eine vierte Amtszeit und seine von Manipulationsvorwürfen überschattete Wiederwahl."
Die Manipulationsvorwürfe waren unbegründet, was sogar von US-amerikanischen Kommissionen bestätigt wurde. Das sollte die TAZ aus Fairness hier auch so anführen. Ebenso die Tötung von unbewaffneten Zivilisten in Senkata mit MGs aus einem Polizei-Hubschrauber heraus, nur weil die sich protestierend vor ihrem Benzin-Depot in der Nachbarschaft gestellt haben, welches eine rechte Militäreinheit plündern wollte. Áñez hat Blut an den Händen.
Machiavelli
Hat Morales damals nicht über eine Verfassungsänderung abstimmen lassen um länger im Amt bleiben zu können die dann verloren und und versuchte dann trotzdem im Amt bleiben, muss er dafür auch 10 Jahre ins Gefängnis?
PolitDiscussion
Es ist schade, dass immer wieder progressiv gesinnte Regierungen und Personen meinen, sie würden die Welt mit Rache und Härte verbessern. Natürlich müssen die damaligen Verbrechen aufgeklärt werden, aber am Ende führt die Aburteilung und das Verschwinden der Gegnerin im Knast zu keinerlei politischer oder menschlicher Verbesserung. Es ist im Gegenteil diese Politik der Härte, die entscheidend mit dazu beigetragen hat, dass viele linke und progressive Ansätze nicht zu einer mitmenschlicheren Gesellschaft führten. Haftstrafen sind zu vermeiden, wo sie nur zu vermeiden sind und Resozialisierung und neue Chancen sollten das Maß der Strafgerichtsbarkeit sein. Letztlich zeigen auch empirische Studien, dass mit so einem Ansatz Gesellschaften wesentlich besser fahren.
TeeTS
@PolitDiscussion Die Frau hat den Tod von mindestens 35 Menschen zu verantworten und einen Staatsstreich geführt. Die im Artikel angesprochenen Manipulationsvorwürfe sind längst widerlegt. Der Putsch gegen Morales war ein Staatsstreich einer von den USA gepushten Truppe. Dass sie dafür in den Knast wandert ist das Mindeste für Ihre Verbrechen. Dass Konserven jetzt schäumen, wenn sie tatsächlich mal für ihre Verbrechen belangt werden ist verständlich. In Europa, besonders Deutschland ist das ja eher unüblich (siehe Maskendeals, Scheuer, etc.)
Lighfe
@TeeTS Der angebliche Putsch.
Morales ordnete die Polizei an Gewalt gegen Demonstrierende anzuwenden (Volksrepublik China Style). Diese legte daraufhin ihre Waffen nieder.
Daraus einen Putsch zu konstruieren ist fragwürdig.
Was für ein Putsch vorallem, bei dem Anez friedlich ihr Amt nach demokratischen Wahlen wieder abgibt. Wäre denke ich ein Novum in der Geschichte.