Ex-Star-Banker über Finanzsystem: "Es klappt, solange wir dran glauben"
Willi Hemetsberger war der Star unter Österreichs Investmentbankern. Jetzt redet er Klartext: Banken rechnen mit dem Crash - je größer, desto besser.
taz: Herr Hemetsberger, ist Geld eigentlich ein Mysterium? Die Leute rennen ihm doch nach.
Willi Hemetsberger: Die Leute rennen den Möglichkeiten nach, die ihnen Geld gibt.
Aber das Nachrennen alleine schafft schon Möglichkeiten.
Das wäre ohne Geld auch so, nur ineffizienter.
Und trotzdem, fast wäre er zusammengebrochen, der Kapitalismus. Warum eigentlich?
Das liegt an den Immobilien. Das sind die größten Vermögensposten eines Landes. Deswegen haben Immobilienkrisen immer schon Bankensysteme ruiniert. Das ist ja eigentlich auch kein Wunder.
Aber diesmal ist die Krise doch besonders beängstigend. Was ist anders?
Amerikas Hauspreise sind in den vergangenen fünfzig Jahren noch nie zurückgegangen. Auch kluge Ökonomen haben einem erklärt, dass das weiter der Fall sein wird. Weil Amerika in den kommenden 20 Jahren um 150 Millionen Menschen wachsen wird. Darum sagten die für die Kreditvergabe Verantwortlichen in den Banken: Wir haben eine verlässliche statistische Sicherheit. Und man ging dazu über zu sagen: Da kann ich jemanden auch 100 Prozent des Kaufpreises borgen. Und reparieren muss er das Haus auch noch. Also borge ihm doch gleich 120 Prozent. Jetzt fragt man sich: Wie soll das jemand zurückzahlen? Aber er muss es ja nicht aus seinem Einkommen heraus zurückzahlen, weil die Häuserpreise weiter steigen, wie schon in den vergangenen 50 Jahren. Er wird es irgendwann mit Gewinn verkaufen.
Warum ist die Blase dann geplatzt?
Vor zwei Jahren setzte dann Inflation ein. Es gab plötzlich Engpässe. Damit stiegen die Zinsen, auch die Immobilienzinsen. Viele konnten ihre Zinsen nicht mehr bezahlen, sie haben ihre Häuser verloren. Plötzlich waren viele Häuser als Notverkäufe am Markt. Also fielen die Preise. Das ist alles ganz normal. Abnormal ist, dass das System so lange laufen und sich so aufblähen konnte.
Warum?
Aus zwei Gründen, die Staatsversagen und Marktversagen kombinieren. Grund eins ist das Verhalten der asiatischen Staaten, vor allem Chinas. Sie haben 3 Billiarden Dollar in amerikanische Staatsanleihen und ähnliche Papiere angelegt, um den Dollar künstlich hoch zu halten - und so ihre Währungen künstlich niedrig. Eigentlich müsste ja ein Überangebot an Dollar da sein und der Dollar müsste sinken. Das passierte nicht, weil die asiatischen Regierungen sich mit einer merkantilistischen Wirtschaftspolitik dagegen gewehrt haben. Das führte dazu, dass die Zinsen in den USA trotz der hohen Verschuldung sehr niedrig geblieben sind.
Deswegen gab es auch keinen Inflationsdruck, weil die überschüssigen Dollars nicht zur Geldvermehrung im Inland geführt haben?
Es gab diesen Inflationsdruck vor allem deshalb nicht, weil 500 Millionen Chinesen in den kapitalistischen Wirtschaftsprozess eingetreten sind. Sie haben Güterproduktion übernommen zu Preisen, die nur einen Bruchteil der bisherigen ausmachten. Das hatte natürlich einen irren deflationären Druck: Die Dinge wurden billiger. Normalerweise hätte nämlich während einer Boomperiode die Inflation angezogen, es wären die Zinsen gestiegen und die Kreditblase, mit der all die Häuser finanziert wurden, wäre schon viel früher abgestochen worden. Aber aus den genannten Gründen konnte das System, das an sich nicht lange funktionieren konnte, so lange überstehen.
Und das Marktversagen, von dem Sie gesprochen haben?
Das fand auf Seiten der Banken statt. Was die großen Banken betrifft, da gibt es ein systemisches Marktversagen. Wenn Banken in den Konkurs gehen, hat das derartige externe Folgekosten, dass das der Wirtschaft mehr schadet als den Anteilseignern der Bank. Deshalb haben Banken eine implizite Rettungsgarantie. Sie können nicht bankrottgehen. Gleichzeitig gab es seit den Achtzigerjahren eine massive Deregulierung der Banken.
Sie wissen, im Notfall werden sie gerettet. Beeinflusst das tatsächlich das Verhalten der Banker?
Natürlich beeinflusst sie das. Sie können sich gegen dieses Bewusstsein gar nicht wehren.
Sie haben es also stets im Hinterkopf?
Nicht nur die Banker! Jeder hat es im Hinterkopf. Auch der Sparer. Das ist sogar sehr wichtig für das System, dass darauf jeder vertraut. Man legt sein Geld auf die Bank und weiß, es kann nichts passieren. Es gibt also eine Staatsgarantie - und gleichzeitig einen harten marktwirtschaftlichen Konkurrenzkampf. Und das ist eine fatale Mischung.
Warum?
Die Banken haben Anleger, die sagen, wir wollen 20 Prozent Kapitalrendite. Aber das ist in einer Wirtschaft, die um 3 Prozent wächst, immer und für alle einfach nicht möglich. Was macht die Bank? Sie nimmt immer weniger Eigenkapital, setzt immer mehr geborgtes Geld ein - die berühmte Hebelwirkung der Fremdfinanzierung, auch "Leverage" genannt, um die Gewinne hochzutreiben. Die Banken benötigen dafür Kredite von anderen Banken. Aber die bekämen sie natürlich nicht oder nur viel schwerer, wenn man nicht wüsste, im Fall der Fälle wird schon nichts passieren.
Das berühmte "Moral-Hazard"-Problem, in dem sich Personen anders verhalten, weil sie nicht allein das Risiko ihres Handelns tragen …
… ein Problem, das das gesamte Finanzsystem durchzieht. Es gibt hier ein schlagendes Beispiel aus der sogenannten Savings-&-Loans-Crisis der Achtzigerjahre - damals krachten die amerikanischen Sparkassen. Bis in die Achtzigerjahre war reguliert, wie viel Sparzinsen eine Bank bezahlen darf. Diese Schranke wurde aufgehoben. Daraufhin haben die aggressiven, risikoaffinen Banken diese Zinsen erhöht. Die ordentliche konservative, also risikoscheue Bank fragte sich: Wie kann ich da noch konkurrieren? Normalerweise wäre ihr Vorteil, dass bei ihr das Geschäft sicherer ist. Aber aufgrund der staatlichen Garantien sind die Einlagen natürlich überall gleich sicher. Deswegen gehen ja auch die Sparer zum aggressiveren Institut. Sie tragen also zum System des "Moral Hazard" mit. Die Sparer arbeiten daran mit, die konservativen Banken aus dem System zu treiben. Und das ist wieder genau die Mischung aus Deregulierung und Regulierung, die nicht funktioniert.
Woher kommt eigentlich dieses wachsende Volumen? Woher kommt das Geld?
Geld ist nur Kredit. Wenn man in das Bankensystem hundert Euro reinträgt, dann verborgen die viel mehr als hundert Euro an Firmen. Sie wissen ja, es wird nicht jeder gleichzeitig das Geld bei ihnen abziehen. Das ist die Grundlage des Bankwesens. Aber der Kredit ist aufgeblasen worden. Von 12 Billiarden US-Dollar 1980 auf etwa 200 Billiarden US-Dollar in weniger als dreißig Jahren. Das ist Kreditwachstum.
Dem faulen Kredit, der auffliegt, müssen also keine Werte und Guthaben gegenüberstehen?
Genau. Immer weniger muss dem gegenüberstehen.
Dass aber Kredite - also Schulden - zu Wertpapieren gebündelt und somit als "Werte" verkauft werden können, erscheint dem Laien schon reichlich wundersam.
Nun, das gab es immer schon, dass man Hypotheken verbriefte und am Markt verkaufte - etwa mit dem Pfandbrief. Allerdings ist in die Bündelung der Ausfallkredite viel Junk hineingeraten. Man sah sich die historische Kurve der Ausfallsraten an - und nahm deshalb schlechtere Hypotheken in das Bündel hinein. In dem Moment, in dem man den Markt "versteht" und sich viele Akteure entsprechend verhalten, verhält sich der Markt nicht mehr wie bisher. Denn die bisherigen Ausfallsstatistik beruhte ja auf einem Markt, auf dem Kredite von Banken an Firmen vergeben wurden, mit denen sie langfristige Beziehungen hatten - die sie also genau kannten. Wenn du Kredite nur mehr vergibst und sofort weiterverkaufst und damit auch das Risiko los bist, wirst du nicht mehr so viele Ressourcen für Abteilungen reservieren, die die Firmen im Auge behalten. Das ist dann ja nicht mehr dein Problem.
Und so werden die Kredite leichter vergeben.
Na klar, die Entscheidung, ob du einen Kredit vergibst, mit dem du zehn Jahre leben musst, ist eine andere, als wenn du ihn vergibst und weißt, innerhalb von dreißig Tagen habe ich den verkauft.
Wie kann man Risiken überhaupt kalkulieren, wenn das Eintreten des Erstrisikos notwendigerweise einen Dominoeffekt auslöst?
Das ist eben das Problem. Ich kann eine mathematische Normalverteilung des Risikos berechnen, aber das ist hochgradig fragwürdig, aus exakt diesem Grund. Natürlich nehmen Banken regelmäßig Risikoabschätzungen vor, sie berechnen Weltuntergangsszenarien.
Echt? Sie spielen durch, was passiert, wenn alles zusammenbricht?
Sie rechnen im Modell durch, was geschieht, wenn - sagen wir - 50 Produkte von der Standardabweichung ausscheren, wenn wir ganz weit ins Tal fahren. Das wird dann dem Risikokomitee vorgelegt, das sagt, ja, mathematisch stimmt das alles, aber wir halten es für so unwahrscheinlich, dass wir es ignorieren.
Und dennoch: Geld vermehrt sich. Das Verhältnis des "realen" Geldes, das man anfassen kann, zum Geldvermögen ist fantastisch.
Das ist nicht fantastisch, das ist eine Formel. Sicherlich, in der Formel ist viel drinnen. Etwa: wie sicher wir die Welt sehen. Und funktionieren tut das alles nur, solange wir daran glauben. Es gibt keine Wirtschaft ohne Psychologie.
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