piwik no script img

Ex-PEN-Präsidentin über Taiwan und China„Taiwan könnte ein Vorbild sein“

Die Menschenrechtsaktivistin und frühere PEN-Präsidentin Tienchi Martin-Liao erlebte die Diktatur in Taiwan. Sie spricht über China als Gefahr.

Rotes Idyll: Blütenmeer in der taiwanischen Hafenstadt Kaohsiung Foto: Ann Wang/reuters
Julia Hubernagel
Interview von Julia Hubernagel

taz am wochenende: Frau Martin-Liao, in der Meerenge von Taiwan kam es erst vor wenigen Tagen zu einer Konfrontation zwischen einem US-amerikanischen und einem chinesischen Schiff. Wie ernst muss man die chinesischen Drohgebärden nehmen?

Tienchi Martin-Liao: Chinesische Drohgebärden sind in Taiwan nichts Neues, das geht seit Jahrzehnten so. In letztem August jedoch, als die US-Demokratin Nancy Pelosi Taiwan besucht hat, ist die Situation eskaliert. Früher gab es zumindest die Regelung, dass chinesische Kriegsschiffe oder Flugzeuge nicht die Mitte der Meerenge von Taiwan überqueren. Jetzt kreisen tagtäglich Kriegsschiffe und Militärflugzeuge um Taiwan.

Bild: privat
Im Interview: Tienchi Martin-Liao

geboren 1947 in Nanjing, China, ist Autorin, Übersetzerin und Menschenrechtsaktivistin. Sie studierte Englische Literatur an der Nationaluniversität in Taipeh und war ab den 1970er Jahren erst am Institut für Asienkunde in Hamburg und anschließend als Dozentin für Chinesische Literatur an der Ruhr-Universität Bochum tätig. Ab 2001 war sie Direktorin der NGO Laogai Research Foundation in Washington, D. C., USA, und Präsidentin des Unabhängigen Chinesischen PEN von 2009 bis 2013 sowie 2016 bis 2020. Tienchi Martin-Liao ist heute als Beraterin für die NGO Democracy Without Boders tätig und lebt in Köln.

Der Ukrainekrieg hat sicher auch in Taiwan Ängste vor einer Invasion geschürt, oder?

China ist nicht Russland. China hat international viel mehr Gewicht, die sogenannte „Volksbefreiungsarmee“ ist die zahlenmäßig größte Armee der Welt, auf höchstem Hightech-Standard. Die Bevölkerung Taiwans lebt seit Jahr und Tag unter dieser Bedrohung, ihnen ist die Gefahr bewusst. Trotzdem zeigen sie eine gewisse Gelassenheit, was ich sehr wichtig finde.

Regierungen in Europa und den USA zählen auf eine gute Beziehung zu China. Das hat zur Folge, dass grobe Menschenrechtsverletzungen wie die Inhaftierung von Millionen Uiguren in Xinjiang zwar kritisiert werden, aber kaum ernsthafte Konsequenzen für China mit sich bringen. Rechnet Taiwan im Kriegsfall mit der Unterstützung anderer Staaten?

Das ist nicht zu vergleichen. Obwohl es mit 11 Millionen sehr viele Menschen sind, handelt es sich bei den Uiguren um eine ethnische Minderheit. Die Uiguren haben eine ganz andere Kultur, Religion, andere Traditionen. Peking vertritt eine unmenschliche Minderheitenpolitik, nicht nur den Uiguren, auch den Tibetern und den Menschen in der Inneren Mongolei gegenüber. Taiwan ist jedoch spätestens seit 1949 ein unabhängiges Land, als Tschiang Kai-schek aus China vor den Kommunisten floh und den Regierungssitz der „Republik China“ nach Taiwan verlagerte. Das ist bis heute der internationale Name Taiwans, eines freien Landes.

Auf dem Demokratieindex von 2022 belegt Taiwan den 10. Platz, vier Plätze vor Deutschland.

Und dennoch schrumpfen international die Handlungsoptionen Taiwans immer weiter. Nur 14 Staaten erkennen Taiwan an, ein Land, das sich aus eigener Kraft von einer, ich nenne es mal „weichen Diktatur“ zu einem demokratischen Land entwickelt hat. Dass das international, insbesondere von den westlichen Staaten, nicht anerkannt wird, ist eine Schande. Aber man muss natürlich realistisch bleiben: Wer möchte schon mit China einen Krieg führen?

Das heißt, das Beste für Taiwan ist, alles bleibt genauso wie bisher, um China nicht zu provozieren?

Ja, den Status quo erhalten. Was ich zudem glaube, hoffe: Selbst, wenn China Taiwan versuchen würde einzunehmen, würde das nicht so blutig ablaufen wie in der Ukraine. Peking kann es sich nicht leisten, die eigene Bevölkerung umzubringen. Natürlich sind wir Taiwaner, aber wir sprechen die gleiche Sprache, wir haben die gleiche Kultur wie die Chinesen. Ich denke, es gibt für Peking andere Methoden, Blockaden, digitale Attacken, um Taiwan zu schwächen.

Wie steht es um Fake-News-Kampagnen, spielen die im Konflikt eine Rolle?

Was eher eine Rolle spielt, ist die Einflussnahme Chinas auf taiwanische Medien. Es gibt viele Printmedien, Talkshows und Nachrichtensender, die sehr chinafreundlich sind. Ob aus Opportunismus oder sich daraus ergebenden persönlichen Vorteilen, möchte ich nicht beurteilen. Das Problem ist, dass die Taiwaner nicht mehr wissen, was es bedeutet, in einer Diktatur zu leben. Unter Tschiang Kai-schek – ich bin während seiner Regentschaft aufgewachsen, bin zur Schule und zur Uni gegangen – war es unangenehm. Aber es war keine harte Diktatur, die du tagtäglich spürst. Wenn China Taiwan einnimmt, ist Kritik nicht mehr möglich. Dass einigen in Taiwan ihre Freiheit nicht bewusst ist, macht mir Sorgen.

Lassen Sie uns über die Soft-Power Kultur sprechen. Sie selbst waren bis vor Kurzem lange Zeit Präsidentin des taiwanischen PEN.

Wir sind das unabhängige chinesische PEN-Zentrum. Das hat mit Taiwan eigentlich nichts zu tun, steht aber falsch im Internet, da haben Sie recht. Etwa die Hälfte unserer 200 Mitglieder lebt in China, die andere Hälfte im Exil. Wir versuchen, unsere Kollegen in China, Autoren und Journalisten, zu unterstützen und Aufmerksamkeit darauf zu lenken, wenn wieder jemand verhaftet worden ist.

Kann die Mitgliedschaft im PEN für in China lebende Au­to­r:in­nen problematisch werden?

Ja. Überwacht werden unsere Mitglieder in China alle. Einige werden immer wieder zur Polizei bestellt, erfahren psychischen Terror. Wenn es Unruhen im Land gibt, wie etwa beim White Paper Movement, als gegen die Corona­maßnahmen protestiert wurde, oder wenn hoher ausländischer Besuch nach China kommt, dann werden einige unserer Leute abtransportiert, raus aus Peking, und machen Zwangsurlaub in Polizeibegleitung. Der chinesische Staat hat allein wegen seiner Schriftsteller sehr hohe Kosten.

In Taiwan gibt es mit der konservativen, aktuell zweitstärksten Kuomintang (KMT) eine Partei, die sich als nationalistisch versteht, aber gleichzeitig für eine Annäherung an China eintritt. Was für ein Verständnis von Nationalismus hat man in Taiwan?

Da muss man unterscheiden: taiwanischer oder chinesischer Nationalismus. Ungefähr 14 Prozent der taiwanischen Bevölkerung kommen direkt aus China. Auch meine Mutter, meine Geschwister und ich sind 1949 nach Taiwan übergesiedelt. Mein Vater, ein KMT-General, hat den Befehl von Tschiang Kai-schek bekommen, weiter in der Provinz Sichuan zu bleiben, um gegen die Kommunistische Armee zu kämpfen. Als Mao und die KP die Macht im Land übernommen hatten, kam mein Vater als „Kriegsgefangener“ ins Gefangenenlager, wo er 1971 starb. Die meisten Taiwaner sind jedoch vor über 300 Jahren während der Qing-Dynastie auf die Insel gekommen. Die Taiwaner heute haben also ihre eigene Identität, aber eben nur teilweise. In der Schule zum Beispiel lernten wir nur die chinesische Geschichte und Geografie.

Und heute?

Heute ist das anders, die Schulbildung bezieht Taiwan mehr ein. Sie haben vorhin nach Nationalismus gefragt, ich würde es unter dem Punkt des Identitätsproblems sehen: Als was identifiziert sich ein in Taiwan lebender Mensch? Peking weiß sehr gut, wie es die Nationalismuskarte spielen muss. Es heißt dann: Wir sollten stolz darauf sein, Chinesen zu sein, Bürger eines großen und starken Landes. Andererseits beobachte ich auch, dass durch die Bedrohung durch China viele Leute sich stärker auf ihre Identität als Taiwaner besinnen.

Sie haben sich viel mit dem Laogai-System in China beschäftigt. Während der Regentschaft Tschiang Kai-scheks gab es auch in Taiwan solche Umerziehungslager. Ist diese Geschichte in Taiwan aufgearbeitet worden?

Der weiße Terror war viele Jahre ein Tabuthema in Taiwan. Taiwanische Politiker und Oppositionelle sind auf der „Grünen Insel“ gefangen gehalten worden. Das ist praktisch unser Archipel Gulag. Doch der Nachfolger Tschiang Kai-scheks, sein Sohn Tsching-kuo, hat kurz vor seinem Tod 1988 Taiwan freigegeben. Er hat den Ausnahmezustand aufgehoben, die Pressefreiheit eingeführt, andere Parteien zugelassen etc. Seit Ende der 80er Jahre ist Taiwan langsam aus dem Schatten der Diktatur herausgetreten. Ab den 90er Jahren wurde unter der neuen Regierung begonnen, die Geschichte aufzuarbeiten. Es wurde viel getan, um die Familien der Verfolgten und Ermordeten zu entschädigen. Ich denke, die jüngere taiwanische Geschichte könnte ein Vorbild für China sein. Die chinesischen Kommunisten haben unzählige Verbrechen begangen. Bis heute darf man nicht darüber sprechen. Taiwan ist ein Beispiel dafür, dass es möglich ist, von einer Diktatur friedlich in eine Demokratie überzutreten. Das muss man international doch anerkennen, das darf nicht verloren gehen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Was bitte ist so geil an Machtdemonstrationen und Kriegsspielen?

    Was richtig geil ist, wenn man dafür verantwortlich ist, dass es dem Volk gut geht, dass sie medizinisch gut versorgt sind, dass die Menschen sich selbstverwirklichen können, dass sie im Alter keine finanzielle Sorgen haben müssen - DAS IST RICHTIG GEIL!