piwik no script img

Evolutionäre AnthropologieWer war der Denisova-Mensch?

Fingerknochen aus einer sibirischen Höhle revolutionierten das Verständnis der Menschheitsgeschichte. Forschende auf den Spuren der Denisova-Menschen.

Archeologen bei der Arbeit in der siribirschen Denisova Höhle Foto: Alexandr Kryazhev/imago

Wissenschaftliche Sensationen messen sich nicht immer an ihrer Größe. Dies gilt auch für den ersten Nachweis eines Denisova-Menschen. Im Jahr 2008 entdeckten Forschende einen winzigen Fingerknochen in einer sibirischen Höhle. Zunächst hielt man ihn für den Knochen eines Neandertalers. Doch anstatt in einem russischen Museumsarchiv zu verstauben, gelangte der Knochen ins Labor von Johannes Krause am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Dort entnahm man eine winzige Probe und sequenzierte die mitochondriale DNA, die Erbsubstanz in den „Kraftwerken“ unserer Zellen, die ausschließlich von der Mutter vererbt wird und besonders nützlich ist, um frühe Verwandtschaftsverhältnisse in der Menschheitsgeschichte zu entschlüsseln.

Das Ergebnis verschlug den Forschenden die Sprache. „Es war ein Freitagnachmittag, als wir erkannten, dass wir eine bisher unbekannte Menschenform entdeckt hatten. Die DNA unterschied sich an 400 Stellen von den Erbinformationen moderner Menschen, wohingegen sich Neandertaler und heutige Menschen nur an 200 Stellen unterscheiden“, berichtet Johannes Krause. Noch am selben Tag rief er die gesamte Abteilung, inklusive des späteren Nobelpreisträgers Svante Pääbo, zusammen. Gemeinsam überprüften sie die Ergebnisse – immer und immer wieder. Doch das Resultat blieb unverändert: Das junge Mädchen, das vor etwa 70.000 Jahren seinen Finger einbüßte, war ein Denisova-Mensch – benannt nach der gleichnamigen Höhle im sibirischen Altai-Gebirge. Diese Menschenform tauchte vor etwa 400.000 Jahren in Asien auf und lebte zeitgleich mit modernen Menschen und Neandertalern. Letztere überdauerte sie vermutlich sogar – einige Spuren könnten jünger als 50.000 Jahre, vielleicht sogar 20.000 Jahre sein.

Wie die Vertreter dieser neuen Menschenform genau aussahen, was sie aßen und wie sie lebten, darüber ist wenig bekannt. „Mithilfe der Gene können wir bisher keine Gesichter rekonstruieren. Aber wir konnten zum Beispiel zeigen, dass das Mädchen aus der Denisova-Höhle vermutlich eher dunkle Haare und eine dunkle Haut hatte“, sagt Krause. Bis heute sind Funde, die sich eindeutig dem Denisova-Menschen zuordnen lassen, rar. Gerade einmal sieben Fossilien wurden offiziell publiziert. In der Denisova-Höhle wurden noch zwei Backenzähne gefunden. Aus dem Hochland von Tibet stammen ein 160.000 Jahre alter Unterkiefer und eine 40.000 Jahre alte Rippe. Es gibt noch einige altsteinzeitliche Zähne und Knochen, unter anderem aus China, die ebenfalls zu den Denisova-Menschen passen könnten. Im Telefoninterview spricht Krause von einigen spannenden Vorträgen und anstehenden Publikationen zu diesen Funden.

Einer dieser „Verdachtsfälle“ wurde im April 2025 der Öffentlichkeit vorgestellt: ein Kieferfragment vom Meeresboden des Penghukanals bei Taiwan. Das Fossil lag viele Jahre unbeachtet im taiwanischen Naturkundemuseum. Es wurde lange Zeit Säugetieren aus dem Pleistozän zugeschrieben. Die Meeresenge gehörte zeitweise zum asiatischen Festland; immer wieder werden hier Fossilien von prähistorischen Säugetieren gefunden. Besonders niedrig war der Meeresspiegel vor knapp 190.000 Jahren und vor 70.000 Jahren – das liefert auch den Zeitpunkt für die Datierung für diesen Fund. Eine Altersbestimmung oder gar eine DNA-Analyse war nämlich schlicht nicht möglich. Die Jahrtausende auf dem Meeresboden hatten ihre nachhaltigen Spuren hinterlassen, wie auch die völlig zufällige Bergung durch Fischer.

Auffallend große Backenzähne

„Stattdessen konnten wir Proteine aus den Kieferknochen und Backenzähnen gewinnen. Mindestens zwei der über 4.000 Aminosäurereste kommen nur bei den Denisova-Menschen vor“, erklärt Frido Welker, Professor für Biomolekulare Paläoanthropologie an der Universität Kopenhagen. Eins davon sei am Zahnwachstum beteiligt, das andere komme in Knochenfasern vor. Die Analyse der Proteine gilt zwar als ungenauer als eine Genomuntersuchung. Dafür zersetzen sich einige der im Skelett vorhandenen Proteine deutlich langsamer als DNA und lassen sich deshalb in älteren und schlecht erhaltenen Fossilien nachweisen. Auch anatomisch spricht einiges für diese These. Der Kieferknochen ist verhältnismäßig dick und die Zähne sind groß. Die auffallend großen Backenzähne sind eines der wenigen bekannten Merkmale der Denisova-Menschen.

„Dieser neue Fund liefert vor allem Einblick in das große Verbreitungsgebiet der Menschenform“, erklärt Welker. Der Fundort liegt etwa 4.000 Kilometer südlich der sibirischen Höhle und etwa 2.000 Kilometer südlich des tibetischen Hochlands. Klimatisch war es dort – ähnlich wie heute – deutlich milder als an den anderen Fundstellen in Sibirien und Tibet. Das spricht dafür, dass sich die Denisova-Menschen an viele verschiedene Klimazonen anpassen konnten – von Wäldern und Steppen über Gebirge bis zu warmen, feuchten Regionen. Bislang schrieb man diese Anpassungsfähigkeit vor allem den modernen Menschen zu.

Und noch etwas brachten die genetischen Analysen ans Licht: Ähnlich wie die Neandertaler haben auch die Denisova-Menschen Spuren in unserem modernen Erbgut hinterlassen. „Schuld“ daran ist vor allem der rege Austausch von Körperflüssigkeiten mit Homo sapiens und Neandertalern. So entdeckten die Forschenden die Knochenfragmente eines 13-jährigen Mädchens, Denny getauft, dessen Mutter eine Neandertalerin und der Vater ein Denisova-Mensch war. Auch mit modernen Menschen gab es solche „Hybride“ vermutlich häufiger.

So wurde im Genom von heutigen Menschen im tibetischen Hochland ein Gen entdeckt, welches vom Denisova-Menschen stammt und für eine besonders gute Anpassung an die Höhenluft sorgt. Bei den australischen Ureinwohnern und den Menschen in Papua-Neuguinea zeigte sich ein besonders hoher Anteil von Denisova-Genen. Im Pleistozän gehörten diese Regionen noch zum asiatischen Festland – und damit möglicherweise zum Verbreitungsgebiet der Denisova-Menschen. Ihr nicht unerheblicher Anteil im modernen Genom spricht für eine hohe Populationsgröße – jedenfalls für steinzeitliche Verhältnisse. Im gesamten ostasiatischen Raum lebten vermutlich bis zu 50.000 Denisova-Menschen gleichzeitig und hinterließen entsprechend viele Spuren.

Dieser neue Fund liefert vor allem Einblick in das große Verbreitungsgebiet der Menschenform

Frido Welker, Paläoanthropologe

Mehr Forschung notwendig

Einige davon werden Archäologinnen und Archäologen in den nächsten Jahren noch finden – sowohl in Sibirien als auch im tibetischen Hochland gibt es immer noch Grabungen. Andere liegen vermutlich schon vor unserer Nase, glaubt Johannes Krause. „Es gibt einige bekannte Funde, bei denen es sich um Denisova-Menschen oder direkte Verwandte handeln könnte“, sagt er. Um diese These zu prüfen, müsste man sämtliche Homo-Fossilien aus Asien im Alter zwischen 50.000 und 400.000 Jahren mit DNA- oder Proteinanalysen untersuchen.

Ein Kandidat für diese „Umschreibung“ könnten zum Beispiel die Flores-Menschen aus Indonesien sein. Sie wurden 2004 auf einer Insel entdeckt und als eigene Menschenform identifiziert – den Homo floresiensis. Diese Menschen waren kaum größer als ein Meter und lebten vor mehr als 60.000 Jahren. Einige Forschende halten es nicht für ausgeschlossen, dass es sich um einen Zweig der Denisova-Menschen handeln könnte, der durch das Leben auf der Insel „schrumpfte“. Um solche Vermutungen seriös zu prüfen, bedarf es weiterer Laboruntersuchungen. Sie könnte helfen, unser Bild über die bisher sehr unbekannte Menschenform weiter zu vervollständigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

2 Kommentare

 / 
  • "... dass das Mädchen aus der Denisova-Höhle vermutlich eher dunkle Haare und eine dunkle Haut hatte ..."



    Weiß das Putin? Hält man in seinen Kreisen nicht alles was nicht genauso käsig wie er ist nicht für eher unwert?

    • @Axel Schäfer:

      Das war eben eine Terroristin.