Evangelische Kirche und die Ehe für alle: Modernes Pharisäer*innentum
Die Traditionalisten wollen keinen Frieden geben: In der evangelischen Kirche wütet weiter der Kulturkampf um die Ehefähigkeit Gleichgeschlechtlicher.
Das Gesetz zur „Ehe für alle“ fand auch den überwiegenden Beifall von protestantisch gesinnten Christen, aber nicht von allen. Besonders prominent formulierten eine Art Widersprach zwei evangelische Superfunktionäre: Petra Bahr, Landessuperintendentin für den Sprengel Hannover, und Stephan Schaede, Leiter der Evangelischen Akademie Loccum (bei Hannover) in einem Beitrag für Christ und Welt, einst als Zeitungsmedium selbstständig, seit einiger Zeit der Wochenzeitung Die Zeit beiliegend.
Vorige Woche schrieben beide, innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft ausgewiesene Stimmen traditionalistischen Verständnis für modernes Christentum nichtkatholischer Provenienz, unter dem Titel „Der heilige Stand“ einen mahnend-kritisch gemeinten Text zur evangelischen Begeisterung für die „Ehe der alle“, die sie kritisieren, zugleich aber ist es ein Dokumenten wohlgesinnten Giftmischertums, ein Zettelkasten voller Klischees und moralischer Anmaßungen: „Warum die Kirchenleitung zur Abwechslung mal wieder an ihre Mitglieder denken sollte“, heißt es in der Unterzeile ihres Appells, was bei Lichte besehen die Aussage in sich trägt, das Lob höchster Würdenträger*innen in der Evangelischen Kirche Deutschlands sei über die Gefühle der evangelischen Christenheit in Deutschland hinweg gegangen worden. Diese „Argumente“ entsprechen rhetorisch einer klassischen Redeweise von AfD-Politikern (und, von links, der Linkspartei): Von oben sei etwas gegen die sogenannte Basis bestimmt worden.
Davon abgesehen, dass beide Autor*innen die theologische Grübelei zur Frage, was Ehe eigentlich bedeutet, durchweg bevölkerungspolitisch beantworten – mit dem Hinweis, dass die (heterosexuelle) Ehe die Zeugung von Kindern in den Mittelpunkt zu stellen habe –, kritisiert ihr Statement, dass der Gesetzgeber im Bundestag das Ehereformprojekt „Ehe für alle“ viel zu eilig beschlossen habe. Man habe nicht debattieren können:
„Was viele Christinnen und Christen in den Gemeinden irritiert, ist nicht nur die Geschwindigkeit, in der die evangelischen Kirchen ihre Haltung zu Ehefragen in den letzten Jahren verändert haben. Es ist die Konfrontation mit dem Umstand, dass es so etwas wie die Normativität des Normalen nicht mehr zu geben hat. Wer vorsichtige Vorbehalte gegen eine grundlegende Neubestimmung des Begriffs der Ehe äußert, hat ein Problem.“
Unter Christ*innen gab es ausufernde Erörterungen
Das aber ist eine Verkennung der Diskursverhältnisse in den evangelischen Landeskirchen, ja, in gewisser Hinsicht eine Lüge antilutherischsten Kalibers: Keine Frage wurde unter reformatorischen Sonnen so intensiv in den vergangenen 25 Jahren diskutiert wie die der Würdigung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen und ihrer Ehefähigkeit.
Kein Sprengel, der nicht homosexuelle Paarschaften heftig und in der Tat alle mitnehmend und abholend debattiert hätte – durchaus nicht immer zur Zufriedenheit von schwulen oder lesbischen Mitgliedern der Kirchen. Die sächsische Landeskirche akzeptiert bis dato nicht fraglos das Zusammenleben gleichgeschlechtlicher Theolog*innen in Pfarrhäusern.
Aber zu behaupten, die höchsten Funktionsträger*innen der EKD hätten sich Ende Juni in theologisch opportunistischer Art dem Bundestagsbeschluss löblich angeschlossen, führt ins biblische Nirwana: Es wäre wünschenswert gewesen, hätten andere gesellschaftliche Institutionen sich ähnlich hitzig diesem Thema gewidmet – aber gerade unter Christ*innen hat es hierzu ausufernde Erörterungen gegeben. Sie führten nur nicht zu Resultaten, die Bahr und Schaede gefallen.
Schwule würden die „Ehe für alle“ nicht wollen
Im Nachhinein zu wehklagen, ist billig – aber gefährlich, ja homophob gesinnt wird ihr Text dadurch, dass er von der jahrhundertelangen Praxis christlich gesinnter Verfolgung Homosexueller absieht: Und darüber können beide sehr wohl wissen. Sie behaupten, Schwule würden die „Ehe für alle“ gar nicht wollen, weil sie gar nicht dem Leben jener Heterosexueller entsprechen wollen. Ja, sie verweisen darauf, selbst Homosexuelle nicht zu diskriminieren, sie im Freundeskreis zu wissen:
„Wer schärfer fragt, gilt als homophob oder, etwas unbestimmter formuliert, als rückwärtsgewandt, in jedem Falle als die eigentliche Randgruppe, die die gesellschaftliche Fortentwicklung behindert und die Kirche zu einer kleinkarierten Nische verkommen lässt. Viele, die jetzt fast schamvoll leise Fragen stellen, haben weder ein Problem mit Homosexuellen noch mit gleichgeschlechtlichen Paaren im Freundes-, Familien- oder Kirchenkreis.“
Und zur Definition dessen, was Ehe zu sein hat:
„Zu diesen Kriterien wird eine Deutung der Ehe als einer monogamen Partnerschaft zählen. Es gilt zu entfalten, worin die hohe Gabe der Konzentration auf ein partnerschaftliches Gegenüber liegt. Wieso ist diese Konzentration eine Gnade, ein Segen? Was bedeutet es denn, im Partner ein von Gott anvertrautes Gegenüber zu erkennen, zu dem ich gerade auch dann kommen kann, wenn ich in meinem Leben anderen, mir selbst oder auch dem Partner etwas schuldig geblieben bin?“
Viele Freund*innen im rechtspopulistisch-klerikalen Milieu
Im Folgenden entfalten Bahr wie Schaede ein Bild vom Homosexuellen, der zur Monogamie nicht fähig sei, der sein Leben auf Lust, nicht auf Last setze und recht eigentlich keine Verantwortung ehelicher Prägung zu übernehmen bereit sein (kann): Das ist, man muss es kühl diagnostizieren, eine durchweg homophobe Perspektive auf schwule und lesbische Lebensentwürfe, das ist ideologisch nah am Tatbestand pharisäerischen Hetzertums – gekleidet in eine theologische Klassikersprache voller Verständnis.
Denn: Es könnte ja sein, dass schwule und lesbische Paare die Praxis des Seitensprungs sexuellen Inhalts kennen und auch leben – aber gilt das nicht erst recht für heterosexuelle Paare? Ist es nicht, biblisch gewendet, gerade die Qualität solcher theologisch gesinnter Formulierungen, den ersten Stein zu werfen und zu verkennen, in welchen Glashäusern man lebt?
Bahr und Schaede haben für ihren Text viel Kritik einstecken müssen, die Kommentarspalte der Zeit legt darüber Zeugnis ab. Es wäre wünschenswert, so lässt sich das Sinnen vieler dieser Kommentierenden bündeln, würden Schaede und Bahr von ihrer frömmlerischen Sicht lassen und sich auf das zu besinnen, was das Jesuanische schlechthin ihnen aufträgt: Vom bevölkerungspolitischen Auftrag des „Seid fruchtbar und mehret euch“ zu lassen, und den Spruch vor allem als Liebesgebot aller zu definieren. Bahr und Schaede haben jetzt mehr Freund*innen denn je im rechtspopulistisch-klerikalen Milieu. Das könnte ihnen zu denken geben.
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