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Europäischer KlimaschutzVon der Leyen sägt am Green Deal

Die EU-Kommission will Bürokratie abbauen und die Wettbewerbsfähigkeit stärken. Politiker und NGOs warnen vor den Folgen für Mensch und Natur.

Klimaschutz kommt in der neuen Arbeitsagenda von EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen nur noch am Rande vor Foto: Stephanie Lecocq/reuters

Brüssel taz | Mit dem Green Deal will die EU eigentlich bis 2050 klimaneutral werden. Doch fällt er jetzt dem Mantra der Wettbewerbsfähigkeit zum Opfer? Diese Sorge treibt Klimaschützer, Gewerkschaften und Verbraucherverbände um. Am Mittwoch wurde diese Befürchtung bei einer Aussprache im Europaparlament in Straßburg laut. Das Arbeitsprogramm der EU-Kommission für 2025 nährt die schlimmsten Befürchtungen.

„Dieses Programm weist den Weg zu einem wettbewerbsfähigeren Europa“, sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Im Mittelpunkt der Agenda stehe der Bürokratieabbau, betonte Wirtschaftskommissar Valdis Dombrovskis. Die EU habe die Zeit „intensiver Gesetzgebung“ hinter sich gelassen. Nun gelte es, das Regelwerk zu entschlacken.

Dombrovskis betonte genau wie von der Leyen, dass dies nicht zulasten der Klimaziele gehen werde. Doch ihr Arbeit­s­programm spricht eine andere Sprache. Es sieht nicht weniger als 35 „Fitness-Checks“ für bestehende EU-Regeln vor, außerdem kündigte die Kommission drei sogenannte Omnibus-Pakete zur Deregulierung an. Dabei geht es um den Versuch, mehrere EU-Gesetze auf einmal zu ändern. Das Handelsblatt verglich von der Leyens Vorstoß mit der Kettensäge des argentinischen Präsidenten Javier Milei. Ähnlich wie in Buenos Aires gehe es darum, die Gesetzgebung radikal zu beschneiden.

Brüssel hat sich viel vorgenommen: Neben den Berichtspflichten für Unternehmen will die EU-Kommission auch die ­Regeln für Investitionen, Produktsicherheit, Cybersicherheit und Landwirtschaft überarbeiten. So will sie die „bürokratischen Bürden“ für Unternehmen um mindestens 25 Prozent absenken.

Klimaziele nur noch am Rande

Zudem soll der „Aquis“, also die gesamte EU-Gesetzgebung, durchforstet werden – offiziell mit dem Ziel der Vereinfachung. Kritiker fürchten aber, dass es um Deregulierung geht. Für Unmut sorgt auch, dass die Kommission ein Programm für günstigen Wohnraum nicht mehr aufführt und die Klimaziele nur noch am Rande erwähnt.

Das treibt Klimaschützer, Gewerkschaften und Verbraucher-verbände in Brüssel auf die Barrikaden. „Weiter Umweltstandards abzubauen, wird die EU nicht wettbewerbsfähiger machen“, warnt Nabu-Präsident Jörg-Andreas Krüger. „Der Green Deal war und ist kein Hindernis, sondern der Schlüssel für Europas Wettbewerbsfähigkeit.“

Das Arbeitsprogramm der Kommission enthalte nichts für Arbeitnehmer, kritisiert der Euro­päische Gewerkschaftsbund EGB. Zwar habe von der Leyen den Unternehmen günstigere Energie versprochen. Doch für die Beschäftigten und Verbraucher sei ihr nichts eingefallen, sagte EGB-Generalsekretärin ­Esther Lynch.

Ähnlich äußerte sich der EU-Verbraucherverband BEUC. „Die Kommission darf nicht nur auf die Unternehmen hören“, so BEUC-Chef Agustín Reyna. Der Verbraucherschutz müsse ebenfalls Priorität genießen. Doch bei den Rechten der Bahnfahrer, bei der E-Privacy oder einem geplanten Gesetz zu künstlicher Intelligenz komme nichts.

Auch EU-Parlament besorgt

Nicht nur die Verbände machen sich Sorgen. Auch im EU-Parlament kommen Zweifel auf, ob sich von der Leyen noch an ihre Wahlversprechen gebunden fühlt und den Green Deal weiterführen will. Die Sozialdemokraten unterstellen der CDU-Politikerin, dass sie die Klimagesetze mit Hilfe von Rechtspopulisten aushöhlen will.

„Rückschritte sind inakzeptabel“, warnte René Repasi von der SPD. Auch die Grünen, die von der Leyen zur Wiederwahl verholfen hatten, um den Green Deal zu retten, verschärfen die Tonart. Die geplante Vereinfachung der Nachhaltigkeits­regeln sei „ein Paradebeispiel für schlechte Gesetzgebung“, sagte Anna Cavazzini, die Vorsitzende des Binnenmarktausschusses.

Ihre grüne Parlaments-Kollegin Alice Bah Kuhnke wittert sogar einen Skandal. Die EU-Kommission wolle ein geplantes Antidiskriminierungsgesetz zurückziehen, erklärte die schwedische Europaabgeordnete. Dies sei ein „Verrat“ an den Bürgern und am EU-Parlament. Von der Leyen sei vor den Rechten und Populisten eingeknickt.

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3 Kommentare

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  • Das ist offenbar Konsens unter allen konservativen und, ja, auch rechtsextremen Parteien: Klimaschutz ist vernachlässigbar oder gar unnötig. Profit für Konzerne ist deutlich wichtiger. Es sind halt die verlogenen "Europäischen Werte"...

    • @Perkele:

      Freie Fahrt fürs Kapital kann immer rasch in einem Niedergang von wichtigen Standards ausarten, daher muss es eine EU des Sozialen, Umweltbewahrenden, Solidarischen sein.



      Was Hayekisten arg gerne zu verdecken suchen.

  • Wie sich immer mehr zeigt (und ich natürlich schon immer meinte ;-) ) ... Schwerer Fehler der deutschen Grünen: Von der Leyen nicht abzusägen für einen inhaltlich fitten EU-Kommissar statt dessen.



    Nur, weil Sven Lehmann Hofreiter als Machthindernis ansah, womöglich? Oder weil man sich von der Leyen schönredete, evtl.?



    Ach.