Europa nach der Wahl: Raus aus der Schockstarre!
Die EU-Wahl sollte ein Weckruf an alle Europäer:innen sein: Jetzt gilt es, progressive Kräfte zu einen. Denn das Projekt Europa ist nicht gescheitert.
W o ist der Fehler? Das ist die Frage, die sich politische Entscheider:innen und Aktivist:innen gegen rechts nach der Europawahl stellen. In den Wochen vor dem Urnengang gab es zahlreiche Warnungen, Demos und Aktionen, um auf den dräuenden Rechtsruck innerhalb der EU aufmerksam zu machen. Das Wahlergebnis in Zahlen überrascht leider nicht, ist aber dennoch niederschmetternd. Fakt ist: Die politischen Mehrheiten im Europäischen Parlament werden sich neu mischen.
Ursula von der Leyen, die eine zweite Amtszeit als EU-Kommissionspräsidentin anstrebt, wirbt mit einer „Bastion“ gegen die Rechtsextremisten. Ihre zarte, aber offene Annäherung an Kooperationen mit Italiens stärkster Kraft, den postfaschistischen Fratelli d’Italia, lässt jedoch an ihrer Glaubwürdigkeit zweifeln.
Hinzu kommt eine Vielfalt an Krisen, die eine Lähmung des Parlaments zum jetzigen Zeitpunkt nicht erlauben. Es herrscht Krieg in Europa, der Konflikt im Nahen Osten spaltet die EU-Staaten. Inflation, Klimakrise, gemeinsame Strategien gegen Pandemien beschäftigen die 27 Mitgliedstaaten. Der Rückzug auf nationales politisches Kalkül, auf den Machterhalt im eigenen Land, hat die Idee der gemeinsamen Anstrengung in der europäischen Familie in den Hintergrund rücken lassen.
Jetzt heißt es: Raus aus der Schockstarre! Dass das nicht einfach wird – geschenkt. Womöglich nutzen die faschistischen Kräfte der Le-Pen-Anhänger:innen in Frankreich und der Unterstützer:innen Melonis in Italien ihre nun gewonnene Chance, um ihre Macht gemeinsam auszubauen. In Deutschland wird die AfD das Machtvakuum füllen wollen. Die Gelegenheit ist schließlich da. Haben doch demokratische Parteien wie Sozialdemokraten, Liberale und Grüne mit ihrem oft anbiedernden Kurs an eine konservative Klima- und Migrationspolitik die besten Voraussetzungen dafür geschaffen.
Aber das Projekt Europa – es ist nicht gescheitert. Ganz im Gegenteil. Denn es gibt sie noch, die gemäßigte Mitte, die Linke, die Aktivist:innen, die ihre Anliegen jetzt im politischen Apparat Brüssel einbringen und umsetzen wollen. Auch dafür steht das Europäische Parlament: nämlich schlicht für die Vielfalt in den europäischen Staaten. Was sie eint, ist ein Bekenntnis zum europäischen Projekt – und nicht dessen Zersetzung oder Zerstörung. Auch die historisch hohe Wahlbeteiligung ist ein Indiz dafür, dass die EU-Bürger:innen an die Kraft Europas glauben.
Und dass sie nicht vergessen haben, welche Erfolgsgeschichte die Europäische Union ist. Aus einst verfeindeten Staaten ist ein Bündnis geworden. Eines, das spätestens seit der russischen Invasion über sich hinausgewachsen ist. Und eines, das im Kern erkannt hat, dass globale Probleme nicht im nationalen Alleingang zu lösen sind.
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