Europa nach dem Börsencrash: Was Zoll das?
Die US-Zollpolitik trifft die globale Wirtschaft hart. Doch es gibt noch Handlungsspielräume. Zum Beispiel die Annäherungsversuche von der Leyens.

Sebastian Dullien vom gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie sieht es ähnlich: „Es gibt das wachsende Risiko einer globalen Rezession, aber keine Anzeichen für eine Weltwirtschaftskrise.“ Wobei die Börsenverluste erst mal einen katastrophalen Eindruck machten. Nach ungefähr 5 Prozent Minus am vergangenen Freitag sackte die Frankfurter Börse am frühen Montag noch mal um 10 Prozent ab. Die Kurse in Tokio, Shanghai und Hongkong hatten die negative Richtung vorgegeben. Im Lauf des Tages erholten sich viele Aktienwerte aber auch wieder.
Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie
Dass Händler Aktien zu niedrigeren Preisen verkaufen und so die Kurse in Rutschen bringen, spiegelt die pessimistischen Wirtschaftserwartungen. „Für das Jahr 2028 rechnen wir durch die Trump’schen Zölle in Deutschland mit einem BIP-Verlust von etwa 1,5 Prozent“, sagte Ökonom Matthes. Wohlgemerkt: Auch 2025 und in den kommenden Jahren wird die Wirtschaftsleistung deutlich geringer ausfallen, auch ohne die Zolllawine.
Matthes: „Über die vier Jahre bis dahin schätzen wir ein kumuliertes Minus von etwa 200 Milliarden Euro“, dabei seien Gegenmaßnahmen anderer Staaten zur Abwehr der US-Zollpolitik noch nicht eingerechnet. „Ein heftiger Schlag ins Kontor“, fasste der Wirtschaftsforscher zusammen.
Nach dem Whiskey Digitales?
Auch die Reaktionen der EU-Handelsminister fielen am Dienstag heftig aus. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck etwa bezeichnete die US-Zollpolitik beim Treffen in Luxemburg als „Angriff auf die regelbasierte Handelspolitik“. Einen „Paradigmenwechsel im globalen Handelssystem“ machte EU-Handelskommissar Maroš Šefčovič aus. Nun seien „extrem aggressive“ Gegenmaßnahmen möglich, warnte der französische Handelsminister Laurent Saint-Martin.
Gegenzölle auf Harley-Davidson-Motorräder, Bourbon-Whiskey oder Levi’s-Jeans als Maßnahmen sollen am Mittwoch ohnehin beschlossen werden – als Vergeltung für die US-Zölle auf Stahl und Aluminium, die Trump bereits verhängt hatte.
Doch nun könnte die EU noch viel weiter gehen und auch Dienstleistungen und digitale Angebote aus den USA abstrafen. Denkbar wäre, dass Brüssel US-Patente aussetzt, den Zugang zu öffentlichen Ausschreibungen blockiert oder den Vertrieb bestimmter Produkte verbietet. Auch eine Digitalsteuer ist im Gespräch. Damit könnte die EU nicht nur große US-Konzerne wie Google, Meta oder X unter Druck setzen, sondern indirekt auch Trump treffen – denn X-Chef Elon Musk gehört zu Trumps engsten Beratern.
Die Idee trifft jedoch auch auf Widerstand. Vor allem Irland, wo viele US-Digitalkonzerne ihren Europasitz haben, steht auf der Bremse. Handelsminister Simon Harris warnte vor der „nuklearen Option“. Eine Digitalsteuer wäre „eine außerordentliche Eskalation zu einer Zeit, in der wir auf eine Deeskalation hinarbeiten müssen“.
Vorteile eines Handelskriegs
Sowohl die Zölle der USA als auch die Gegenzölle anderer Staaten bremsen den internationalen Handel. In der Folge erwirtschaften transnationale Unternehmen weniger Umsätze und Gewinne. Sie könnten vorsorglich ihre Investitionen zurückschrauben. Das wiederum hat Rückwirkungen für die Zahl der Beschäftigten – die Erwerbstätigkeit wird eher stagnieren als wachsen. Der Staat erhält damit weniger Steuern und auch Einnahmen der Sozialversicherung werden in Mitleidenschaft gezogen.
Privathaushalte spüren die Auswirkungen aber auch direkt. Steigende Arbeitslosigkeit führt zu Einkommensverlusten. Aber auch Erwerbstätige werden die nachteilige Wirtschaftsentwicklung zu spüren bekommen: Die Löhne steigen weniger oder gar nicht. Auch langfristige Auswirkungen sind nicht ausgeschlossen. Der Dämpfer der Aktienkursentwicklung kann die Vermögen schmälern, die Privathaushalte durch Kapitalanlagen für ihr Rentenalter erwirtschaften.
Allerdings erwarten Ökonom:innen bei einem Zollkrieg auch Vorteile. Erstens: Weil vielen Firmen der Zugang zum großen US-Markt erschwert wird, bieten sie ihre Produkte vermehrt in Europa an. Die Konkurrenz nimmt zu, Preissteigerungen fallen damit schwächer aus und die Inflation geht zurück. Zweitens könnten wegen der mangelnden Wirtschaftsdynamik Rohstoffpreise sinken. Zu Beginn dieser Woche wurde Rohöl bereits billiger, was sich in sinkenden Preisen für Benzin und Heizöl niederschlagen dürfte.
Doch Bundesregierung und EU-Kommission haben Einfluss auf die Entwicklungen. Der Hinweis, dass es sich bei der EU mit ihren 450 Millionen Einwohner:innen um den größten Binnenmarkt der Welt handelt, entspringt nicht nur Zweckoptimismus. Würde zum Beispiel der Kapitalfluss über die Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg erleichtert, fiele es neuen Firmen in Deutschland nicht mehr so schwer, Investorenkapital aus den Nachbarländern heranzuziehen.
In Zukunft Zollfrei?
Zudem handelt es sich bei den USA nur um eine, wenn auch die weltweit stärkste Wirtschaftsnation. Mehr Kooperationen zwischen der EU und Südamerika, Indien und Südostasien könnten bald einen Ausgleich für das verlorene Handelsvolumen mit den USA schaffen.
Die deutsche Kommissionschefin, Ursula von der Leyen, brachte nun eine neue Option ins Spiel. Die EU sei bereit, mit den USA über Freihandel bei Industriegütern zu verhandeln, erklärte sie in Brüssel. Von der Offerte waren sogar die EU-Handelsminister überrascht. Würde Trump mit der EU ein umfassendes Zollabkommen auf Industriegüter schließen, sähe die Wirtschaftswelt bald freundlicher aus als befürchtet.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!