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EurokolumneKröten für Berlin

Eric Bonse
Kolumne
von Eric Bonse

Im Wahlkampf haben die deutschen Euroretter Däumchen gedreht. Die nächste Regierung muss mit den Lebenslügen von Schwarz-Gelb aufräumen.

2007 versuchten sie in Grönland, das Klima zu retten. Jetzt müssen Angela Merkel und Sigmar Gabriel den Euro retten. Bild: dpa

W as ist eigentlich aus der Eurokrise geworden? In den letzten Wochen vor der Wahl schien sie wie auf Befehl der Kanzlerin Pause zu machen. Auch jetzt, vor dem Start der Koalitionsverhandlungen in Berlin, drehen die Euroretter Däumchen. Alle warten auf Angela Merkel und ihr neues Kabinett, könnte man meinen. Schließlich ist Deutschland ja der unerschütterliche Stabilitätsanker in Euroland.

Doch der Eindruck täuscht. Zum einen war die Krise nie weg – sie hat sich nur von den Finanzmärkten auf die Realwirtschaft und die Arbeitsmärkte verlagert. Zum Zweiten ist Deutschland selbst zum Problem geworden. Das liegt nicht nur an der Weigerung der Kanzlerin, sich auf Eurobonds oder eine gemeinsame Arbeitslosenkasse einzulassen, was viele EU-Politiker verärgert. Es liegt auch an den Strukturproblemen der deutschen Wirtschaft, die im Wahlkampf gerne verschwiegen wurden.

Die einstige Konjunkturlokomotive Europas ist nämlich zum Bummelzug geworden. Gleichzeitig hat Deutschland neue Rekorde bei Exporten und Leistungsbilanzüberschuss aufgestellt. Konkreter: Wir haben Arbeitslosigkeit exportiert, ohne für neues Wachstum in Europa zu sorgen.

Die Ungleichgewichte in der Eurozone, die Merkel und Noch-Finanzminister Schäuble eigentlich abbauen wollten, sind also gewachsen. Während die Krisenländerdefizite langsam schrumpfen, schießen die Überschüsse in Deutschland in die Höhe. Sie werden zwar vor allem mit Ländern außerhalb Europas erwirtschaftet. Doch ins Gleichgewicht kommt die Eurozone so nicht.

Memo für Merkel

Nicht nur das: Der Brüsseler Thinktank Bruegel hat eine lange Hausaufgabenliste für Berlin erstellt. Das „Memo für Merkel“ enthält einige alte Bekannte: höhere öffentliche Investitionen, erleichterte Zuwanderung, eine echte Bankenunion und viel mehr Geld gegen die Jugendarbeitslosigkeit – inklusive Liberalisierung der Arbeitsmärkte. Klingt konsensfähig, vor allem wenn es zu einer Koalition mit der SPD kommen sollte. Die Genossen fordern schon lange mehr Geld etwa für Bildung und den Abbau der Jugendarbeitslosigkeit.

Allerdings sollte die neue Regierung laut Bruegel auch ein paar Kröten schlucken. Die „echte“ Bankenunion – also eine zentrale Überwachung mit gemeinsamer Abwicklung von Pleiteinstituten – stößt auf Widerstand in Berlin, selbst wenn EZB-Mann Jörg Asmussen (SPD) sie unterstützt. Auch eine höhere Inflationsrate, die Deutschland zur Linderung der Krise hinnehmen soll, dürfte kaum auf Gegenliebe stoßen.

Das ist die Krux mit Deutschland: Wir möchten ganz Europa nach unserem Vorbild umkrempeln, aber bei uns darf sich nichts ändern, kosten darf es natürlich auch nichts. Dass das deutsche Exportwunder mit Schuld an den Ungleichgewichten und damit an der Krise ist, wird ebenso wenig vermittelt wie der Umstand, dass deutsche Niedriglöhne ein Problem für Europa sein könnten. Die alte Bundesregierung hat all das bewusst verschwiegen.

Wird die neue Koalition die Tabus der abgewählten schwarz-gelben Regierung brechen? Bisher spricht nichts dafür. Schon im Wahlkampf spielte Europapolitik nur eine Nebenrolle. Nun möchte Merkel ihren Wahlsieg nutzen, um genauso weiterzuwurschteln wie zuvor.

Mit keinem Satz hat sie ihren Wählern vermittelt, dass für einen stabilen Euro auch Deutschland Opfer hinnehmen muss. Auch SPD und Grüne wagen sich nicht an dieses heikle Thema heran. Niemand stellt das deutsche Modell in Frage, alle fordern nur Reformen in den Krisenländern. Doch wenn sich in Berlin nichts bewegt, bedeutet das nicht unbedingt mehr Stabilität für Brüssel. Im Gegenteil: Es könnte die Eurokrise noch verlängern.

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Eric Bonse
EU-Korrespondent
Europäer aus dem Rheinland, EU-Experte wider Willen (es ist kompliziert...). Hat in Hamburg Politikwissenschaft studiert, ging danach als freier Journalist nach Paris und Brüssel. Eric Bonse betreibt den Blog „Lost in EUrope“ (lostineu.eu). Die besten Beiträge erscheinen auch auf seinem taz-Blog
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6 Kommentare

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  • D
    D.J.

    Die Legende von den Niedriglöhnen mal wieder. Richtig ist, dass die Lohnkosten im Durchschnitt weniger gestiegen sind als in den meisten anderen EU-Ländern. D liegt immer noch auf Platz 7 in Europa (Stand 2011):

     

    https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2012/04/PD12_144_624.html

     

    Skandalöse Niedriglöhne werden tatsächlich fast ausschließlich im Dienstleistungssektor gezahlt. Dagegen sind sie in der exportorientierten Industrie nicht nur überwiegend hoch, sie sind auch vergleichsweise stark gestiegen (real 10% 2002-2012):

     

    http://www.wirtschaftsforum.de/news/41088/Zehn-Prozent-mehr-Lohn-in-exportierenden-Betrieben.html

    • @D.J.:

      Bei der Lohnentwicklung ergibt sich in der Tat ein sehr heterogenes Bild. 10% Reallohnsteigerung in 10 Jahren sind ganz ordentlich für Leute, die schon auf hohem Lohnniveau arbeiten, obwohl die Kurve der Unternehmensgewinne deutlich steiler verlaufen dürfte. Daneben erleben aber nicht wenige Arbeitnehmer die Umwandlung von ehemals auskömmlichen Arbeitsverhältnissen in Niedriglohn-Jobs, von denen allein man hier nicht leben kann. Auch eine systematische Entwertung von langjährig erworbenen Qualifikationen ist zu beobachten. Was die Lohnnebenkosten angeht, muss man von einer Verschiebung zulasten der Arbeitnehmer sprechen. Unternehmen zahlen weniger in die Sozialkassen und gleichzeitig werden die Leistungen an Arbeitnehmer aus der Kranken- und Renten versicherung systematisch abgebaut und zusätzlich noch doppelbesteuert (Rente).

      Was man auch erwähnen muss,- ein erheblicher Teil der deutschen Exporte sind Rüstungsexporte. Die Exportwirtschaft lebt vielfach vom Tod und ihre Arbeitnehmer arbeiten für den Krieg in der Welt. Man muss kein Prophet sein, um festzustellen, dass das nicht gut gehen kann. Die Probleme, die Deutschland profitabel in andere Länder exportiert, klopfen eines Tages auch an ihre Tür.

      • A
        Amüsant.
        @Rainer B.:

        Haben sie für ihre zweite Behauptung eine Statistik? Ich kenne keine Exportstatistik in der Rüstung einen "erheblichen" Anteil erfüllt in Deutschland,ausser sie sehen Dinge unter 10% als erheblich an.

        • @Amüsant.:

          Bei den Kriegswaffen-Exporten liegt Deutschland auf Platz 3 weltweit. Statistisch erfasst werden hier immer nur schwere Waffen wie Panzer, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe, für die auch Ausfuhrgenehmigungen erteilt wurden. 2011 wurden Einzelgenehmigungen für 5,414 Milliarden Euro und zusätzlich Sammelgenehmigungen für 5,38 Milliarden Euro erteilt.

          Die Ausfuhren, die unter Umgehung des Kriegswaffenkontrollgesetzes über Tarn- und Tochterfirmen in Drittländern erfolgen, dürften um ein Vielfaches höher liegen. Eine genauere Statistik dazu ist politisch derzeit nicht erwünscht und wird auch nicht veröffentlicht, obwohl den Geheimdiensten genauere Zahlen durchaus vorliegen. Zudem werden zahlreiche deutsche Rüstungsgüter in Lizenz in anderen Ländern nachgebaut - etwa der Radpanzer "Fahd" in Ägypten, der auf dem TH 390 von Thyssen Henschel (heute Rheinmetall) basiert und mit dem die ägyptische Armee demonstrierende Kopten buchstäblich überfuhr.

          Sogenannte Kleinwaffen verursachen die weitaus meisten Todesopfer, werden in diesen Statistiken aber nicht erfasst. 2011 wurden Kleinwaffen-Exporte in Höhe von 37,9 Mio Euro genehmigt, 2012 in Höhe von 76,15 Mio Euro. Das ist eine Verdoppelung innerhalb eines Jahres und auch hier nur der Sockelbetrag genehmigter Ausfuhren, der die tatsächlichen Ausfuhren nicht annähernd wiedergibt. Was Kleinwaffen-Exporte angeht, liegt Deutschland mittlerweile auf Platz 2 (zwei!)in der Welt. Dazu kommen die Exporte von Rüstungsgütern, die als zivile Güter getarnt werden. Aktuelles Beispiel ist eine Lieferung von 300t Natriumfluorid an Syrien, mit der das Giftgas Sarin hergestellt wurde. Natürlich kann man Natriumfluorid auch zur Herstellung von Zahnpasta verwenden, aber ist Syrien bislang als Groß-Produzent von Zahncremes in Erscheinung getreten?

        • @Amüsant.:

          Wenn Sie morgen erschossen werden, mag das gemessen an der Zahl aller Menschen unerheblich sein, aber ist das ein angemessener Maßstab?