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EuGH über den Vorrang von EU-RechtIn die Schranken verwiesen

In Rumänien dürfen Urteile des Verfassungsgerichts ignoriert werden. Das soll „systematische Straflosigkeit“ bei Korruption verhindern.

Protest gegen die Änderungen der Justizgesetze in Bukarest im März 2019 Foto: Robert Ghement/epa

Freiburg taz | Nationale Gerichte der EU-Staaten dürfen Entscheidungen des jeweiligen Verfassungsgerichts ignorieren, wenn diese gegen EU-Recht verstoßen. Dies hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in zwei Fällen aus Rumänien entschieden. Mit diesem spektakulären Urteil will der EuGH die Rechtsstaatlichkeit in den EU-Staaten stärken und den Vorrang des EU-Rechts sichern.

Das rumänische Verfassungsgericht steht im Verdacht, zu sehr die Interessen von korrupten hochrangigen Mitgliedern der langjährigen sozialistischen Regierungspartei zu decken. Andere rumänische Gerichte versuchen dagegenzuhalten. Sie berufen sich auf EU-Recht, das den Mitgliedstaaten rechtsstaatliche Mindeststandards vorgibt, zumindest soweit finanzielle Interessen des EU-Haushalts betroffen sind.

Der EuGH musste an diesem Dienstag über zwei Vorlagen von rumänischen Gerichten entscheiden. Der rumänische Kassationsgerichtshof beschwerte sich, dass das rumänische Verfassungsgerichts eine Verurteilung von Abgeordneten in einem Korruptionsverfahren aufgehoben hat – weil die Richterbank falsch besetzt gewesen sei.

Wegen der Verjährungsregeln drohe Straflosigkeit. Das Landgericht Bihor wollte wissen, ob es in einem Korruptionsverfahren Beweismittel verwenden darf, die unter Mitwirkung des Geheimdienstes entstanden, obwohl das rumänische Verfassungsgericht dies verboten hatte.

Ignoranz erlaubt

Der EuGH hat nun zwar nicht selbst entschieden, ob die Urteile des rumänischen Verfassungsgerichts gegen EU-Recht verstoßen. Er erlaubte es aber den rumänischen Gerichten, dessen Urteile zu ignorieren, wenn diese „eine systemische Gefahr der Straflosigkeit von schweren Betrugsdelikten zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union oder von Korruptionsdelikten“ begründen.

Außerdem entschied der EuGH, dass rumänische Richter nicht disziplinarisch verfolgt werden dürfen, wenn sie ein Urteil des Verfassungsgerichts missachten, das gegen EU-Recht verstößt. Der EuGH setzte damit einen Automatismus im rumänischen Recht außer Kraft. Dass ein Richter wegen des Inhalts einer Gerichtsentscheidung disziplinarrechtlich verfolgt wird, müsse auf „ganz außergewöhnliche Fälle beschränkt bleiben“.

Der EuGH nutzte das Verfahren, um den Vorrang des EU-Rechts vor nationalem Recht zu begründen. Diesen Vorrang bestreitet nicht nur Polens Verfassungsgericht, auch das Bundesverfassungsgericht behält sich eine Letztkon­trolle gegenüber EuGH-Entscheidungen vor.

Ein Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Deutschland war eingestellt worden, nachdem sich die Bundesregierung zum Vorrang des EU-Rechts bekannt hatte. Rumäniens Justiz steht unter besonderer Kontrolle der EU-Institutionen, weil Bukarest bereits beim EU-Beitritt 2007 rechtsstaatlicher Nachholbedarf attestiert wurde.

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