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Essen gehen mit KindernHauptsache, die stören nicht

Paniert, frittiert, pragmatisch – Gerichte auf Kinderspeisekarten sind oft das Gegenteil von einfallsreich. Muss das sein?

Irgendwas malen und bloß kein Gemüse: Sind Kinder wirklich nicht anders zufrieden zu stellen? Foto: Berno Hjölmrud/plainpicture

Als kleinen Gruß aus der Küche, in der dieser Text entstanden ist, ein Thesenhäppchen: Speisen, die in Restaurants für Kinder angeboten werden, sollen in erster Linie die Kleinen ruhigstellen, damit der Rest der Tischgesellschaft einen netten Abend hat und auch sonst niemand im Res­tau­rant gestört wird.

Kinderspeisekarten sind Ausdruck dieser Tatsache, darauf weist oft schon ihre verbreitete Gestaltung als Ausmalbild hin, Buntstifte werden in einem Glas dazu gereicht. Die Kinder sollen sich beschäftigen, Ausmalbilder – die wohl stupideste Art der Langeweilevermeidungstechniken – übernehmen die Funktion eines Au-pairs, das still im Hintergrund wirkt, bis ein Glas Fanta umfällt. Na ja, kann passieren, der Kellner wischt’s weg. Wann kommt das Essen denn endlich?

Noch deutlicher bestätigen die auf den Kinderspeisekarten annoncierten Gerichte, dass hier Genuss, ausgewogene Ernährung, Fragen gar nach Haltung und Herkunft der verwendeten Lebensmittel bestenfalls untergeordnet sind. Es stehen dort immer dieselben Gerichte drauf, die auch noch besonders infantile Namen tragen – Fischstäbchen mit Kartoffelbrei („Ariel­le, die Meerjungfrau“), Bratwürstchen mit Kartoffelbrei („Räuber Hotzenplotz“), paniertes Schweineschnitztel mit Pommes und Ketchup („Rudi Rüssel“), Hähnchennuggets mit Pommes („Tigerente“). Als wäre Essen nur ein Spiel. Geschmack, Einfallsreichtum, das Besondere, das einem Koch eigentlich Auftrag sein müsste, Ehre und Motivation? Hier nicht, im Gegenteil: Das Zeug, das massenhaft auf den Kindertellern deutscher Restaurants landet, muss möglichst fettig sein, paniert, frittiert, niedere Gelüste wecken, darf nichts wagen, muss konsensual sein. Hier geht es nur darum, die Kleinen schnell und pragmatisch satt zu bekommen.

Das „Kinderspeisekartendilemma“

Dabei achten Eltern ja sonst durchaus auf gute Ernährung. Und man geht doch ins Restaurant, weil man sich etwas Besonderes, etwas Besseres gönnen möchte. Warum sollten die Kinder dann etwas Schlechteres bekommen?

Anruf bei Helmut Heseker, der sich sein Berufsleben lang mit gesunder Ernährung beschäftigt hat und es privat immer noch tut. Gerade ist er dabei, Tomaten zu häuten, Möhren zu schnibbeln, er bereitet ein Gulasch zu – dem flexitarischen Geist entsprechend, der bei ihm und seiner Frau zu Hause weht, mit wenig Fleisch und viel Gemüse. Die Enkelkinder werden zum Mittagessen erwartet, wegen Corona gehen sie derzeit nicht in die Kita, Opa und Oma sorgen fürs Mittagessen. Hese­ker war bis vergangenes Jahr Professor für Ernährungswissenschaft in Paderborn, sechs Jahre war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung.

Er nennt das, was sich beim Essen mit Kindern im Restaurant zuträgt, das „Kinderspeise­karten­dilemma“: Die Gerichte sind stets von hoher Energie- und niedriger Nährstoffdichte, sind fettreich und kochsalz­lastig. Gemüse, Vollkornprodukte, Salat, Obst sind selten zu finden. Trotzdem gibt es kaum Alternativen, weil das Angebot eine Win-win-Situation ist: Die Eltern haben ihre Ruhe, und die Wirte müssen sich nicht den Vorwurf machen, dass ihr Essen unter Geschimpfe zurückgewiesen wird. Denn das ist ja leider auch Teil des Problems: Kinder sind verdammt wählerisch. Manche Restaurants haben den Umstand schon mit ironischen Namen für Kindergerichte gewürdigt, die heißen dann „Schmeckt mir nicht“, „Hab keinen Hunger“, „Ich weiß nicht“ und so weiter. Für drei Sekunden ist das sogar lustig.

Gemüse unterjubeln

Helmut Heseker klingt zwischen den klappernden Töpfen sehr entspannt. Und das Sympathische: Ganz nebenbei und ohne zu dozieren, weist er einem den Weg, der wiederum eines Tages in besseren Kinderspeisekarten münden oder diese gar ganz überflüssig machen könnte. Er sagt, wenn sie für die Enkelkinder kochten, würden sie es schaffen, „Gemüse unterzujubeln“ – selbstverständlich ist die Aufnahme von Möhren, Erbsen, Sellerie also offenbar auch bei ihm nicht. Manchmal werde gemurrt, „aber es klappt doch“.

Kurzer Zwischengang: Eine Anfrage an das Auslandskorrespondentennetzwerk weltreporter.net hat ergeben, dass in den meisten Ländern Kinderspeisekarten gar nicht existieren, sondern dass die Kinder das essen, was auch die Eltern serviert bekommen. Sie kriegen einfach etwas davon ab. (Es gibt allerdings natürlich auch Länder, da geht man gar nicht essen oder nur sehr selten. Und wenn man essen geht, dann geht man in ein Fast-Food-Resto, wo es dann Frittiertes gibt. Für alle.) Okay, solche leeren Teller zum Mitessen bei den Großen gibt es hier auch, sie heißen dann, wieder kindgerecht gelabelt, „Räuberteller“, und kosten manchmal sogar ein paar Euro, was wiederum viel erzählt über Geschäftemacherei im Gastrogewerbe und überhaupt Kundenfreundlichkeitsweltmeister BR Deutschland.

taz am wochenende

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Also zurück zum Hauptgang: Der Schlüssel zur besseren Ernährung in Restaurants liegt zu Hause in der eigenen Küche. Einfach öfter mal etwas Gemüse unterjubeln, wie es Hese­ker sagt, der – auch sehr trickreich – unters Kartoffelpürree eine Süßkartoffel mischt, weil das die Farbe attraktiver macht und den Geschmack hebt. Nur Kartoffel wäre vielleicht etwas langweilig, der Zusatz schafft dagegen im besten Falle sogar Entdeckerlust. („Mmmh, was war denn das? Warum war der Kartoffelbrei so orangefarben? Können wir das mal wieder machen?“)

Wir könnten bessere Esser sein

Die Wirte, die dann zukünftig am Ende dieser Verkostungskette stünden, würden sich krea­tiv kochend betätigen können, und trotzdem würden alle ganz entspannt am Restauranttisch sitzen und miteinander speisen – hier mal probieren, da versuchen, niemand würde malen müssen, keine Thekenkraft wäre jemals genötigt, sich kindgerechte Namen für Gerichte ausdenken zu müssen, die nur Mampf sind.

Okay, es wird noch dauern, ehe wir in dieses goldene Zeitalter vordringen. Irgendjemand hat mal behauptet, man müsse Kindern ungefähr zehnmal etwas anbieten – „vorsetzen“, um es angemessen technisch auszudrücken –, ehe sie bereit seien, es selbstverständlich und dann auch immer wieder zu essen. Und da so eine Versuchsreihe eher nicht in einem Restaurant durchgeführt werden sollte, sind Hartnäckigkeit und Geduld der kochenden Eltern gefragt. Hier wird die Dehoga leise jubeln, denn der Branchenverband des deutschen Hotel- und Gaststättengewerbes reagiert stets etwas pikiert, wenn es um die Kinderspeisekartenthematik geht, und weist die Verantwortung seiner Betriebe gern zurück. Aber es ist doch auch ganz schön, wenn die Dehoga sich mal freuen kann in Zeiten, in denen die ganze Branche wegen Corona darbt.

Bald kehren wir wieder in die Restaurants zurück, vielleicht sogar als bessere Esser, von Kindes­beinen an. Bis dahin: ausprobieren, unterjubeln, schmackhaft machen, nicht verzagen.

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5 Kommentare

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  • Meine fünf Kilo zuviel auf den Rippen bekämpfe ich nicht zwischen Weihnachten und Neujahr, sondern zwischen Neujahr und Weihnachten. Genauso ist die Erziehung zu einer ausgewogenen Ernährung nicht das Thema für den Restaurantbesuch, sondern für die Wochen/Monate zwischen zwei Restaurantbesuchen. Wenn die Wahl im Restaurant einen signifikanten Einfluss auf die ausgewogene Ernährung hat wäre das ein Signal die Häufigkeit der Restaurantbesuche einmal kritisch zu überdenken.

    Im Restaurant möchte ich in angenehmer Gesellschaft entspannt gutes Essen genießen - Nicht weniger gestehe ich meinen Kindern zu. Und wenn das im Falle meiner Kurzen nun einmal Nudeln oder ein Schnitzel sind, was ist dann daran verkehrt?

  • ich denke Kinder essen, dass was sie von den Eltern kennenlernen, nicht sofort und nicht mit Begeisterung, aber wenn zu Hause normal ist, das frisch gekocht wird und Gemüse selbstverständlich auf dem Tisch kommt, wird es auch irgendwann gegessen.



    Eine Beobachtung, oft wird Kindern von den Erwachsenen ein Essen als gesund verkauft, als ein Extra, aber beide wissen eigentlich unausgesprochen, dass es nicht das "normale" ist, die Erwachsenen würden eben auch lieber was anderes essen. Solche Subtexte, verstehen Kinder ganz gut und spiegeln es dann ganz offen.



    Mir fällt auf, dass selbst in "alternativen" Elternhäusern wo die Eltern, Ökokost vom "schlimmsten" essen, die Kinder ganz automatisch ausgeklammert werden, es irgendwie als normal betrachtet wird, das Kinder anderes essen wollen, man eigentlich ja auch, aber... So essen dann Kinder nur Pommes, Pizza und Nudeln, aus Elternhäusern, wo sonst Rohkost, Körnerbrei etc. auf den Tisch kommt. ( eigene Beobachtung)



    Das was funktionieren kann, ist wenn Eltern und Kinder das selbe essen und die Eltern das essen , was ihnen schmeckt, das man sich Mühe geben muß bei der Zubereitung und etwas finden muß das schmeckt ist Voraussetzung.



    Wenn Eltern aber Pommes und Hamburger etc als Besonderheit verkaufen, das es dann mal gibt, wenn es etwas zu feiern gibt, das bleibt hängen, das gute Essen ist das was es nur manchmal gibt. Das in Italien Sachen gegessen werden, die bei uns manch Erwachsene nicht essen mögen, liegt nicht daran, das sie andere Geschmacksknospen haben, sondern an der Selbstverständlichkeit mit der das Essen serviert wird, auch für Kinder.

  • Lasst wenigstens die Kinder in Ruhe mit dem Ernährungsterror.

  • Nun ja, Restaurants bieten für Kinder das an, was Kinder meistens essen wollen, und das ist nun mal nicht das, was hierzulande ebenso häufig wie wissenschaftlich unbelegt als "gesunde Ernährung" bezeichnet wird.

    Und die Legende vom Einfallsreichtum, die angeblich Auftrag des Kochs ist, funktioniert in Restaurants auch nicht so, wie der Autor sich das vorstellt. Hat es ein Restaurant geschafft, sich eine zufriedene Stammkundschaft zu erarbeiten, tut es gut daran, die Speisen möglichst immer so zuzubereiten, wie die Kunden sie von diesem Restaurant kennen. Die bestellen ihr Essen nämlich meist in der Erwartung, dass es so schmeckt wie beim letzten Mal. Und wenn diese Erwartung enttäuscht wird, gehen sie nicht mehr hin, "weil es nicht mehr so gut ist wie früher".

  • Hätte mich als Kind jemand gefragt, was ich am liebsten essen möchte, wäre wahrscheinlich regelmäßig so etwas wie Wiener Schnitzel mit Pommes - bitte ohne Salat! -, zum Trinken eine Cola (die echte mit Zucker!) und zum Nachtisch ein Vanilleeis herausgekommen. Das ist doch ganz normal. Das gesunde Zeug bekommt man als Kind ja schließlich schon zu Hause. Da muss man so etwas nicht auch noch im Restaurant essen.

    Vielleicht sollte man sich auch fragen, ob der Ansatz mit dem "gesunden" Essen nicht verbesserungsbedürftig ist, denn junge Menschen brauchen andere Nahrungsmittel und andere Mengen als ältere. Mit den 10 Stücken Kuchen und Torte, die ich als Jugendlicher bei einer Geburtstagsfeier an einem Nachmittag verspeist habe (ich habe damals 10:7 gegen meinen Onkel gewonnen), würde ich heute drei Wochen auskommen.