Essayfilm über drohende Wasserprobleme: Die Flut kommt
Philipp Hartmann lässt in „Virar Mar – Meer Werden“ Dithmarschen untergehen. Und den Sertão in Brasilien lässt er vertrocknen.

Die große Flut hat begonnen: Ganz Dithmarschen wird unter Wasser gesetzt, weil die Deiche sonst vom steigenden Meeresspiegel überschwemmt werden. Der gesamte Landkreis wird evakuiert. Nur ein sturer alter Musiker weigert sich, seine Hütte zu räumen. Stattdessen spielt er noch einmal Bach auf der Orgel der verlassenen Dorfkirche. Ein Engel erscheint, um ihm die Noten umzublättern. Aber auch der himmlische Bote trägt Gummistiefel.
Den Film würden Sie gerne sehen? Nun am Donnerstag ist das im Hamburger B-Movie möglich. Denn gedreht hat ihn der Hamburger Filmemacher Philipp Hartmann – komplett mit Radioansagen, die vom politischen Streit zwischen Kiel und Berlin über die kontrollierte Landaufgabe erzählen und dem Kontrollpult des Wasserwerks Odderade in Süddithmarschen, an dem die Fluttore für die Überschwemmung geöffnet werden.
Diese Sci-Fi-Handlung ist allerdings verborgen in einem Essayfilm, der nicht nur in Norddeutschland, sondern auch im brasilianischen Sertão gedreht wurde. Hartmann hat in ihn all das hineingepackt, was ihm zum Thema Wasserprobleme in der nahen Zukunft so eingefallen ist. Während es an den Küsten von Norddeutschland wohl bald zu viel Wasser geben wird, trocknet der Sertão seit Langem immer mehr aus.
Schon vor vielen Jahren wurden dort Stauseen angelegt. Wie im dystopischen Dithmarschen mussten auch hier Menschen dafür ihre Dörfer verlassen. Selbst diese Reservoirs sind indes inzwischen ausgetrocknet: Das Land wird zur Wüste. Hartmann weiß dies: Er hat seine Doktorarbeit über „ökonomische Mechanismen in der Wasserpolitik Brasiliens“ geschrieben. So war es für ihn naheliegend, anhand dieser zwei Kulturlandschaften vom drohenden Zusammenbruch des natürlichen Wasserkreislaufs zu erzählen.
„Virar Mar / Meer werden“: 18. 5., 20 Uhr, B-Movie, Hamburg
Im Sertão hat er dafür mit seinem brasilianischen Kollegen Danilo Carvalho zusammengearbeitet. Die brasilianischen Teile des Films sind mehr dokumentarisch: Da sieht man, wie Trinkwasser verkauft wird, wie in einem ausgetrockneten Stausee die früheren Bewohner durch ihr Dorf spazieren, von dem nur noch die Grundrisse der Häuser erkennbar sind, und eine Gruppe von jungen Frauen singt ein Lied, das von der Sehnsucht nach einem Land mit viel Wasser handelt.
Musik und Kultur im Allgemeinen spielen eine große Rolle in diesem Film: Viele der Protagonist*innen sind Kulturschaffende. So spielt in einem Wald in Schleswig-Holstein eine Frau wie eine Fee auf verschiedenen Holzflöten im Wald, in Brasilien läuft eine Blaskapelle durchs Bild und Amateurschauspieler*innen führen Bühnenadaptionen von Theodor Storms Novelle „Der Schimmelreiter“ auf. Und zwar sowohl in Dithmarschen als auch im Sertão. Dort traf sich Hartmann mit einer Gruppe des örtlichen „Volkskinos“, die ein paar Szenen aus einer brasilianischen Bühnenadaption des Buches mit dem Titel „O Centauro Bronco“ für ihn inszenierte.
Ist dieser Film nun dokumentarisch oder fiktional? Hartmann springt ständig zwischen beiden Ebenen hin und her, sodass der Film im besten Sinne des Wortes ein Hybrid ist: Dokumentarisch sind die Aufnahmen von verdorrten Landschaften in Brasilien, dokumentarisch auch die Bilder von einem monsunartigen Sturzregen auf dem Marktplatz von Heide. Und für einen kleinen Gag ist Hartmann an die Ostsee nach Schönberg gefahren, um dort das Schild vom Ortsteil „Brasilien“ aufzunehmen.
Sein etwas schräger Humor scheint auch durch, wenn er am Anfang des Films den Fährmanns Charon, der in der griechischen Mythologie die Toten über den Fluss Styx ins Jenseits bringt, auf einer Fähre über den Nord-Ostsee-Kanal auf einen knurrigen Norddeutschen treffen lässt, der ihn mit einem eher missmutigen „Moin“ begrüßt.
Essayfilme wie dieser, die eher einer assoziativen Dramaturgie folgen, sind meist sperrig, weil es für das Publikum anstrengend ist, zu durchschauen, was da gerade warum gezeigt wird. Doch „Virar Mar – Meer werden“ ist zwar stilistisch anspruchsvoll, aber dabei auch immer unterhaltsam und klar in seiner Aussage. Bei all der Sammlerfreude, mit der er seine filmischen Fundstücke und Ideen präsentiert, verliert Hartmann nämlich sein Thema nie aus dem Auge: Wenn das Wasser kommt, muss der Mensch weichen. Wenn es geht, auch.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Der Jahrestag der Ukraine-Invasion
Warum Russland verlieren wird
Nach der Bundestagswahl
Jetzt kommt es auf den Kanzler an
Sieger des rassistischen Wahlkampfes
Rechte Parolen wirken – für die AfD
Alles zur Bundestagswahl
Oma gegen rechts hat Opa gegen links noch nicht gratuliert
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?
Wahlniederlage von Olaf Scholz
Kein sozialdemokratisches Wunder