Essay über Dämonisierung von Technik: Was mit dem Teufel zugeht
Die Angst, dass die Technik uns dazu verführt, von Gott abzufallen, ist sehr alt. Wirkt sie auch noch heute, etwa beim Thema Künstliche Intelligenz?
Wenn es um moderne Technologien geht, stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber. Das eine ist überzeugt, das Ende der Menschheit sei nahe: Smartphones verdummen und verrohen die Jugend, künstliche Intelligenz übernimmt die Kontrolle über unser Verhalten und unser Denken, und Roboter verdrängen menschliche Arbeit. Das andere Lager hingegen setzt alle seine Hoffnungen in sie: Ohne neue Technologien gäbe es keinen Ausweg aus der Klimakrise, aus der Armut oder dem Welthunger.
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In einem Punkt stimmen beide Lager allerdings überein: Wir stehen technologisch an einem Wendepunkt, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Doch genau diese Übereinstimmung lässt sich historisch nicht halten. Die Mischung aus Angst und Faszination ist so alt wie die Technik selbst. Sie hat ihren Ursprung wohl in der engen Verbindung, in die die Technik mit dem Teufel gebracht wurde. Die Geschichte der Technik ist tatsächlich eng mit der Biografie des Teufels verbunden.
So soll Papst Silvester II (950–1003) mit dem Teufel im Bunde gestanden haben. Im Tausch gegen seine Seele, habe ihn der Teufel befähigt, einen sprechenden Kopf zu erschaffen – und die mechanische Uhr zu erfinden. Dass ein sprechender Kopf als Teufelszeug gilt, ist nachzuvollziehen, weshalb aber die mechanische Uhr Ergebnis eines Teufelspakts sein soll, bleibt zunächst schwer verständlich. Allerdings scheinen von der künstlichen Intelligenz, der Robotik, der Gentechnologie oder der virtuellen Realität heute dieselbe diabolische Faszination auszugehen, die im Mittelalter die mechanische Uhr hervorrief.
Daniel Strassberg ist Psychoanalytiker und Philosoph und lebt in Zürich. Zuletzt erschien von ihm das Buch „Spektakuläre Maschinen“ (Matthes & Seitz).
Unter welchem Namen der Teufel auch auftrat, sein Charakter änderte sich über die Jahrhunderte nicht: Der Teufel täuscht und verführt, um die Menschen von Gott zu entfernen. Das griechische Wort für Täuschung und Verführung, für List und dunkle Machenschaft ist mechanè oder machina. Machiner bedeutet im Französischen heute noch, etwas Bösartiges auszuhecken, im Englischen und in älterem Deutsch ist eine Machination eine hinterhältige Intrige. Eine Maschine war also zunächst kein Mittel, die Arbeit zu erleichtern, sondern um diabolische Täuschungen und Illusionen zu erzeugen.
Einen seiner berühmtesten Auftritte hat der Teufel unter dem Namen Satan im biblischen Buch Hiob. Da überredet er Gott, seinen frommen Diener Hiob zu quälen, um zu prüfen, ob dieser ihm auch ergeben bleibt, wenn es ihm schlecht ergeht. Dass Gott auf die Wette eingeht, lässt einigen Zweifel an dessen Charakter aufkommen.
Unstillbare Neugierde
Mehr als 2.000 Jahre später wiederholt sich die Geschichte. Nun trägt der Teufel den Namen Mephistopheles und sein Versuchskaninchen heißt Faust. Der Teufel schließt mit Gott die Wette ab, dessen Knecht Faust verführen zu können. Er will ihn mit dem Versprechen ködern, ihm das Geheimnis des Lebens zu offenbaren. Wie bei Papst Silvester war die unstillbare Neugierde Fausts der Hebel, an dem der Teufel ansetzen konnte.
Im zweiten Teil von Goethes Faust aus dem Jahre 1832 will Faust nun seine diabolischen Fähigkeiten in den Dienst des technischen Fortschritts stellen. Zunächst rettet er den Kaiser vor der Staatspleite durch die Erfindung des Papiergeldes. Später will er fruchtbares Land durch die Trockenlegung des Meeres gewinnen, auch wenn er damit die Schönheit der Natur aufs Spiel setzt. Zeitgleich erschafft sein früherer Gehilfe Wagner im Reagenzglas einen Homunculus.
Schon im Mittelalter waren Magie und Alchemie auf der Suche nach der geheimen Formel, mit der künstliches Leben erschaffen werden kann. Doch zu Goethes Zeit schien die Formel für das Leben tatsächlich gefunden worden zu sein. Stoffwechsel galt als Hauptmerkmal des Lebens. Stoffwechsel heißt aber nichts anderes, als Wärme in Bewegung umzuwandeln. Die Dampfmaschine war die erste Maschine, die Kraft aus Wärme erzeugen konnte. Bis dahin war die Produktion von Kraft eine Fähigkeit, die allein Gott zukam. Menschen konnten Kräfte für sich nutzbar machen, erzeugen konnte sie nur Gott. Wer Kraft erzeugen kann, kann auch Leben erschaffen!
Illusion von Leben
Tatsächlich wurde die Dampfmaschine unmittelbar nach ihrer Erfindung als lebendiges Wesen wahrgenommen. „Es ist gesagt worden“, schrieb ein Herr Alderson, „dass nichts, was von Menschenhand gemacht wurde, dem Tierleben so nahe kommt.“ Damit hatte Gott endgültig ausgedient. Ein Triumph des Teufels!
Nicht jeder technische Fortschritt wurde als mechanè, als teuflischer Trick wahrgenommen. Druckmaschinen wurden kaum je Opfer der Dämonisierung, obwohl sie für die Kirche bedeutend bedrohlicher waren als die mechanische Uhr. Die mechanische Uhr galt nicht als Teufelswerk, weil sie Zeit messen konnte, sondern weil sie die Illusion von Leben erzeugte.
Vor der Erfindung der mechanischen Uhr las der Mensch die Zeit mit Hilfe von Sonnen- und Wasseruhren von Gottes Natur ab. Die mechanische Uhr produziert aber die Zeit, die sie misst, gleich selbst, so wie sie in der Natur nicht vorkommt, vollkommen regelmäßig und übers Jahr unveränderlich. Das gelingt mittels der Spindelhemmung, die die Gravitationskraft, die das Antriebsgewicht beschleunigen würde, austrickst. Wieder überlistet menschliche Technik Gott und schafft eine zweite unabhängige Natur.
Bestraft für Hybris
Das allein reichte aber nicht, um die Uhr lebendig erscheinen zu lassen. Seit Aristoteles galt als beseelt oder lebendig, was sich von selbst bewegt. Die mechanische Uhr, die etwa um das Jahr 1280 erfunden wurde, war bis zur Erfindung der Unruh im 17. Jahrhundert als Zeitmesser viel zu ungenau, sie taugte aber als Motor für Automaten, die sich von selbst bewegen.
Schon Mitte des 14. Jahrhunderts war fast jede größere Kirchenfassade mit Automaten geschmückt, die Szenen zur Unterhaltung, Erbauung und Warnung des Kirchenvolkes wiedergaben. Der Teufel war da ein beliebtes Motiv. Welch eine Ironie, welch eine Machination: Die Warnung vor dem Teufel wurde von einer Maschine angetrieben, die der Teufel erfunden hatte.
Dabei blieb unklar, worin des Teufels List genau bestand: dass er dem Menschen tatsächlich göttliches Wissen über die Erschaffung des Leben zukommen ließ oder dass er die Menschen täuschte oder darin, dass sie sich als gottgleiche Schöpfer von Leben vorkamen. Jedenfalls ließen sich Menschen immer wieder mit dem Teufel ein, um von Gott unabhängig zu werden, obwohl ihnen immer klar war, dass sie dereinst für diese Hybris bestraft werden würden.
Den Menschen abschaffen
Im Mittelalter galt als lebendig, was sich von selbst bewegt, also war die mechanische Uhr das Teufelswerk schlechthin; im 19. Jahrhundert galt als lebendig, was über einen Stoffwechsel verfügt, also war die Dampfmaschine die Maschine des Teufels. Im 20. Jahrhundert galt reflexives Bewusstsein als Zeichen des menschlichen Lebens, als sein Alleinstellungsmerkmal. Deshalb ist in unseren Tagen der Computer zur Maschine des Teufels geworden, zur Maschine, die alles, was der Menschen kann, auch vermag – nur viel besser, schneller und fehlerloser.
Der Mensch hat das Höchste, was Gott erschaffen hat, nicht nur nachgeahmt, sondern sogar verbessert. Dafür wird die Menschheit dereinst bestraft werden: Wie sie sich einst Gott abgeschafft hat, wird sie in Zukunft von genau jenen Maschinen abgelöst werden, die sie selbst erbaut hat.
Menschen sind weder Abziehbilder der Gesellschaft, in der sie aufwachsen, noch reine Produkte ihres genetischen Programms. Sie hinken vielmehr in ihren Vorstellungen und Affekten der Zeit, in der sie leben, hinterher, manchmal um Jahrhunderte. Die Brille, durch die wir die moderne Technik beurteilen und manchmal auch verurteilen, stammt aus alten Zeiten, aus Zeiten, in denen Magie, Hexerei und Teufelsglauben ihr Leben noch bestimmten. Trotz aller Aufklärung und Säkularisierung konnten sich die alten Affekte, das Staunen und die Ängste, die Faszination und die Abscheu vor dem Teufel an die Maschinen heften und sich so in die Moderne retten.
Ob digitale Technologien wie Künstliche Intelligenz und Robotik tatsächlich so gefährlich sind, wie oft behauptet, bleibt dahingestellt. Darum ging es hier nicht, sondern nur darum, nicht immer durch die alte Brille auf die Technik zu schauen, sondern sie von Zeit zu Zeit von der Nase zu nehmen und auf sie schauen.
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