Der Terror ist schon da

Ausschreitungen mit Ansage: Die rechte Szene setzt wieder auf eine Politik der Gewalt

Foto: Jens Jeske

Konrad Litschko

Plötzlich sind die Warner da. „Wo Gebäude brennen“, sagt Berlins CDU-Innensenator Frank Henkel, „brennen irgendwann auch Menschen.“ Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt mahnt, es drohe ein „neuer rechter Terrorismus à la NSU“. Und selbst die Deutsche Polizeigewerkschaft – deren Zunft bei den NSU-Ermittlungen alles Mögliche hinter der Mordserie vermutete, aber keine neonazistischen Täter – warnt, dass auf die derzeitige „konzeptlose“ Flüchtlingspolitik „im Ergebnis Gewalt, Extremismus und auch Rechtsterrorismus folgen werden“. Es muss also ernst sein.

Und es ist ernst.

Es sind die Bilder von Heidenau, die mit einem Schlag wieder einen lange gemiedenen Terminus in die deutsche Öffentlichkeit schleudern: Müssen wir von einem „rechten Terrorismus“ reden? Randalierende Rechtsextreme vor einer Asylunterkunft, die aus Baustellenzäunen Barrikaden errichten, Böller zünden, Steine werfen und Beamte verletzen. Es sind auch die Bilder von verkohlten Resten angezündeter Flüchtlingsunterkünfte. Oder es ist das Entsetzen über zwei Rechtsextreme, die auf Flüchtlingskinder urinierten.

Von einer neuen Qualität rechter Gewalt ist die Rede. Nur: Es stimmt in gleich mehrfacher Hinsicht nicht. Die Gewalt ist weder neu noch war sie unvorhersehbar.

Die Belagerung einer Asylunterkunft, die Böller, das Bier, die „Wir sind das Volk“-Rufe: all das erinnert beklemmend an die Ereignisse Anfang der 90er in Hoyerswerda und Ros­tock. Auch damals waren die Ausschreitungen nur die schaurige Spitze von täglichen Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Ganze 2.033 Attacken zählte die Polizei allein 1992, im Jahr des Rostock-Pogroms.

In den letzten Jahren schien der Spuk wieder eingefangen. Die rechtsextreme Szene versuchte sich vielerorts an einer „seriösen Radikalität“, gab sich ein bürgerliches Mäntelchen und versuchte, die eigene Propaganda über Parlamente und Kundgebungen zu streuen. Mit stetem Gegenprotest und Sitzblockaden vermasselten DemonstrantInnen Neonazi-Aufmärsche. Die NPD, lange stärkste Kraft der Szene, zerlegte sich und flog selbst in ihrem Kernland Sachsen aus dem Landtag. Politische Erfolge: gleich null.

Und nun Heidenau und Folgeorte (Salzhemmendorf, Aue und andere).

Für die rechtsextreme Szene dürfte das Wochenende ein Brandbeschleuniger sein, wie es ihn seit Jahren nicht gab. Heidenau war für sie mehr als eine Straßenschlacht. Es war ein Fanal: Es geht wieder was.

Entsprechend bejubelt die Szene die Randale. „Wir sind begeistert“, kommentierten Teilnehmer kraftstrotzend im Internet. „Patrioten zeigten dem System, was sie von der Asylindustrie halten.“ An anderer Stelle heißt es euphorisch: „Der Volkszorn erwacht.“ Heidenau sei „erst der Anfang“. Dass dieser auf roher Gewalt gründet, wird nicht geleugnet – es wird gefeiert. „Es gibt noch Leute, die kämpfen und Deutschland noch nicht aufgegeben haben.“

Der Kampf, den sie meinen, ist ein ideologischer Klassiker des Rechtsextremismus: der „Kampf um die Straße“. Die Aneignung öffentlicher Räume, in denen die Neonazis Kontrolle und Macht haben, um Gegner einzuschüchtern und eigener Propaganda Platz zu schaffen. In jüngster Zeit kam dazu ein selbst ernannter Verteidigungskampf: gegen eine vermeintliche „Überfremdung“ durch Asylbewerber, für den Erhalt des „deutschen Volkes“.

Heidenau war in diesem Kampf ein lang ersehnter Erfolgsmoment. Und ein Dammbruch. Denn mit den über Stunden ausgetragenen Krawallen verlässt die rechtsextreme Szene endgültig ihren ohnehin wohlfeilen Plan der „seriösen Radikalität“ und legt ihre taktische Zurückhaltung ab. Dabei war die Gewalt nie weg.

Schon seit Jahren steigt die Zahl der Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte: 58 waren es 2013, 162 im vergangenen Jahr. In diesem Jahr registrierte die Polizei allein im ersten Halbjahr mehr als 150 Attacken, unabhängige Initiativen kommen auf noch weit mehr. Hinter den Zahlen verbergen sich eingeworfene Scheiben, Brandsätze, Schüsse, auch auf bewohnte Unterkünfte. Auch hier ist der Damm längst gebrochen: Nichts scheint mehr zu kriminell, das Zündeln als vertretbarer „Widerstand“ etabliert.

Daneben trat zuletzt auch offene Militanz. In Köln randalieren rechte Hooligans, in Weimar attackierte die NPD-Jugend Gewerkschafter, vor einer Dresdner Flüchtlingszeltstadt warfen Neonazis Flaschen und Böller. 514 rassistische Gewalttaten von Neonazis gab es offiziell im letzten Jahr – so viele wie seit Jahren nicht.

Dass sich die Vorfälle nun erneut häufen, liegt auch an Pegida und AfD, deren Saat nun aufgeht. Blieben die Parolen der NPD noch vielerorts isoliert, so trugen in Dresden Tausende Ressentiments gegen Flüchtlinge auf die Straße, und die sächsischen Wähler belohnten einen Anti-Asyl-Wahlkampf der AfD mit Landtagsmandaten. Die etablierte Politik sprach von „ernst zu nehmenden Sorgen“ und nicht davon, dass Grenzen überschritten wurden, selbst als Redner das Grundrecht auf Asyl infrage stellten. Der Nährboden war geschaffen.

Nun folgen die Taten.

In Heidenau waren sie gut vorbereitet. „Leute, heute alle zu Praktiker“, rief die lokale Anti-Asyl-Initiative „Heidenau – Hört zu“ im Vorfeld im Internet auf. „Heidenau lässt sich das nicht bieten.“ Gemeint war die Ankunft von Flüchtlingen in dem zur Unterkunft umfunktionierten Baumarkt. Aus dem benachbarten Freital, in dem Rassisten auch schon Böller vor eine Asylunterkunft warfen, organisierte eine selbst ernannte „Bürgerwehr“ eine gemeinsame Anfahrt, Treffpunkt Aral-Tankstelle. Aus Dresden reisten rechte Hooligans an. Die Randalierer brachten paketweise Böller mit, lokale Rechte reihten sich ein. Als alles vorbei war, triumphierte die Gruppe „Widerstand Freital“ im Internet: „Wir haben den reibungslosen Ablauf gestört. Und genau das war unser Ziel.“

Konrad Litschko

Foto: A. Losier

ist Redakteur im Inlandsressort der taz und schreibt über Themen der Inneren Sicherheit.

Der Exzess war also geplant – und er war strategisch. Man wolle nicht mehr „im Kreis spazieren, bis einem schwindlig wird“, verkündete jüngst schon der sächsische NPD-Chef. Auch wenn sich seine Partei nun pflichtschuldig von den Krawallen distanziert: Sie war es, die in den Vortagen dort Kundgebungen gegen die Unterkunft anmeldete und die Stimmung aufschaukelte. „Heidenau muss jetzt zusammenstehen“, verlautete der örtliche NPD-Mann, „nur so verhindern wir das Erstaufnahmelager“. Die Aufrufe waren unmissverständlich. Am Ende bedurfte es nur noch der „Vollstrecker“.

Die rechte Szene ist wieder bei einer Politik der Gewalt angekommen. Zu mühselig scheint der parlamentarische Weg geworden, zu wenig erfolgversprechend, wie die kriselnde NPD beweist. Randale dagegen verheißt sofortige Wirkung – Brandanschläge tun es umso mehr. Als im bayrischen Vorra gleich drei Asylunterkünfte niederbrannten, begrüßte das die rechtsextreme Splitterpartei „Der III. Weg“ unverhohlen: „Mit den perfiden Asyl- und Überfremdungsplänen ist dank dem Feuerchen in ihrer Ortschaft erst einmal Schluss.“

Was ist das, wenn nicht Terror? Mögen hinter den Zündeleien verschiedene Täter stecken – in Escheburg war es ein Finanzbeamter, in Zossen ist ein NPD-Mann verdächtigt –, die Brandstifter eint eine Ideologie, aus der heraus sie handeln: Rassismus. Sie eint die Opfer: Asylsuchende. Und sie eint ein Ziel: Einschüchterung und die Durchsetzung des eigenen Willens. Koste es, was es wolle. Das kann man Terror nennen.

Und der nächste Schritt ist schon gemacht. Erst im Mai nahmen Spezialeinheiten der Polizei die „Oldschool Society“ hoch, eine Gruppe Rechtsextremer, die nach Ansicht der Ermittler konkrete Anschläge auf Asylunterkünfte und Moscheen plante und dafür illegale Pyrotechnik hortete. Auch diese Gruppe traf sich in Sachsen: in Frohburg und Borna. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts einer terroristischen Vereinigung. Die vier Köpfe der Gruppe sitzen bis heute in Haft. Der Rechtsterrorismus ist also längst da.

Endlich reagiert auch die hohe Politik. Der Bundesjustizminister fordert, „die Straße nicht den Hetzern und den Rechtsextremen zu überlassen“. Von „Pack“, das eingesperrt gehöre, sprach der Vizekanzler. Der Bundesinnenminister versprach die „gesamte Härte des Rechtsstaats“. Allein: Festnahmen gab es in Heidenau bisher zwei. Und auch fast alle Asylheimzündler blieben bislang ungeschoren.

Nach dem Brand in Nauen in dieser Woche kündigte Brandenburgs SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke „Null-Toleranz“ an. Eine Nacht später warf ein Mann einen Brandsatz in eine Leipziger Unterkunft, in Parchim drangen zwei Betrunkene mit ­einem Messer in ein Heim ein, in ­Berlin gab es einen Großbrand neben einer Flüchtlingsunterkunft. Und zum Heidenau-Krawall veröffentlichte der „Widerstand Freital“ noch am Donnerstag die Parole: „Heidenau als bundesweites Vorbild. Deutschland erwacht!“

Eingeschüchtert klingt anders. Es klingt nach Unheil.