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Essay Bürgerkrieg in SyrienWarum Putin Assad fallenlassen sollte

Ein geordneter Machtwechsel in Syrien und das Ende des Krieges: Aus vier Gründen liegt das im Interesse Putins. Nur: Wer sagt es ihm?

Das Ende der „Zurückhaltung“. Der russische General Sergei Rudskoi gibt den USA die Schuld an dem Ende der Waffenruhe in Syrien Foto: ap

Eines hat Wladimir Putin inzwischen erreicht: Der Weg zum Frieden in Syrien führt über Moskau. Denn Russland ist unter den Unterstützern des Regimes der einzige, der auf Baschar al-Assad verzichten kann (im Gegensatz zum Iran), und hat sowohl die politische als auch die militärische Macht, ihn zum Rückzug zu zwingen. Wer den Konflikt lösen will, muss daher den russischen Präsidenten davon überzeugen, dass ein Machtwechsel in Damaskus den eigenen Interessen am besten dient.

Hier die wichtigsten vier Argumente dafür. Das erste betrifft Syriens Staatlichkeit, die alle – Russen wie Amerikaner, Iraner, Türken und Saudis – erhalten wollen, die aber schon jetzt zerfällt. Tatsächlich ist Assad kein Garant, sondern die größte Gefahr für Syriens Staatlichkeit.

Damit einher geht zweitens der Zustand der syrischen Armee. Ihre Ineffektivität und die mangelnde Moral lassen russische Militärs verzweifeln.

Drittens nimmt die Terrorgefahr für Russland nicht ab, sondern zu, wenn sich in Syrien alle nur auf den „sunnitischen Terrorismus“ konzentrieren. Solange ausländische schiitische Milizen für Assad morden können, wie sie wollen, wird sich Syriens sunnitische Bevölkerungsmehrheit weiter radikalisieren.

Schließlich hat Putin viertens im Grundsatz erreicht, was er wollte. Es ist deshalb Zeit für eine Nachkriegsordnung, aus der sich Moskau getrost zurückziehen kann, weil russische Interessen auch ohne Assad gewahrt bleiben.

Zunächst zum syrischen Staat. Wenn internationale und regionale Akteure vom Erhalt staatlicher Strukturen sprechen, wird daraus meist ein Pro-Assad-Argument. Denn angeblich kann nur das Regime dies zum jetzigen Zeitpunkt gewährleisten. „Wenn Assad stürzt, bricht Anarchie aus, Dschihadisten füllen das Machtvakuum und das Land versinkt im Chaos“, so das Schreckensszenario. Syrien, ein weiterer „failed state“.

Assad verliert Kontrolle

Doch untersucht man den Zustand des syrischen Staates genauer, drängen sich zwei Erkenntnisse auf: Grundsätzlich dienen staatliche Institutionen vor allem dem Machterhalt Assads. Militär, Sicherheitsdienste, Justiz, Partei und Verwaltung sind über Jahrzehnte zu Stützen der Assad’schen Herrschaft aufgebaut worden. Weder das Militär (wie in Ägypten) noch die Polizei (wie in Tunesien) spielen in Syrien eine unabhängige Rolle. Der syrische Staat müsste deshalb zunächst von Assads Einfluss befreit werden, um die notwendigen Strukturen entwickeln zu können, die dem syrischen Volk dienen und nicht seinem Unterdrücker.

Endschlacht um Aleppo

Luftangriffe: Die syrische und russische Luftwaffe fliegen die seit Langem schwersten Angriffe auf Aleppo. Wie ein AFP-Reporter am Freitag berichtete, gab es ununterbrochen Luftangriffe auf Bezirke in Rebellenhand. Aufklärungsmaschinen machten Luftaufnahmen, dann folgten Kampfjets. Getroffen wurden auch Zentren der „Weißhelme“, die am Donnerstag mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden waren.

Bodenoffensive: Syriens Armee hatte am Donnerstag die Rückeroberung von Ost-Aleppo angekündigt. Am Freitag bestätigte ein Militärvertreter „Angriffe aus der Luft und mit Artillerie“ und erklärte: „Das kann Stunden oder Tage dauern.“ Darauf werde eine Bodenoffensive folgen. (afp)

Vielerorts hat der Präsident zudem die Kontrolle an lokale Kriegsherren verloren, die finanziell und personell unabhängig von Damaskus agieren. Die „Regierungsgebiete“ sind in Wirklichkeit ähnlich zersplittert und von wechselnden Allianzen gekennzeichnet wie die Regionen der Opposition, hat der Nahost-Militärexperte Tobias Schneider detailreich belegt.

Dutzende Assad-loyale Gruppen verdienen am Krieg, verfolgen eigene lokale Interessen und bestimmen auch das kommunale Leben. Die „Tiger Forces“ in den Provinzen Aleppo und Hama und die „Desert Hawks“ in Lattakia gelten als besonders mächtig. Sie werden von Schmugglern, Kriminellen und Milizionären angeführt, finanzieren sich über Geldwäsche, Waffen-, Öl- und Menschenhandel und haben sich vor Ort Unterstützernetzwerke aufgebaut, statt auf zusammenbrechende staatliche Institutionen zu setzen.

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Assad selbst hat die Entstehung dieser Kräfte gefördert. Im August 2013 erlaubte er privaten Geschäftsleuten per Dekret, zum Schutz ihrer Kapitalgüter eigene Milizen aufzubauen. „Mit einem Federstrich bewaffnete das Regime dadurch seine eigenen Kleptokraten“, schreibt Schneider. Manche konnten ihre Macht regional so weit ausbauen, dass selbst Assads gefürchteter Militärgeheimdienst sie nicht mehr im Griff hat – etwa die „Tiger Forces“.

Das Regime braucht die Milizen jedoch zur Abwehr von Angriffen der Opposition. Geht es darum, Gebiete zurückzuerobern, schließen diese zum Teil kuriose Allianzen mit lokalen Kriegsherren, ausländischen Kämpfern und Resten von Regimeverbänden. Hat eine solche Offensive Erfolg, fällt die Region nicht automatisch an Damaskus zurück, sondern wird von den jeweils einflussreichsten Milizen dominiert. Die Rückeroberungen des vergangenen Jahres erscheinen deshalb nur vordergründig als Stärkung Assads, in Wirklichkeit verdeutlichen sie dessen Machtverlust im eigenen Lager.

Abhängig vom Ausland

Hinzu kommt die Abhängigkeit des Regimes vom Ausland. Ohne die militärische Unterstützung aus Russland und dem Iran wäre Assad längst am Ende. Und ohne die personelle Verstärkung durch schiitische Milizionäre aus dem Libanon (Hisbollah), aus dem Iran, Irak und Afghanistan gäbe es keine Geländegewinne am Boden. Glaubt man den Berichten russischer Militärs, besteht die syrische Armee überwiegend aus unmotivierten Soldaten, die lieber an Checkpoints ihre Landsleute abzocken, statt für das Vaterland zu kämpfen.

So schreibt der russische Militärstratege Michail Chodarenok, Syriens Generalstab habe keinen Plan, die Luftwaffe sei veraltet und benutze selbst gebastelte Bomben, Rekruten seien schlecht versorgt und ausgerüstet und entsprechend demoralisiert. Mit Partnern wie der Hisbollah und dem Iran, die ihre eigenen Interessen verfolgten, und einem Verbündeten wie Assads Armee lasse sich kein Krieg gewinnen, schlussfolgert Chodarenok und fordert ein Ende der russischen Intervention bis Ende des Jahres.

Zur Terrorbekämpfung wäre es aus russischer Sicht in jedem Fall sinnvoller, sich in Syrien auf den sogenannten Islamischen Staat (IS) zu konzentrieren, statt sich an den Kriegsverbrechen Assads gegen überwiegend sunnitische Zivilisten zu beteiligen. Der Versuch Moskaus, möglichst viele Assad-Gegner als radikale Islamisten zu bezeichnen und diese auf eine Stufe mit dem IS zu stellen, ist genauso kontraproduktiv wie die Angewohnheit der Türkei, die kurdischen Selbstverteidigungseinheiten der PKK-Schwesterpartei PYD in einem Atemzug mit dem IS zu nennen.

Moskau hat alles erreicht

Wer den Gegner pauschal als Terroristen abstempelt, ohne zu verstehen, welche Rolle er für die Menschen vor Ort spielt, bringt diese nur gegen sich auf und bedient die Propaganda der Extremisten. „Syriens Sunniten gegen den Rest der Welt“ heißt deren Drehbuch – Russland und die USA wären deshalb gut beraten, Syriens islamistische Rebellen zu Verbündeten im Kampf gegen den IS zu machen und deren Hauptfeind Assad so unter Druck zu setzen, dass dieser den Weg für eine Verhandlungslösung frei macht.

Und dann? Ein Kalifat wird Syrien sicher nicht. Die Syrer lassen sich weder das Rauchen noch das Musikhören verbieten, der IS würde von allen gemeinsam bekämpft. Sämtliche ausländischen Kämpfer müssten das Land verlassen, nicht nur tschetschenische Dschihadisten, sondern auch libanesische Hisbollah-Mitglieder und iranische Söldner. Dann könnten Syriens Rebellen ihr Verhältnis zu al-Qaida klären und feststellen, dass sie die Dschabhat Fatah al-Scham (ehemalige Nusra-Front) zwar im Kampf überzeugend finden, nicht aber ideologisch. Alles andere ist Verhandlungssache – mühsam, kompliziert und voller fauler Kompromisse. Aber allemal besser, als Syrien weiter dem Untergang preiszugeben.

Assads Abgang ist der notwendige erste Schritt. Denn ein Ende der Kämpfe herbeizuführen wird mit jedem Tag schwieriger. Deswegen hilft das Totschlagargument, „es gibt keine Alternative zu Assad“, nicht weiter, sondern beschleunigt den staatlichen Zerfall und die Gewaltspirale in Syrien. Je länger andere den Überlebenskampf Assads führen, desto mehr Warlords sitzen nachher am Tisch und stellen Bedingungen für den Frieden.

Wäre Russland bereit, einen Neuanfang ohne Assad in Aussicht zu stellen, könnte es den Übergangsprozess entscheidend beeinflussen und die eigene Präsenz in Form von russischen Militärbasen sichern. Schon jetzt hat Putin erreicht, was er wollte – er wird im Nahen Osten als entscheidender Player und international als Weltmacht wahrgenommen. Mit einem diplomatisch herbeigeführten Ende des Assad-Regimes könnte er Syrien eine Chance auf Frieden geben und beweisen, dass russische Einmischung nicht nur destruktiv, sondern am Ende auch konstruktiv wirken kann.

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18 Kommentare

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  • Ein geordneter Machtwechsel in Syrien und das Ende des Krieges: Aus vier Gründen liegt das im Interesse Putins. Nur: Wer sagt es ihm?

     

    Es liegt nicht im Interesse von herrn Putin. Neben der Ukraine ist Syrien - strategisch gesehen - für Herrn Putin wohl das wichtigste Land. Dort ist seine Militärbase. Außerdem hat er eine wichtige Machtstellung durch diesen Konflikt erreicht, bei der er mit Länder wie USA und Frankreich verhandelt , etwas abstimmt, auf die Weltpolitik Einfluss nimmt usw.

     

    Putin wird Assad nie fallen lassen. Wie lange in Syrien ein Kriegeszustand noch weiterhin herrschen wird, ist sehr schwer vorherzusagen.

  • In welchem Wolkenkukusheim muss man leben, um solch einen Artikel zu schreiben. Alle 4 „Argumente“ beruhen bei näherer Betrachtung auf Wunschdenken.

     

    Da wird sich lang und breit darüber ausgelassen, dass Assad angeblich die Kontrolle verloren hat. Dieses „Argument“ hören wir schon seit 2011. Damit wird ja der ganze Krieg erst gerechtfertigt. In der Praxis sieht es so aus, dass Assad seine Machtausübung zwar umorganisieren musste. Er und seine nähere Umgebung bilden aber weiter das Machtzentrum, das letztlich die Regierungsseite ausmacht. Verschwindet das Machtzentrum, so wird der Staat endgültig zerfallen.

     

    Die Lösung der Autorin:

     

    „Der syrische Staat müsste deshalb zunächst von Assads Einfluss befreit werden, um die notwendigen Strukturen entwickeln zu können, die dem syrischen Volk dienen und nicht seinem Unterdrücker.“

     

    hat weder in Afghanistan noch im Irak oder gar Libyen funktioniert. Es gibt nicht den geringsten Anlass anzunehmen, dass es in Syrien anders wäre. Besonders, weil es in Syrien keine nicht dshihadistische Gruppe gibt, die mächtig genug ist, den Neuaufbau zu organisieren.

     

    Und damit wären wir schon beim schrägsten Gedanken aus dem Artikel.

     

    „…Russland und die USA wären deshalb gut beraten, Syriens islamistische Rebellen zu Verbündeten im Kampf gegen den IS zu machen…“

     

    Wann begreifen die Autoren in der TAZ endlich, dass es keine guten und bösen Dshihadisten gibt? Alle diese Organisationen kämpfen für eine Welt, in der nur ihre Ansichten gelten. Alle wollen Varianten des saudischen Gottesstaates. Und die Meisten wollen diesen Gottesstaat auf die ganze Welt ausdehnen. Dabei gilt die offene Gesellschaft im „Westen“ als Hauptfeind. Und es nützt nicht das Geringste, nur IS und Nusra zu bekämpfen. Werden nur diese Gruppierungen zerschlagen, so wechseln die Anhänger zur nächsten Truppe.

     

    PS: Die (seit 2011) völlig demoralisierten Truppen Assads sind gerade dabei, den Rest Aleppos zu erobern.

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Immerhin so demoralisiert, dass sie dafür ordentlich Schützenhilfe brauchen, wie von der irakische Schiiten-Miliz Nujaba (1000 Mann) und natürlich Russland.

      Hätten Sie geschrieben, Assads Truppen wären gerade dabei, allein den IS einzugekesseln und zu erobern, na da hätte ich Ihnen durchaus beigepflichtet.

      • @lions:

        "Hätten Sie geschrieben, Assads Truppen wären gerade dabei, allein den IS einzugekesseln und zu erobern, na da hätte ich Ihnen durchaus beigepflichtet."

         

        Immer hübsch der Reihe nach. Rakka liegt ein ganzes Stück ab vom Schuss. Assad & Co. erledigen erst einmal die Gegner in den Kerngebieten und damit auch Nusra. Danach kann man dann in aller Ruhe den IS in die Wüste treiben und dort zur Hölle schicken. Zumindest wäre das eine vernünftige Strategie.

         

        PS: Meinen Sie wirklich in diesem Krieg geben 1000 Mann Miliz den Ausschlag?

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Nicht doch im ganzen Krieg. Es ging um Aleppo, wie Sie im Eingangspost anführten. Und da wie auch anderen ortens ist die "&Co" ne ganze Menge. Angriff auf eine Stadt, da sollten 1000 Mann nicht kleingeredet werden.

          Also zum Verständnis. Die "heldenhaften syrischen Regierungstruppen" brauchen überall nicht übersehbare Hilfe. Ich unterstelle mal, Sie wollen die ungemeine Schlagkraft Assads hier herausstellen, um den russischen Anteil hier kleinzureden. Assad ist in diesem Krieg schwach, wie der Artikel richtig heraustellte.

  • assad kämpft nicht nur um sein politisches überleben,sondern um sein eigenes und das seiner familie.wenn die sunnitischen rebellen um den is oder alkaida die macht erringen,dann haben nicht nur die kurden sondern alle nichtsunniten ein ernsthaftes überlebenproblem.im endeffekt müssten das die amerikaner und die nato den kampf gegen den is alleine führen und deren stellungen in allepo weiter bombardieren.das einzige was wirklich helfen würde ist die zerschlagung des is.der IS eine truppe von 30-50000 mann steht gegen den kompletten un sicherheitsrat und die komplette nato und ist stärker denn je.wieso stellt die taz nicht mal die frage nach den waffenlieferungen.klar wenn der der werbekunde die bundeswehr ist

  • 7G
    7964 (Profil gelöscht)

    Glaube nicht, dass Putin taz liest.

    • @7964 (Profil gelöscht):

      Warum sollte er auch? Zur Belustigung?

  • Zum Schluss noch ein Wort zur Schwäche Assads: Die Unterstützung durch die "Kleptokraten" war schon vor dem Bürgerkrieg ein Markenzeichen des Regimes. Die Flankierung staatlicher Ordnung mit einem informellen Geflecht aus Familien- und Geschäftsbeziehungen ist eine Quelle der Stärke, nicht der Schwäche. Sie hat das Regime in diesem Krieg so elastisch gemacht, da die Schwächung der staatlichen Institutionen teilweise aufgefangen werden konnte. Zentrale Aufgabe der Assad-Familie ist hier nicht die willkürliche despotische Machtausübung, sondern einen Konsens der staatstragenden Eliten herzustellen und politisch zu nutzen. Die "Kleptokraten" gehören zweifellos dazu. Dass Baschar al-Assad im Angesicht des Aufstands nicht in Paranoia verfallen ist wie Gaddafi und andere vor ihm, sondern seine Aufgabe weiter erfüllte ist der Hauptgrund des Zusammenhalts des Regimes nach so langer Kriegsdauer.

    • @Krampe:

      Zum letzten Satz: Das wäre zu einfach, denn Assad kann entspannter operieren, da er Iran, Russland und Hisbollah an seiner Seite weiß. Gaddafi galt als verücktes Enfant terrible in der arab. Welt und anderswo. Wenn ein Lösungsansatz zu suchen ist, dann unter Assads großen Unterstützern. Seine lokalen Netzwerke werden ihm solange von Nutzen sein, wie internationale Unterstützung besteht. Wenn nicht, löst es sich auf.

      • @lions:

        Die nichtsyrische Unterstützung erleichtert Assad das Führen des Krieges durch eine Erhöhung der Ressourcen. Umgekehrt brauchen seine Unterstützer Assad, um diese Ressourcen auch über den militärischen Aspekt hinaus sinnvoll zu verteilen. Was über die Fähigkeit Assads, fremdes Geld zu verteilen hinausgeht, ist die Tiefe und Dauer seiner Verflechtung mit genügend lokalen Netzwerken aus unterschiedlichen Gründen, die trotz Kriegsverlusten, Desertionen und wechselndem Schlachtenglück weitgehend belastbar geblieben ist. Das macht ihn für seine Unterstützer wertvoll und senkt den Anreiz, ihn für einen diplomatischen Vorteil zu ersetzen.

  • -Erhalt der Staatlichkeit: Sie wird einerseits global gesehen als Fundament einer zwischenstaatlichen Friedensordnung angesehen; Staatsgrenzen sollen nach Möglichkeit nicht mehr verschoben werden, da dies im 20. Jahrhundert Anlass vieler bewaffneter Konflikte gewesen ist. Andererseits ist die geringe politische Praktikabilität der von europäischen Kolonialisten gezogenen Grenzen im Nahen Osten bereits ausdiskutiert. Was fehlt ist eine Synthese dieser beiden Voraussetzungen für eine Integration der nahöstlichen politischen Akteure in das globale Staatensystem - gerade im Kampf gegen den IS scheint der Erhalt der Staatlichkeit per se eine wünschenswerte Sache zu sein, ohne eine Debatte darüber geführt zu haben. Da die Tradition der Ausübung staatlicher Macht in Syrien und im Irak auch eine Geschichte der Gewaltausübung der jeweiligen Regierung ist, braucht es in beiden Ländern Garantien für die nicht an der Regierung beteiligten Gruppen. Statt sich über Nacht eine latent irgendwie vorhandene demokratische Rechtsordnung herbeizuwünschen - eine oft gedachte westliche Hybris - braucht es Sicherheit, Geld und Teilhabe an der Macht in Syrien für die Gesellschaften, die bisher das Regime unterstützen. Hier könnten die Russen eine konstruktive Rolle spielen. Man ist in der westlichen Presse im Fall des Irak schnell bereit, den dortigen Sunniten Verständnis für die Unterstützung des IS zuzubilligen - das muss auch in Syrien für die nichtsunnitischen Gruppen gelten, statt ihnen zu unterstellen, sie wären dem Regime passiv ausgeliefert. Eine gelungene Staatlichkeit im westlichen Sinne kann in Syrien nur eine föderale sein.

  • -syrisches Volk: Das, was man im Westen den Rechtspopulisten vorhält, muss auch für Syrien gelten - es gibt keine Gemeinschaft, sondern "nur" Gesellschaft. Sowohl das Regime als auch die islamistischen Rebellen, die nicht postnationale Raumvorstellungen haben, erheben über die angebliche Repräsentation des ganzen "syrischen Volkes" einen Anspruch auf exklusiven Machtzugang. Wer im sechsten Jahr des Krieges in den bewaffneten Rebellen immer noch eine Selbstverteidigung des "Volkes" gegen das Regime sieht, muss sich fragen lassen, warum das Regime bislang nicht zusammengebrochen ist. Die einfache Antworte darauf lautet, dass es verschiedene Zivilgesellschaften mit unterschiedlichen Interessen gibt, die ihre gewaltsamen Akteure unterstützen und unter ihrer Repression und der Gewalt der anderen bewaffneten Mächte leiden. Den Machtanspruch für "das syrische Volk" zu sprechen aufzugeben ist eine zentrale Voraussetzung für einen Frieden ohne Sieg.

  • Leider noch ein Essay, der mehr abendländisch-demokratisches Wunschdenken transportiert als wirklich an einer kreativen (denn anders geht es nicht) Lösung zu bauen. Terrorbekämpfung, syrisches Volk, Erhalt der Staatlichkeit - das sind die Container für all das, was begrifflich seit Jahren gedacht wird und bisher nicht zum Ende des Krieges beigetragen hat.

     

    - Terrorbekämpfung: In unserer Gegenwart ist das die Chiffre für die Legitimation jeder staatlichen Gewalt, auch dann, wenn sie unverhältnismäßig und unrechtmäßig ausgeübt wird. Wer Russland zur "Optimierung" im Sinne einer ausschließlichen IS-Bekämpfung anhält, zieht die Grenze zwischen den zu tötenden Syrern nur etwas anders statt sie aufzuheben. Darauf zu bauen, dass nach einem politischen Ende des Regimes "die Syrer", "das syrische Volk", "die Zivilgesellschaft" das "Kalifat" nicht wollen und so auch die islamistischen Rebellen, obwohl dann in Besitz fast aller bewaffneten Macht, auf die gewaltsame Durchsetzung ihrer politischen Ziele mangels Rückhalt verzichten - das ignoriert die jüngsten Erfahrungen in Afghanistan, Irak und Libyen. Man muss ehrlicherweise dann sagen, inwieweit ausländische Truppen den Frieden notfalls durchsetzen sollen oder man ein umgekehrtes Irak in Kauf nimmt, in dem ein schwaches sunnitisches Regime die islamistischen Rebellengruppen als Milizen neben sich stehen hat, die die Träger des früheren Regimes - Alawiten, Christen, Schiiten, Druzen - unterdrücken und mit anderen zentral verfassten Staaten gegen die Kurden an der Peripherie vorgeht. Mir scheint, dass die mögliche Nachkriegsverfassung hier im Westen nicht genügend diskutiert wird - auch wegen einer sorglosen und unverantwortlichen Haltung zur erwünschten Dynamik, die sich mehr an einer vollendeten Revolution als an einem friedlichen Zusammenleben in Syrien orientiert.

  • "Ein Kalifat wird Syrien sicher nicht." Ein zweiter Iran ist auch nicht schlecht und nicht unwahrscheinlich.

    "...hat der Nahost-Militärexperte Tobias Schneider detailreich belegt." vielleicht wäre ein klitzekleiner Hinweis hilfreich-z.B. eine Fußnote?

  • Die Analyse ist überzeugend. Die geforderte Lösung läuft auf das Model Libyen hinaus:

    Die demokratischen Kräfte bringen die gerechte Lösung aller Probleme.

     

    Bringen sie eben nicht. Im Interesse nicht nur der Syrer muss der Krieg so schnell wie möglich beendet werden. Das geht nur durch einen Sieg von Hisbollah/ Iran/ ru.

  • Um es mal auf den Punkt zu bringen: Die Autorin schlägt vor, dass sich die USA und Russland mit den syrischen al-Quaida-Terroristen verbünden und ihnen helfen, dort die staatliche Ordnung endgültig zu beseitigen. Und das kurz nach dem 15. Jahrestag des Anschlags auf das WTC.

     

    Dann würden die syrischen Zivilbewohner und irgendwelche unauffindbare "moderate" Rebellen mit den schwer bewaffneten al-Quaida-Jihadisten verhandeln und sie dazu bewegen, dass sie die erkämpfte Macht abgeben und sich irgendwohin verziehen.

     

    Glaubt die Dame eigentlich selbst, was sie da schreibt?

  • Putin die Vorteile eines Rückzugs zu erklären ist sinnlos, wenn Russland unbedingt unter Beweis stellen will, dass es militärisch als Großmacht vll. als Supermacht wieder in den Ring steigen kann. Die Beziehungen zum Iran und Assads Syrien sind ihm dabei wichtiger, als die wirkliche Befriedung der Region. Die Nato-Osterweiterung samt 2+4 Verträgen drücken immer noch auf den Magen. Russland sucht verzweifelt nach neuen Verbündeten.