Eskalation im Kosovo: Serbisches Drama in vielen Akten
Der konzertierte Alarmismus der serbischen Regierung hilft die Reihen um Staatschef Vučić zu schließen – und stärkt dabei seine Verhandlungsposition.
Rund 5000 Mitglieder serbischer Spezialeinheiten stehen vollbewaffnet und einsatzbereit an der Grenze zum Kosovo, so schreiben es einige serbische Medien. Serbiens Staatschef und Oberbefehlshaber der Streitkräfte Aleksandar Vučić hat Armee und Polizei in allerhöchsten Bereitschaftszustand versetzen lassen. Serbien werde nicht tatenlos einem Pogrom an der serbischen Bevölkerung im Kosovo zuschauen, so Staatspräsident Vučić.
All das klingt so alarmierend, als stünde ein neuer Krieg auf dem Westbalkan unmittelbar bevor. Doch was sich hier abspielt, ist eher Business as usual in Serbien: Sechs Mal wurden serbische Streitkräfte in den vergangenen fünf Jahren in erhöhten Bereitschaftszustand versetzt, schreibt die Belgrader Tageszeitung Danas, immer im Zusammenhang mit Ereignissen im Kosovo.
Und immer nach dem gleichen Muster: Zuerst paradieren sogenannte Fernsehkrieger durch gleichgeschaltete Medien, immer die gleichen Redakteure, Journalisten, Analysten und Militärexperten warnen vor einem Angriff der Machthaber des „falschen Staates Kosovo“ auf das in der „südserbischen Provinz“ lebende serbische Volk, mit dem Ziel den „sogenannten“ Staat von Serben „ethnisch zu säubern“.
Man beruft sich dabei auf „operative Angaben“ der serbischen Geheimdienste, auf „zuverlässige“ Informationen. Dies greifen dann serbische Politiker auf, die EU und USA vermitteln, der Ausnahmezustand dauert einige Tage, und dann fängt alles von vorne an.
Vučić gegen den Rest der serbenfeindlichen Welt
Solche Geschichten beunruhigen einen Teil der Bürger Serbiens, sie schauen besorgt auf den mächtigen Staatspräsidenten, der als Einziger dem serbenhassenden Westen und albanischen Terroristen die Stirn bietet und den Frieden und das Leben der Serben schon bewahren wird. Das Volk schließt die Reihen um seinen Anführer.
Und wenn noch einige westliche Politiker und Kommentatoren darauf reinfallen, dass Vučić tatsächlich die Absicht habe, serbische Streitkräfte ins Kosovo zu schicken, in dem wohlgemerkt Nato-Truppen stationiert sind, umso besser – das hilft nur der Verhandlungsposition Belgrads bei einer zukünftigen Verhandlungsrunde mit Prishtina, zu der es früher oder später immer wieder kommt.
Krieg wird es keinen geben, aber die Lage ist angespannt und Kosovos Premier Albin Kurti ziemlich unberechenbar.
Zur aktuellen Zuspitzung der Lage hat eine Reihe von Aktionen und Gegenreaktionen geführt: Die Regierung in Prishtina wollte den im Kosovo lebenden Serben kosovarische Kfz-Zeichen aufzwingen. Aus Protest verließen alle Serben die kosovarischen Institutionen, auch die Polizei und die Gerichte. Dann verhaftete die kosovarische Polizei drei ihrer ehemaligen serbischen Kollegen wegen „Terrors“.
Provokation und Gegenprovokation
Daraufhin errichteten die Serben im Norden des Landes Barrikaden mit der Forderung, alle „politischen Häftlinge“ freizulassen, albanische Polizisten aus dem mehrheitlich von Serben bewohnten Norden zurückzupfeifen und angebliche Verhaftungslisten mit Serben zurückziehen. Dann erklärte Kosovos Premier Kurti, die kosovarische Polizei würde die serbischen Barrikaden räumen. Daraufhin wiederum erklärte Vučić den höchsten Bereitschaftszustand für die serbischen Streitkräfte.
Und die Provokationen gingen weiter: Die kosovarische Grenzpolizei verbot am Montag dem serbischen Patriarchen Porfirije, seinen mittelalterlichen Sitz im Ort Peć vor dem orthodoxen Weihnachtsfest zu besuchen, was eine neue und zielsichere Demütigung für die Serben bedeutete.
Im Grunde genommen geht es darum, dass „der kleine Putin“ (Kurti über Vučić) zeigen möchte, dass Kosovo kein selbstständiger Staat sei und Serbien im Kosovo immer noch etwas zu sagen hat. Und der „terroristische Abschaum“ (Vučić über Kurti) will das Gegenteil beweisen.
Die serbische Staatsführung ist sauer auf den Westen, weil USA und EU nicht die alleinige Schuld Kurtis an der Eskalation der Lage einsehen wollen und ihn nicht zwingen, die Gründung einer vor acht Jahren vereinbarten „Allianz serbischer Gemeinden“ zu genehmigen. Und dem Westen geht allmählich die Geduld aus.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt
Vieles deutet auf radikal-islamfeindlichen Hintergrund hin
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Keine Konsequenzen für Rechtsbruch
Vor dem Gesetz sind Vermieter gleicher
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Klimakiller Landwirtschaft
Immer weniger Schweine und Rinder in Deutschland