Tanzlehrer über Rooted Dance Culture: „Tanz ist ein Türöffner“
Die „Rooted Dance Culture“ verbindet Tanz mit kulturellem Wissen. Der Hamburger Tanzlehrer Anam Lukas Lubisia über den Hintergrund der Bewegung.
taz: Herr Lubisia, warum möchten Sie nicht nur Tanzschritte, sondern auch deren kulturellen Hintergrund vermitteln?
Anam Lukas Lubisia: Viele wissen, dass Ballett gewisse Strukturen und Formen hat, die eingehalten werden. Diese Formen gibt es aber zum Beispiel auch im Hip-Hop. Es gibt Grundschritte. In jedem Stil gibt es solche Strukturen, aber sie werden oftmals missachtet. Häufig wird Hip-Hop unterrichtet, ohne dass ein Teacher überhaupt einen Namen eines Grundschritts kennt oder ihn tanzen kann. Deshalb dachte ich, es wäre schön, einen Ort zu haben, an dem der Ursprung der Tanzstile geachtet wird.
taz: Wie sieht das in der Praxis aus?
Lubisia: Wir haben mit Hip-Hop-Classes angefangen. Bald kam dann Afro dazu und mittlerweile noch vieles mehr, alles Stile aus der Black Dance Culture. Zum Beispiel Vouge Femme, ein Tanzstil aus der Ballroomszene, oder Dancehall, ein Stil aus Jamaika. Alle Teacher gestalten die Classes ein bisschen anders. Wir halten nicht jede Woche im Kurs eine Speech. Manchmal schreiben wir Infos mit einem Stift an den Spiegel im Studio und versuchen immer wieder, historische Fakten einzubringen. Nächste Woche haben wir zum Beispiel eine Class, in der wir eine Lecture-Stunde haben zum Thema Amapiano, einem Stil aus Südafrika.
taz: Findet diese Auseinandersetzung auch in anderen Tanzstudios statt?
Lubisia: Nein, nicht wirklich. In Hamburg kenne ich nur ein anderes Studio, das den Fokus auf Hip-Hop setzt. Hip-Hop zum Beispiel wird schon sehr lange für kommerzielle Zwecke genutzt, was ich als damaliges Vollzeit-Model oft mitbekommen habe. Wenn für Adidas oder Nike etwas trendy sein sollte, wurde irgendwo Hip-Hop mit eingespielt. Als ich als Teenager Tanz unterrichtet habe, habe ich auch irgendwelche kommerziellen Bewegungen gemacht und dachte, all das sei Hip-Hop. Es ist keine böse Intention, die Leute machen das aus Unwissenheit. Hip-Hop ist außerdem ein Stil, der sich sehr schnell fortentwickelt, weil die Musik sich ständig ändert. Die Tanzrichtung entwickelt sich mit jedem Song weiter. Kultur und Historie werden dann oft nicht beachtet. Ich glaube aber, es ist wichtig, ein paar ursprüngliche Sachen zu verstehen und zu wissen.
27, hat lange als Model gearbeitet. Seit er 15 Jahre alt ist, unterrichtet er Tanz. 2022 hat er das Projekt Rooted Dance Culture in Hamburg ins Leben gerufen.
taz: Seit wann unterrichten Sie Tanz?
Lubisia: Ich habe schon mit 15 angefangen, hauptberuflich war ich aber lange Model. Ich hatte eine kleine Identitätskrise nach der Black-Lives-Matter-Welle 2020. Ich wollte dann meine Haare wachsen lassen, was in meinem Modeljob zu enorm vielen Konflikten geführt hat. Ich war damals eines der meistgebuchten male Models meiner Agentur, habe deutschlandweit für viele Kunden gearbeitet – und ab dem Moment, als ich meine Haare wachsen lassen habe, gab es Probleme. Dann habe ich mich gefragt, ob das im Tanzen auch so ist und habe die Tanzszene und die kommerzielle Fashionwelt gegenübergestellt. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass man beim Tanzen einfach komplett frei tun kann, was man möchte, und sein kann, wie man möchte. Keiner würde einem sagen, „schneide deine Haare ab“ oder „du brauchst diese oder jene Körpermaße.“
taz: Sie arbeiten hier seit Beginn ehrenamtlich. Wie viel Arbeit stecken Sie in das Projekt?
Lubisia: Ich kann das gar keine Arbeit nennen. Ich mache es, weil es ein Herzensprojekt ist. Das war von Anfang an so. Ich möchte hiervon eigentlich nichts haben. Alles sollte sich organisch aufbauen, nicht rein kommerziell. Deshalb haben wir nicht viel Marketing gemacht, nicht viel gepostet. Es sollte nicht nur darum gehen, coole Videos zu machen, sondern Leute hier zu haben, die wirklich Interesse am Tanzen haben. Und jetzt hat sich der Kern geformt. Dieser Kern hält den Raum zusammen und jede Person, Anam Lukas Lubisiadie von außen kommt, bekommt ein Gefühl davon. Ich bin nur die Person, die es gegründet hat, die den Schlüssel zur Tür hatte. Es geht aber nicht um mich, sondern über mich hinaus. Wenn morgen jemand sagt „Hey, ich hätte Lust, das hier alles zu leiten“, oder ich sage morgen, „ich will jetzt für immer im Ausland leben“ – dann ist es auch okay, dann geht es weiter.
taz: Was ist das langfristige Ziel von Rooted Dance Culture?
Lubisia: Tanz war der Türöffner, der erste Schritt, um aus sich rauszukommen, seinen Geist zu öffnen. Man vernetzt sich, man hat Spaß und man entfaltet sich. Das ist aber nicht alles. Dieser Raum hat jetzt schon unterschiedliche Sachen kreiert. Wir haben hier drin super viel gelacht, geweint, viele Diskurse gehabt. Es soll jetzt über Tanz hinausgehen. Wir wollen Räume schaffen, zum Beispiel in Form von Meditationskursen, um zu fragen, wie geht es meiner Psyche? Ist Tanz eigentlich nur ein Escape? Komme ich eigentlich nur hierher, damit ich vor all dem weglaufen kann, was draußen ist? Außerdem wollen wir mehr mit und für Kindern und Jugendliche machen und für Personen, die körperlich beeinträchtigt sind. Mir ist es wichtig, dass alle hier herzlich willkommen sind. Alle sollen kommen und Spaß am Tanzen haben können.
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