Erwartete Schlacht um syrische Provinz: Türkisches Militär trifft Vorbereitungen

Die Türkei verstärkt ihre Truppen an der Grenze zu Syrien. Hunderttausende könnten aus der Provinz Idlib fliehen, fürchtet man in Ankara.

Ruhe vor dem Sturm? Rechts der Mauer liegt die syrische Stadt Atimah, links davon ist türkisches Terrain Foto: reuters

ISTANBUL taz | Die türkische Armee bereitet sich darauf vor, dass in Kürze eine Schlacht um Idlib, die letzte noch von Rebellen kontrollierte Provinz in Syrien, beginnen wird. Idlib grenzt im Westen direkt an die Türkei. Wie die türkische Nachrichtenagentur Anadolu meldete, schickt die Armee seit Freitag Verstärkung an die Grenze und stockt die Besatzungen ihrer zwölf Kontrollpunkte in Idlib auf. Ende vergangener Woche waren Gespräche zwischen dem türkischen Geheimdienst und der Dschihadistengruppe „Hai'at Tahrir al-Scham“ gescheitert. Diese größte Miliz in der Provinz Idlib ist die Nachfolgeorganisation der Nusra-Front und gilt nach wie vor als syrischer Al-Qaida-Ableger.

Die türkische Regierung hatte gehofft, die Dschihadisten davon zu überzeugen, ihre Waffen niederzulegen, um so insbesondere Russland leichter dazu zu bringen, einen Angriff auf Idlib zu unterlassen. Russland hatte in Gesprächen mit der Türkei immer wieder betont, die „islamistischen Terroristen“ in Idlib müssten unschädlich gemacht werden. Nachdem Hai'at Tahrir al-Scham die Gespräche mit der Türkei abgebrochen hat und Ankara die Gruppe am Freitag auch auf ihre Terrorliste gesetzt hat, scheint ein bewaffneter Angriff der syrischen Regierungstruppen mit russischer Unterstützung unabwendbar.

In Idlib leben rund 3 Millionen Menschen, darunter viele Flüchtlinge, die nach Niederlagen der Rebellen aus anderen Teilen Syriens nach Idlib gebracht worden waren. Syriens Diktator Baschar al-Assad drängt nach den militärischen Erfolgen seiner Truppen im Süden des Landes darauf, auch Idlib wieder unter seine Kontrolle zu bringen.

Erdoğan und Putin diskutieren jetzt darüber, die Kämpfe möglichst auf Milizionäre der Hai'at Tahrir al-Scham zu begrenzen

Dagegen würde der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan Idlib gerne als Pufferzone erhalten, weshalb entlang der Provinzgrenzen in Absprache mit Russland und Iran schon 2017 12 zwölf türkische Militärposten eingerichtet wurden. Diese könnten jetzt als Stolpersteine dienen, sollten syrische Regierungstruppen in die Provinz vordringen. Erdoğan und Putin diskutieren jetzt darüber, die Kämpfe möglichst auf Milizionäre der Hai'at Tahrir al-Scham zu begrenzen. Laut türkischen Quellen gehören rund 10. 000 Kämpfer der Organisation an.

Auch UN-Sondervermittler Staffan de Mistura geht von einem Angriff auf die Dschihadisten aus und forderte am Freitag, es müssten zuvor humanitäre Korridore eingerichtet werden, durch die Zivilisten aus dem Kampfgebiet in Sicherheit gebracht werden könnten. Aus türkischer Sicht dürften die Zivilisten aber nicht in Richtung der Grenze gebracht werden.

Idlib im Visier

Von Zerstörung bislang verschont geblieben: der Uhrenturm von Idlib-Stadt im Nordwesten Syriens, hier in einer Aufnahme aus dem Juni 2017. Foto: reuters

Die Provinz Idlib ist das letzte zusammenhängende Stück Land in Syrien, das von Anti-Assad-Rebellen kontrolliert wird. Seit Jahren hat das Regime von Baschar al-Assad Kämpfer und ihre Familien in Bussen nach Idlib gebracht, nachdem es die von ihnen kontrollierten Gebiete zurückerobert hatte. Die Region wird heute von verschiedenen Milizen beherrscht. Foto: ap

Assad will Idlib wieder unter seine Kontrolle bringen. „Jetzt ist Idlib unser Ziel“, kündigte er an, nachdem Regierungstruppen im Juli den Süden des Landes zurückeroberten. Auf dieser Aufnahme hissen Assad-Soldaten die alte syrische Nationalflagge in der Provinz Deraa, in der der Aufstand gegen den Diktator im Arabischen Frühling 2011 begann. Foto: ap

Am Freitag treffen sich die Präsidenten Irans, der Türkei und Russlands in Teheran, um über die Idlib-Frage zu beraten. Seit Jahren schon bestimmen die drei Astana-Mächte über Krieg und Frieden in Syrien. Foto: ap

Bewohner haben bereits Lebensmittel angehäuft. Das Foto wurde am Montag in einer Höhle in Idlib aufgenommen. Zum Glück sei noch alles verfügbar, berichtete Hassan Tabajo aus Idlib-Stadt am Mittwoch der taz. Auch die Preise bewegten sich im Rahmen des Akzeptablen. Foto: reuters

Aus Angst vor einem Einsatz von Chemiewaffen probierten diese Kinder am Montag selbst hergestellte Gasmasken aus. Foto: reuters

Idlib grenzt an die Türkei und einen von der Türkei besetzten Landstrich in Nordsyrien. Ankara fürchtet neue Flüchtlinge und will eine Großoffensive verhindern. Präsident Recep Tayyip Erdoğan warnte am Mittwoch vor einem „Massaker“. Natürlich würde er fliehen, sagt Hassan Tabajo, der bereits aus Ost-Ghuta nach Idlib kam. „Das einzige, was ich besitze, sind meine Tasche und meine Mutter, ich nehme sie mit und fliehe.“ Illustration: Infotext Berlin

Mit Luftangriffen in Idlib haben das syrische Regime und seine Schutzmacht Russland bereits begonnen. Diese Woche bombardierten russische Kampfjets die Stadt Dschisr al-Schughur, die von Kämpfern der dschihadistischen Hai'at Tahrir al-Scham (HTS) gehalten wird. Aber auch Ortschaften, die von anderen Rebellen kontrolliert werden, wurden ins Visier genommen. Foto: afp

Diese Aufnahme zeigt den HTS-Führer Abu Muhammad al-Golani (l.). Das Foto wurde im August von der Gruppe selbst veröffentlicht. Für Syrien und Russland sind alle Assad-Gegner in Idlib Terroristen, die es auszumerzen gilt. Foto: ap

Hilfsorganisationen und die Vereinten Nationen warnen vor einer humanitären Katastrophe, sollten Russland und Syrien Idlib in einer groß angelegten Luft- und Bodenoffensive angreifen. In der von Rebellen gehaltenen Region leben rund drei Millionen Menschen, die meisten sind Zivilisten. Dieses Foto zeigt die Mondfinsternis am 27. Juli über Idlib-Stadt. Foto: reuters

Die größte Angst in Ankara ist, dass erneut mehr als eine Million Syrer versuchten könnten, in die Türkei zu flüchten. Auch deshalb werden Truppen an die Grenze gebracht, um Flüchtlinge abzuwehren. Am Freitag treffen sich Russlands Präsident Putin und sein türkischer Kollege Erdoğan in Teheran mit Irans Präsident Ruhani, um über das weitere Vorgehen in Syrien zu entscheiden.

Comments

[DeadboZ]

"Füchtlinge abzuwehren" hört sich an wie die Umsetzung einer AfD-Forderung, nur in einem anderen Land als Deutschland. Welche Kugel die Betroffenen nun niederstreckt, ist denen sicherlich auch egal.

Und hat Herr Assad in diesem Thema keine Meinung kund zu tun? Also als Verwalter der Provinz Sysrien im Großreich Russland?