Erwärmungskuppeln auf der Hallig: Klimawandel als Handarbeit
Ein einzigartiges Projekt der Uni Hamburg testet, wie Salzwiesen auf den Klimawandel reagieren. Dafür stecken Heizstäbe einen Meter tief im Boden.
Das Besondere
Natürlich die Salzwiesen und die Hallig.
Die Zielgruppe
Unerschrockene Nordseetourist*innen, denen es nichts ausmacht, wenn der Sommerurlaub kaum von einer Herbstreise zu unterscheiden ist.
Hindernisse auf dem Weg
Die Hamburger Hallig ist zu Fuß, per Fahrrad oder mit dem Auto zu erreichen ist. Vom Deich aus (mit Bezahlschranke) sind es noch vier Kilometer auf einspuriger Straße mit Ausweichbuchten. Vorfahrt nehmen sich grundsätzlich die Schafe, die auch gern auf dem Weg lagern. Vom Hamburger Stadtzentrum ist die Hallig rund 170 Kilometer entfernt.
Zusammen mit der Universität Hamburg simuliert sie den Klimawandel auf quadratischen Stückchen Salzwiese, die rund zwei Mal pro Monat – in der unteren Zone sogar zweimal täglich – vom Meerwasser überflutet werden. Fast ständig weht der Wind, mehrmals im Jahr braust eine Sturmflut über die Hallig. Hier den Klimawandel nachzubauen, ist mühevolle Handarbeit – und nur im Sommerhalbjahr überhaupt möglich. „Es gibt viel Wind und viel Wasser – da geht ständig etwas kaputt“, sagt Unger.
Erst vor Kurzem hat sie Folien ausgetauscht; die sind über Eisengestänge gespannt, wie durchsichtige Iglu-Zelte sehen die Konstruktionen von Weitem aus. 27 dieser „Erwärmungskuppeln“ wölben sich jeweils über 3 Mal 3 Meter großen Flächen, unter ihnen erwärmt sich wegen der Folien die Luft. Da der Wind auf der Hallig auch im Sommer ständig und teils stark an den Konstruktionen zerrt, muss Unger die Folien regelmäßig ausbessern. Denn nur mit deren Hilfe bleibt die Temperatur unter den Kuppeln gleichmäßig erhöht: Bei wenigen Folien um 1,5 Grad im Vergleich zur Außentemperatur, bei mehr und dichter gespannten Folien um 3 Grad.
Halligen sind kleine Inseln in der Nordsee, die bei Sturm überschwemmt werden. Häuser stehen daher auf kleinen, künstlich aufgeschütteten Hügeln, auch Warften genannt, und sind so vor den meisten Überschwemmungen geschützt. Die Hamburger Hallig ist die einzige Hallig an der Nordseeküste, die über einen befestigten Weg mit dem Festland verbunden ist. Überschwemmt wird auch sie regelmäßig. Bäume gibt es nicht, und das, was wie Rasen aussieht, sind Salzwiesen, also Gräser, Kräuter und Blumen, die sich an das Salzwasser angepasst haben.
Salzverkrustete Hightech
So windzerzaust, salzverkrustet und verlassen das alles aussieht – die Kuppeln sind mit ganzen Bündeln von Kabeln verbunden, an denen einfache Computer stecken, kleine Solarpaneele versorgen sie mit Strom. Sie stehen in drei Beobachtungszonen mit jeweils etwas anderer Vegetation und unterschiedlich häufiger Überflutung – direkt an der Küste, im mittleren Bereich der Salzwiese und im oberen Bereich. Unter den Kuppeln verbergen sich sechs verschiedene Sensoren, die täglich eine Vielzahl von Daten an die Uni Hamburg schicken. Auch diese Sensoren müssen Unger und ihre Mitarbeiter*innen regelmäßig überprüfen und reparieren.
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„Wir heizen neben der Luft auch aktiv den Boden auf“, erklärt Unger. Dazu stecken 30 Heizstäbe pro Versuchsfläche einen Meter tief im Halligboden. Ein Algorithmus sorgt dafür, dass so auch die Umgebung der Pflanzenwurzeln konstant 1,5 beziehungsweise 3 Grad wärmer ist als die Umgebung.
Unger interessiert sich dafür, was unter der Erde passiert. „Das hier ist ein besonderer Lebensraum“, sagt sie. „Und weil es wenig Sauerstoff gibt, bauen die Mikroben die Pflanzen hier sehr langsam ab, viel langsamer als etwa in Wäldern, auch im Regenwald.“ Salzwiesen seien daher ein großer und sehr effektiver CO2-Speicher. „Wir wollen mehr darüber wissen, inwiefern sich das bei höheren Temperaturen ändert.“
Dass sich etwas ändert, ist teils schon mit bloßem Auge erkennbar. „Wir beobachten, dass der Strandflieder unter den 3-Grad-Kuppeln früher blüht und früher verblüht“, sagt Unger. Sensoren, die die Grünphase der Pflanzen messen, hätten den Eindruck bestätigt. „Die Wachstumsphase fängt hier früher an und dauert länger in den Herbst hinein“, sagt sie.
Außerdem würden die Pflanzen ihre Poren verschließen, damit weniger Wasser verdunstet. „Das ist ein eindeutiges Zeichen, dass die Pflanzen Hitzestress haben.“ Sie hätten auch Hinweise darauf, dass die Pflanzen in höherer Hitze schneller abgebaut werden. „Das könnte bedeuten, dass die Böden auch weniger CO2 speichern. Wir werden das weiter untersuchen“, so Unger.
Begonnen hat die Uni Hamburg mit der Klimawandelsimulation 2018, wegen der widrigen Bedingungen dauerte es ein Jahr, bis alles stand. Es ist weltweit die einzige Simulation in einer Salzwiese; ein Schwesterprojekt in der USA erhitzt auf ähnliche Art Boden und Luft auf Versuchsfeldern in einer Brackwassermarsch. Und weil die Wetterbedingungen auf der Hallig so rau sind, können die Kuppeln dort nicht das ganze Jahr über stehen: Im Oktober bauen sie alles ab, Ende Februar dann wieder auf. Die Konstruktionen würden die Winterstürme nicht überstehen.
„Es kann sein, dass wir manche Prozesse verpassen, weil wir nicht das ganze Jahr durchgängig die Temperatur erhöhen“, sagt Unger. „Aber wir haben auch so viele interessante Ergebnisse. Wir können hier noch vieles erforschen.“ Das Projekt läuft erst mal bis 2025, drei Doktorand*innen forschen zu Treibhausgasen, Mikroben im Boden und Pilz-Wurzel-Symbiosen. In der Arbeitsgruppe hoffen sie auf Verlängerung um mindestens weitere sechs Jahre.
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