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Erster privater Radiosender in Westberlin„Wie die taz, nur mit mehr Humor“

Mit Radio 100 ging 1987 ein linksalternatives Projekt on air und sendete vier Jahre. Freitag und Samstag wird das Jubiläum gefeiert.

Bandsalat: chronisch unterfinanziert beeinflusste Radio 100 dennoch nachhaltig die Szene Foto: Thomas Räse
Fabian Franke
Interview von Fabian Franke

taz: Frau Kay, Radio 100 gründete sich als basisdemokratisches Projekt in einer Altbauwohnung in der Potsdamer Straße – und sendete auch dar­aus. Passte es in die Zeit?

Manuela Kay: Radio 100 war ein heute fast nicht mehr denkbares Medienprojekt, das aus so einer Aufbruchstimmung in Westberlin heraus entstanden ist. Es war schon ein echter Knüller, dass so ein bunter, linksalternativer Haufen die Frequenz für den allerersten Privatsender in Berlin zugesprochen bekam. Der damalige Kabelrat hat gesagt, es ginge darum, die Vielfalt Berlins und die große Subkultur mit den politischen Bewegungen dort abzubilden. Das würde heute niemandem mehr so einfallen, da man damit nicht viel Geld verdienen kann. Das spielte in Westberlin aber damals keine große Rolle. Keiner hatte Geld – und es gab auch keine Aussicht auf welches.

Sie waren von Anfang an dabei. Wer noch?

Das waren ganz viele unterschiedliche Gruppen mit verschiedenen politischen Ansätzen und Vorstellungen – aber alle mit einer gemeinsamen Idee: Wir sind links, alternativ, wir wollen Medien machen, bestimmte Strömungen in der Stadt darstellen, wir senden für West-, aber auch für Ostberlin. Und vor allem sind wir sehr feministisch. Frauen spielten eine ganz große Rolle, das war in allen Sendungen klar.

Also vergleichbar mit der Grundidee der taz.

Ja, auf jeden Fall. Nur dass wir immer schon sehr viel mehr Humor hatten.

Die Sendung, in der Sie von Anfang an mitgewirkt haben, hieß Eldoradio. Sie war queer, bevor es diesen Begriff überhaupt gab.

Ja, Eldoradio kam aus dieser 80er-Jahre-Aufbruchstimmung. Vor allem auch aus der Westberliner Schwulenszene, wo das Magazin Siegessäule fast zeitgleich entstand. Das war erst eine reine Schwulengruppe, und dann kamen ganz langsam Lesben dazu. Wir mussten uns da am Anfang sehr hart durchbeißen. Schwule und Lesben haben in Berlin noch nie wirklich viel zusammen gemacht. Und der schwule Kern war zwar total offen und total nett, aber völlig ahnungslos – da musste man wirklich bei null anfangen. Wir Lesben haben den Schwulen einen Grundkurs in Feminismus gegeben. Und darin, was Frauen überhaupt sind und über Lesben aufgeklärt. Das war sehr hart, hat aber funktioniert.

Bild: Tanja Schnitzler
Im Interview: Manuela Kay

52, war für Radio 100 fester Bestandteil der Sendungen Eldoradio, Morgengrauen und Großstadtfieber. Heute ist sie Verlegerin von Siegessäule und ­L-MAG (hier auch Chefredakteurin) sowie Buchautorin und Filmfestival-Kuratorin.

Sehr modern für diese Zeit?!

Damit haben wir Dinge getan, die schon damals weit ihrer Zeit voraus, revolutionär waren. Schwule haben über Lesben berichtet, Lesben über Schwule, und vor allem haben sie mitein­ander gesprochen, nicht nur übereinander. Und bestimmt 50 Prozent der Radio-100-Belegschaft waren schwul oder lesbisch. Das war sensationell und hat sich in den Inhalten, aber auch im Umgang miteinander widergespiegelt. Ein kleines Paradies, ein kleines queeres Ökotop.

Gab es Gegenwind gegen dieses Ökotop?

Es klingt, als würde ich es schönreden – aber Gegenwind jetzt wegen schwul oder lesbisch gab es überhaupt nicht. Natürlich hatten wir politischen Gegenwind, weil wir zu links waren. Aber gegen Schwule oder Lesben, würde ich sagen, gab es das nicht.

Und trotzdem stellte Radio 100 nach nur vier Jahren den Sendebetrieb ein. Aus finanziellen Gründen?

Es war überhaupt nicht das Geld. Es war eine politische Intrige, es war Hochverrat, wenn man so will. Unser damaliger Geschäftsführer hat hinter dem Rücken der Belegschaft mit einigen wenigen Mitwissenden unseren Sender und unsere Seele an den französischen Sender NRJ verkauft. Die haben sich damals in ganz Europa auf diese Weise ausgebreitet. Sie wollten Sendefrequenzen bekommen, ohne offizielle Vergabeverfahren durchlaufen zu müssen. Und sie haben wahrscheinlich – das lässt sich nicht beweisen – Leute mit diversen Mitteln überzeugt, für sie bestimmte Sender einfach pleitegehen zu lassen. Wir waren zwar immer mal wieder ziemlich pleite, aber nicht Konkurs. Als der Konkurs angemeldet wurde, wussten wir alle, dass auf dem Spendenkonto noch Geld ist. Das wurde aber nicht transferiert, um den Sender gezielt pleitegehen zu lassen.

Habt ihr euch Vorwürfe gemacht?

Wir waren zu jung, zu blöd und zu naiv, um uns mit den Finanzen des Senders zu beschäftigen. Wir haben das einigen Wenigen und offenbar den Falschen überlassen. Wir wollten Inhalte, Politik, Medien und Sendungen machen – Geld war uns egal. Und dann wurden die Schlösser im Sender ausgetauscht, und wir konnten nicht mehr senden.

Man liest aber auch immer wieder, dass der Sender einfach damit überfordert war, als er 1989 die Vollfrequenz bekam und sich den Platz nicht mehr teilen musste.

Das halte ich für Quatsch. Nur mit einer Vollfrequenz wirst du als Sender ernst genommen. Für mich hat es eigentlich erst richtig mit der Vollfrequenz angefangen. Mir hat das wahnsinnig viel Spaß gemacht, morgens zu senden. Wir hatten irrsinnig viele Hörer*innen und haben das sehr gut geschafft. Es war sehr viel Arbeit, ja, und es hätten auch gern mal ein paar Leute mehr morgens früh aufstehen können, um für die Sendungen zu arbeiten. Aber daran sind wir nicht gescheitert. Wir sind an der Profitgier einiger Weniger gescheitert.

Radio-100-Revival

Das 30. Jubiläum des Sendestarts von Radio 100 wird am Freitag und Samstag in der Columbiahalle gefeiert.

3. März: Panels und Diskussionen ab 15 Uhr, unter anderem zur Sendung Eldoradio und dem Radio-100-Archiv; ab 19 Uhr Ausstellung.

4. März: Radio 100 geht ab 7 Uhr einen Tag auf Sendung, live aus dem Gläsernen Studio im Columbia Theater. Zu hören auf UKW 88,4 MHz und unter www.radio100.de. Ab 19 Uhr DJ-Sets und Party.

Also daran, wogegen Radio 100 eigentlich gegründet worden war?

Wir waren halt so naiv, dass wir glaubten, alle, die in unserem Team sind, werden auch 1991 noch das gleiche politische Interesse haben. Und dass manche Angst um ihre Zukunft hatten und endlich mal Geld verdienen wollten, das wäre mir nie eingefallen. Heute würde ich da vorsichtiger sein und auch viel mehr Kontrolle ausüben wollen innerhalb so eines Ladens. Das haben wir damals einfach total unterschätzt.

Nun lebt Radio 100 am Freitag und Samstag wieder auf. Live auf Sendung für einen Tag, dazu Diskussionen, Panels und eine Ausstellung. Wozu das Ganze?

Ich gebe zu, es ist ein bisschen absurd, den Geburtstag von etwas zu feiern, das es seit 26 Jahren nicht mehr gibt. Das ist ein bisschen gewagt, ein bisschen skurril. Aber Radio 100 war nun mal so ein Leuchtturm damals und ist bis heute das Vorbild für alle linken freien Radiosender, für Piratensender und für alternative Medienprojekte. Radio 100 hat Hunderte von späteren Journalist*innen hervorgebracht und die Medienlandschaft zumindest in Berlin sehr nachhaltig beeinflusst. Es hat die Geschichte und den Zustand von Berlin und von Deutschland zu dieser Zeit sehr gut widerspiegelt. Das muss man immer wieder hervorheben. Und natürlich ist es auch eine Art Selbstreflexion, ein bisschen Therapie vielleicht. Außer für die Verräterbande, die das angezettelt hat, kam das Ende ja sehr überraschend und gegen unseren Willen. Wir haben das, glaube ich, nie wirklich aufgearbeitet.

Bräuchte es wieder mehr von Radio 100?

Auf jeden Fall. Keine Ahnung, ob man das finanzieren könnte. Es wäre sicherlich eine sehr geile Bereicherung der Radiolandschaft. Aber natürlich fragen sich alle, wie das heute klingen würde, was da passieren würde. Und ich denke, wenn es die taz gibt, könnte es auch Radio 100 noch geben. Bestimmte linke Positionen und bestimmte basisdemokratische Projekte werden hoffentlich nie aussterben. Man muss nur mit der Zeit gehen.

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