Erster Mai in Frankreich: Kein holder Mai für Macron
Vereint wie selten wird landesweit und heftigst gegen die Rentenreform protestiert. Laut Gewerkschaften sind mehr als eine Million auf den Straßen.
Bei den Umzügen marschieren laut Polizei im Vergleich zu den Vorjahren doppelt bis zehnmal so viele Leute mit. Mindestens, so die Gewerkschaften, wohl rund 1,5 Millionen. Der Grund: Es geht nicht nur generell um Arbeitnehmerrechte, sondern vor allem um die Rentenreform. Diese ist und bleibt inakzeptabel für die Gewerkschaften.
Zum ersten Mal seit 2009 und in seltener und kampfentschlossener Eintracht haben die französischen Gewerkschaftsverbände am „Tag der Arbeit“ demonstriert. Diese Einheit ist das Ergebnis des gemeinsamen Kampfs gegen eine von Präsident Emmanuel Macron gewollte Rentenreform. Und mehr noch gegen die Art und Weise, wie jene soziale Verschlechterung gegen eine breite Ablehnung in der Bevölkerung zuletzt ohne ein Pro des Parlaments für verabschiedet erklärt wurde. Diese (in Frankreich sehr seltene) Einheit der Verbände hat seit Mitte Januar allen Spaltungsversuchen getrotzt.
Im Zentrum der Forderungen am 1. Mai steht darum erneut die Rücknahme dieser Reform. Sie bedeutet eine Erhöhung des gesetzlichen Rentenalters von 62 auf 64 Jahre und unter dem Strich für sehr viele zukünftige Rentner geringere Ruhestandsleistungen – weil sie etwa bereits früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden mussten oder aus anderen Gründen wegen ungenügender Beitragszahlungen die Konditionen für eine Vollrente nicht erfüllen.
Pfannenkonzerte und mehr kämpferischer Einsatz
Der gewerkschaftliche Kampf gegen die Rentenreform ist noch lange nicht zu Ende. Der 1. Mai in Frankreich ist wieder ein willkommener Anlass, um zu zeigen, dass sich die Erwerbstätigen, die diese Politik laut Umfragen unverändert zu fast 90 Prozent ablehnen, nicht geschlagen geben. Seit dem Urteil des Verfassungsrats Mitte April, das den Kernpunkt der Reform, die Anhebung des gesetzlichen Rentenalters auf 64 Jahre, für gültig erklärt hatte, werden die Streiks, Kundgebungen und andere Formen lokaler Aktionen fortgesetzt.
Kein Minister und schon gar nicht Premierministerin Elisabeth Borne oder Staatspräsident Emmanuel Macron kann derzeit irgendwo im Land einen Besuch machen, ohne von Demonstrierenden mit einem lautstarken Pfannenkonzert „begrüßt“ zu werden. „Casserolades“ lautet der französische Neologismus für diese Proteste. Örtliche Polizeipräfekten wollten anfänglich solche Störaktionen nicht bloß auf Distanz halten, sondern gleich verbieten. Es brauchte Gerichts- entscheide, um der Staatsführung klarzumachen, dass sie sonst demokratische Grundrechte infrage stellen würden.
Auch als beim Finalspiel des französischen Fußball-Cup zwischen Toulouse und Nantes am vergangenen Samstag die Gewerkschaften vor dem Stade de France in Saint-Denis bei Paris an die Fans nebst Flugblättern auch Trillerpfeifen und rote Karten (mit einem Nein zum Rentenalter 64) verteilen wollten, reagierten die Behörden zuerst mit einem Verbot. Das wurde ebenso rasch von einem Gericht aufgehoben. Beim Betreten des Stadions wurden allerdings dann die meisten Anti-Macron-Karten und Lärminstrumente konfisziert.
Aus Angst vor Pfiffen und Buhrufen traute sich Macron dennoch nicht auf das Spielfeld, um den Siegern des FC Toulouse am Schluss den Pokal zu übergeben. Klarer Fall: Die Staatsführung muss nun bei jedem öffentlichen Anlass, vom Fußball bis zum traditionellen 1. Mai, mit Protesten rechnen.
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