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Erste Obdachlosenzählung in BerlinSolidarität als Nebenwirkung

Manuela Heim
Kommentar von Manuela Heim

Jahrzehnte hat es gedauert, bis sich eine Regierung traut, die Obdachlosen Berlins zu zählen. Besser noch: Sie mutet es ihren Bürger:innen zu.

Einer, der zählt: Obdachloser in einem Berliner Winter Foto: dpa

S eit Jahrzehnten fordern Wis­sen­schaft­le­r:innen und Wohlfahrtsverbände genaue Zahlen zu den Obdachlosen dieser Stadt. Stattdessen gibt es Schätzungen, Vermutungen. Zum Beispiel die, dass die fortschreitende Wohnungsknappheit zu einer sozialen Spaltung führe, die immer mehr Menschen mit einem Leben auf der Straße bezahlen müssten. Nun lassen sich aber Vermutungen leichter hinnehmen als Fakten. Berlins erste Obdachlosenzählung im Januar ist deshalb von großer Bedeutung.

Warum es so lange gedauert hat, diese Zählung auf den Weg zu bringen, berührt im Kern zwei Fragen. Die erste, es ist vermutlich die entscheidende: Wollen wir ganz bewusst dahin schauen, wo die meisten Großstädter:innen reflexhaft die Lider senken? Die Frage ist offenbar lange mit Nein beantwortet worden.

Wie macht man das überhaupt?

Die rot-rot-grüne Koalition hatte sich das Vorhaben Obdachlosenzählung in den Koalitionsvertrag geschrieben und mit Elke Breitenbach eine linke Senatorin eingesetzt, der, das hört man auch immer wieder von Obdachlosen, das Hinschauen ein Anliegen ist. Und die sich deshalb auch die zweite Frage vorgeknöpft hat: Wie macht man das überhaupt, in einer riesigen Millionenstadt diejenigen zählen, die längst aus allen Systemen staatlicher Erfassung herausgefallen sind?

Die Antwort, die man in der Sozialverwaltung darauf gefunden hat, beinhaltet, dass Berlins erste Obdachlosenzählung kein reines Statistikprojekt wird, an dessen Ende belastbare Zahlen stehen. Sondern vielmehr auch eine Nacht, in der die Berliner:innen die Obdachlosen ihres eigenen Lebensumfelds kennenlernen. Für die Frage, ob Berlin die soziale Spaltung hinnimmt, mag das noch entscheidender sein.

Zu verdanken ist dies vor allem dem Pariser Vorbild, aber auch der Verve einer Behörde, diesen Weg zu gehen. Dafür: Chapeau!

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Manuela Heim
Gesundheit und Soziales
Redakteurin in der Inlandsredaktion, schreibt über Gesundheitsthemen und soziale (Un-) Gerechtigkeit.
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2 Kommentare

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  • kein Scherz, keine Persiflage, sondern ein Beispiel für die ganz normale Perversion kapitalistischer Ausbeutung:



    Drumelia Real Estate



    www.drumelia.com/e...eta-benahavis.html



    Aber die Staatsausgaben, die müssen gedeckelt werden, alles andere ist ja unvernünftig!

  • taz: "Erste Obdachlosenzählung in Berlin. Seit Jahrzehnten fordern Wis­sen­schaft­le­r*innen und Wohlfahrtsverbände genaue Zahlen zu den Obdachlosen dieser Stadt. Stattdessen gibt es Schätzungen, Vermutungen. Berlins erste Obdachlosenzählung im Januar ist deshalb von großer Bedeutung."

    Merkwürdig, denn über die Reichen in Deutschland hat man genaue Zahlen, aber reiche Menschen sind ja für unsere Volksvertreter auch die "wertvolleren Menschen". Deutschland hat 400.000 Millionäre. Es gibt in Deutschland aber auch 2300 Multi-Millionäre, also Menschen die mehr als 100 Millionen Dollar besitzen (Angaben werden in solchen Rankings immer in US-Dollar aufgeführt).

    taz: "... dass die fortschreitende Wohnungsknappheit zu einer sozialen Spaltung führe, die immer mehr Menschen mit einem Leben auf der Straße bezahlen müssten."

    In Deutschlands Großstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Allein in Berlin fehlen 310.000 bezahlbare Wohnungen und in Hamburg 150.000 Sozialwohnungen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von Stadtsoziologen der Humboldt-Universität Berlin und der Goethe-Universität Frankfurt im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Gleichzeitig erhöhen Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen, Vonovia, Grand City Property, ADO Properties und Akelius ihre Mieten ins Unermessliche (z.B. durch 'Gentrifizierung') oder wandeln eine Mietwohnung in eine Eigentumswohnung um und erhöhen die Obdachlosigkeit in Deutschland damit noch mehr. Dass deutsche "Sozialbehörden" Hartz IV Bezieher aus ihren Wohnungen drängen (Mietkostensenkung), und damit die Zahl der Wohnungslosen und der Obdachlosen erhöhen, ist unseren Journalisten auch seit Jahren keine Zeile wert.

    In ganz Deutschland gibt es laut Schätzungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) rund 52.000 Obdachlose, aber das stört unsere Politiker seit Jahren nicht im geringsten - wichtig ist anscheinend nur, dass es den Millionären in diesem Land gut geht.