Eröffnung des Bachmannpreises: Einladung an alle
Alles neu, alles virtuell beim diesjahrigen Ingeborg-Bachmann-Preis. Los ging es eher unambitioniert. Bis Sharon Dodua Otoo ihre Rede hielt.
Wenn die Rede zur Literatur von Sharon Dodua Otoo nicht gewesen wäre, wäre es ein ziemlich betrüblicher Eröffnungsabend des diesjährigen Bachmannpreises gewesen. Diese Veranstaltungen haben schon unter den Livebedingungen in Klagenfurt ihre gedehnten Momente: Grußworte, bemühte Literaturanspielungen, das kann sich ziehen, bis die Reihenfolge der Lesenden ermittelt und das Büffet eröffnet ist.
Am Mittwoch abend hat man bei dieser ganz besonderen Ausgabe dieses Lesewettbewerbs, anstatt sich Neues auszudenken, viele dieser offiziellen Elemente einfach per Videozuspielungen ins Studio übernommen.
Eine halbe Stunde Statements des ORF-Intendanten, der Landesdirektorin, der Bürgermeisterin, des Landeshauptmanns und sonstiger Repräsentanten, zwischendurch getragene musikalische Unterhaltungsmomente – zum Glück gibt es Twitter, wo unter dem Hashtag #tddl einige unentwegte Literatur- und Bachmannpreisfans parallel einigen Spott austauschten.
Das Neue, das Besondere wurde zwar einige Mal beschworen, aber zu sehen war es keineswegs. Nun gut, vielleicht war die Eröffnung einfach auch eine Pflichtveranstaltung. Am lustigsten und irgendwie auch lebendigsten war noch diese winzige Grünpflanze, das „Klagenpflänzchen“ (Twitter), die sie auf den derben Holztisch des Moderators Christian Ankowitsch vor gerafftem dunkelblauen Stoffhintergrund zur Dekoration gestellt haben (auf Twitter fühlte sich jemand zu Recht an einen Raum zur Bachmann-Aufbahrung erinnert).
Man will ja gar nicht so viel rummosern, aber als Berichterstatter ist man nun einmal der Wahrheit verpflichtet, und es war wirklich ziemlich langweilig.
Hochkant im Bildschirm: die sieben Jurorinnen
Immerhin bekam man einen Vorgeschmack darauf, wie nun die nächsten Lese- und Diskussionstage aussehen werden: Im dunklen Studio hängen hochkant sieben große Monitore nebeneinander, in jedem eins der sieben Jurorengesichter, die jeweils vom Homeoffice aus in die Kamera schauen und nach den jeweiligen Lesungen ins Gespräch kommen sollen – tatsächlich also wie bei einer Videokonferenz.
Hoffen wir, dass die leichte Verzögerung, die sich in der Eröffnungsveranstaltung immer einstellte, bevor sie auf Fragen des Moderators antworteten, in den nächsten Tagen technisch bedingt nicht die ganze Zeit über auftritt. Das könnte lebendige Debatten doch ziemlich behindern.
Und immerhin kam zum Schluss eben die Autorin Sharon Dodua Otoo, Bachmannpreisträgerin des Jahres 2016, die eine sehr sachliche und sehr souveräne Rede zur Literatur hielt. „Dürfen Schwarze Blumen malen“ lautete der Titel, und die Rede drehte sich dann darum, einige Voraussetzungen zu klären, bevor sie diese Frage beantwortete.
Erfahrungen des Rassismus
Sharon Dodua Otoo erklärte, warum sie das S groß schreibt in der Bezeichnung Schwarze Frauen: Schwarz beschreibt nicht die Hautfarbe, sondern die Zugehörigkeit zu einer Community – Otoo spricht von den „Menschen der afrikanischen Diaspora“ –, die gemeinsame Erfahrungen teilen, aber auch ein Wissen, mit ihnen umzugehen; das sind auch Erfahrungen des Rassismus natürlich.
Sharon Dodua Otoo performte nicht ihre Wut angesichts rassistischer Strukturen, sie klagte auch nicht an, sie lud eher dazu ein, gemeinsam an der „gemeinsamen deutschen Sprache“ und auch der Literatur zu arbeiten. Literarisch führt Otoo eine ganze Reihe von Namen auf, in deren Tradition sie sich sieht: Chaucer und Dickens (Otoo wurde in London geboren), Brecht und Böll (sie lebt in Berlin), Chinua Achebe und Toni Morrison.
Repräsentantin einer Community
Durch ihr eigenes Schreiben, sagt sie, wird sie als Schwarze Autorin unweigerlich zur Repräsentantin einer Community. Je mehr und je unterschiedlichere Schwarze Ansätze es dabei gibt, desto leichter wird den Einzelnen diese Repräsentation – ein Plädoyer nicht nur für gesellschaftliche Diversität, sondern auch für Diversität innerhalb der Community. Es geht für Otoo darum, dass sich Schwarze Menschen auch in ihrer eigenen Diversität begreifen können.
Einmal kommt sie beim Vorlesen der voraufgezeichneten und ins Studio eingespielten Rede ins Stolpern, ausgerechnet zu Beginn einer brisanten Stelle, in der sie auf die aktuelle Diskussion um Achille Mbembe zu sprechen kommt, und sie setzt noch einmal neu an. Sie hätte die Möglichkeit gehabt, die Stelle rausschneiden zu lassen, aber sie ließ den Stolperer stehen, tatsächlich ein interessanter, an die Livesituation herankommender Moment.
Komplexität des Gedenkens
An der Stelle versucht sich Otoo an einem Brückenbau zwischen antisemitismuskritischen und antirassistischen Diskursen, indem sie erzählt, welche Ansätze und Sammelbände es in diese Richtung gegeben hat. Es geht um ein Verständnis für die Komplexität des Gedenkens und der Erinnerung, sagt Otoo, und das kann man ja erst einmal so stehen lassen.
Also, dürfen Schwarze Blumen malen? Ganz am Schluss folgt Sharon Dodua Otoos Antwort: „Ja. Je mehr, desto besser.“ Und der Elefant ist dann schon, dass sie die einzige Schwarze Beteiligte am diesjährigen Bachmannpreis sein wird. Alle 14 Autorinnen und Autoren sind Weiß. Das fällt einem nach dieser Rede halt auf.
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