Eröffnung der Frankfurter Buchmesse: Macron spricht, Merkel lächelt
Emmanuel Macron hält die Eröffnungsrede und spricht über die Vision eines kulturell und politisch geeinten Europas. Merkel hört aufmerksam zu.
„Mein lieber Emmanuel“, begrüßte Merkel den 39-jährigen französischen Staatspräsidenten. Man hörte und sah es: Das kommt von Herzen. Ein „mein lieber Horst“ dürfte kaum je so klingen. Und mit einem Scherz, dass sie, die frühere DDR-Bürgerin, näher am Russischen als am Französischen gebaut sei, griff sie Macrons voriges Plädoyer für eine gemeinsame europäische Sprach-, Austausch- und Bildungsoffensive auf.
Doch im Gegensatz zu Macron blieb die deutsche Kanzlerin dabei sehr im freundlich Ungefähren. Macron betonte, was er auch in einem Gespräch mit Cohn-Bendit an der Frankfurter Universität zuvor ausführte und in einer programmatischen Rede an der Pariser Sorbonne formuliert hatte: Europa braucht gemeinsame kulturelle Visionen. Gegen den Geist von Abschottung und nationalistischer Provinzialität setzt er auf das „Erasmus-Prinzip“.
Sechs Auslandsmonate für alle
Alle, ob Schüler, Lehrlinge oder Studenten, sollen bis zu ihrem 25. Lebensjahr sechs Monate im Ausland zugebracht haben. Sich unabhängig von ihrer Herkunft in anderen Sprachen und Kulturen bewegen lernen. Ein europäisches Studium muss her. Universitäten, an denen Sprachvielfalt selbstverständlich sein muss. Allein 550.000 Schüler würden seit September in Frankreich Deutsch lernen. Sprachen, die Brücken der Verständigung.
Und die Kanzlerin? Sie hörte es gerne, sagte aber wenig. Offenbar sah ihr Manuskript dazu wenig vor. Immerhin freute sie sich, dass Macron auch die Russen ins Europäische mit eingeschlossen hatte. Und auch beim Thema Meinungsfreiheit (Türkei etc.) schöpfte sie aus ihrer DDR-Erfahrung: „Ich weiß, wie wichtig es ist, auch die Bücher lesen zu dürfen, welche man lesen möchte.“ Man glaubt es ihr. Anderes auch, wie ihre Appelle an die Tradition des deutsch-französischen Kulturaustauschs, der stärker sei als die zerstörerische Kraft der früheren Kriege.
Doch die Impulse für die Gegenwart kamen in Frankfurt von Macron. Sie überwanden auch eine nur halbdurchdachte Dramaturgie der Eröffnungsfeier und die verunglückte Simultanübersetzung. Macron musste nach einer Sprach- und Bildperformance von Wajdi Mouawad auf die Bühne. In dieser ging es zuvor um das antike Troja, ein Massaker an Kindern während des libanesischen Bürgerkriegs, Hundegebell sowie um die unabdingbare moralische Verantwortung des Einzelnen. An Drastik war dies kaum zu überbieten.
Offenbar sollte mit dieser einzigen künstlerischen Position der Raum für den Ehrengast Frankreich symbolisch abgesteckt werden. Doch wer nicht wusste, dass Mouawad ein in Paris lebender Kanadier libanesischer Herkunft ist, konnte dies als einen Hinweis auf den neuesten Stand zur Debatte um die „Francophonie“ bestenfalls erahnen.
Fragen von Identität, pluralen und globalisierten Nationen war Macron tagsüber an der Universität nachgegangen. Er, der sich den Studenten auch generationell nahe zu fühlen scheint, sprach davon, eine Vision von Europa zu entwickeln.
Helmut Schmidts „Visionen“
Cohn-Bendit wies ihn aber darauf hin, dass in Deutschland immer noch ein Satz von Altkanzler Helmut Schmidt gelte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Macron setzt für die Zukunft auf europäische Wahllisten, wo mit der Erststimme national gewählt und mit der Zweitstimme europaweit die Präsidentschaft der Kommission bestimmt wird.
Fragen von nationaler Souveränität und Dumping könne man ohnehin nur europäisch begegnen. Wofür man, wie für die gemeinsame Einwanderungs- oder Bildungspolitik, entsprechende europäische Haushalte brauche.
Wohin sich Merkel da künftig bewegen wird, ließ sie noch nicht richtig anklingen. Immerhin: Die zwei mögen sich. Und wer nicht will, dass Le Pen oder Linkspopulisten wie Mélenchon die EU zertrümmern, wird den beiden viel Erfolg wünschen. Und darauf hoffen, dass das kommende Kabinett Merkel den französischen Reformzug nach Kräften unterstützt.
Was Didier Eribon und einige andere französische Linksintellektuelle derzeit hingegen an Macronkritik (wie am Dienstag in der SZ) verbreiten, ist eine Posse. Es klingt eins zu eins wie die alte KP-These vom Sozialfaschismus aus den 1920er Jahren. Dabei hat der vulgäre Antikapitalismus mit seinen schablonenhaften Neidmetaphern schon einmal einen verhängnisvollen Beitrag geleistet, um Europa und die Welt in Abgründe zu schicken.
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