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Ermordetes Flüchtlingskind in Berlin„Vieles ist schiefgelaufen“

Hat die Polizei bei der Suche nach Mohamed einseitig und nachlässig ermittelt? Es braucht eine unabhängige Untersuchung, sagt Benedikt Lux von den Grünen.

Kerzen erinnern vor dem Lageso an das ermordete Flüchtlingskind Mohamed, Oktober 2015 Foto: dpa
Uta Schleiermacher
Interview von Uta Schleiermacher

taz: Herr Lux, Sie kritisieren, dass die Polizei bei der Suche nach dem vierjährigen Mohamed zu langsam angefangen hat zu ermitteln. Gibt es ein standardisiertes Vorgehen, wenn ein Kind vermisst gemeldet wird, oder schaut sich die Polizei den Einzelfall an?

Benedikt Lux: Sicherlich beides. Das Vorgehen der Polizei hängt immer vom Einzelfall ab. Aber unabhängig davon ist es wichtig, alle Personen schnell zu befragen, die das Kind als letztes gesehen haben und die Orte, an denen es gespielt hat, abzusuchen. Dazu gehört auch eine Auswertung der Videokameras, und hier ergibt sich für mich das größte Fragezeichen.

Was ist da falsch gelaufen?

Die Polizei hat einen Wachmann, der auf dem Lageso-Gelände arbeitet befragt. Und der hat gesagt, es gäbe keine Kameras auf dem Gelände. Doch das ist falsch. Dadurch ist viel Zeit verstrichen, bis die Polizei tatsächlich Videomaterial sichergestellt und gesichtet hat.

Warum hat die Polizei einen Wachmann gefragt und nicht die Leitung des Lageso?

Das Lageso hat die Aufgabe, die Sicherheit auf dem Gelände zu gewährleisten, an einen privaten Sicherheitsdienst abgegeben. Die Firma organisiert das selbstständig.

Dann war es also nicht falsch, den Wachmann zu befragen?

Nein, und grundsätzlich sind auch alle Zeugen auskunftspflichtig. Aber die zentrale Frage ist: Warum hat sie nur den einen Wachmann befragt? Und warum hat er verneint, dass es am Lageso Kameras gibt? Im Eingangsbereich hängen welche, die sind für jeden sichtbar, der auf das Gelände kommt.

Der Mordfall Mohamed

Der vierjährige Mohamed war am 1. Oktober von seiner Mutter als vermisst gemeldet worden. Sie hatte das Kind bei einem Termin am Lageso aus den Augen verloren. 28 Tage später fand die Polizei die Leiche des Jungen. Die Mutter des mutmaßlichen Täters hatte ihren Sohn auf Bildern einer Überwachungskamera erkannt. Er gestand, Mohamed und den sechsjährigen Elias aus Potsdam entführt, missbraucht und getötet zu haben. Elias war im Juli von einem Spielplatzbesuch nicht zurückgekehrt.

Die ersten Suchplakate hängten Ehrenamtliche aus, die Polizei wandte sich erst vier Tage nach der Vermisstenmeldung an die Öffentlichkeit. Benedikt Lux (Grüne) hat den Senat in einer schriftlichen Anfrage zu „Ermittlungspannen“ befragt. Fünf der neun Fragen ließ der Senat unbeantwortet, da das Verfahren gegen den mutmaßlichen Täter nicht abgeschlossen sei. (taz)

Der Wachmann hat die Frage angeblich nur auf das Haus bezogen, an dem die Familie gewartet hat.

Selbst wenn der Wachmann die Frage der Polizei so verstanden hat, wäre es deren Pflicht gewesen, nach weiteren Kameras zu suchen. Auch das Motiv des Wachmanns muss geklärt werden. Warum hat er die Frage verneint? Hatte er vielleicht böswillige Absichten? Da es am Lageso mehrere Fälle gab, bei denen sich Mitarbeiter der Sicherheitsdienste rassistisch geäußert haben, ist dies nicht so abwegig.

Sind das nicht Detailfragen?

Ja, aber es sind wichtige Detailfragen, denn die Polizei hat das höchst nachlässig überprüft. Ein weiterer großer Fehler war, dass sie am Anfang schwerpunktmäßig im Umfeld der Familie und der Helfer ermittelt hat. Obwohl die Polizei jetzt sagt, dass kein Anfangsverdacht gegen die Familie bestand, hat sie erst nur die Familie befragt und es hat mehrere Tage gedauert, bis sie sich mit Suchplakaten an die Öffentlichkeit gewandt hat.

Als Grund gab die Polizei damals an, dass die Aussagen der Mutter widersprüchlich waren. Sie habe unterschiedliche Zeiten und Orte angegeben.

Dass die Mutter widersprüchliche Angeben gemacht hat, darf kein Grund sein, nur in eine Richtung zu ermitteln. Im Fall Elias waren die Angaben der Mutter auch uneindeutig.

In Fall Mohamed gab es schnell das Gerücht, dass die Eltern ihr Kind selbst versteckt haben könnten, um eine drohende Abschiebung abzuwenden.

Nach Angaben des Senats gab es in Berlin in den letzten Jahren keinen einzigen Fall, in dem eine Kindesentführung vorgetäuscht wurde, um den eigenen Aufenthalt zu sichern. Bei einem vermissten Kind muss man mit höchster Priorität in alle Richtungen ermitteln. Da darf es keine Unterschiede zwischen Flüchtlingskindern und deutschen Kindern geben. Dazu gehört auch, dass man die Kameras sieht, die da hängen und die Daten zügig auswertet. Im Fall Mohamed ist einiges so sehr schief gelaufen, dass es aufklärungsbedürftig ist.

Werden Sie den Fall in der nächsten Sitzung des Innenausschusses auf die Tagesordnung setzen?

Die Sache wird ein parlamentarisches Nachspiel haben. Es geht nicht, dass sich der Senat in Schweigen hüllt. Wir werden uns für eine unabhängige Untersuchungs- und Beschwerdestelle für Polizeiarbeit einsetzen. Die Polizei sollte nicht in eigener Sache ermitteln, solche Vorfälle darf sie nicht nur „intern klären“, wie es so schön heißt. Bei einem Verdacht auf Ermittlungsfehler muss es die Möglichkeit geben, das unabhängig zu prüfen.

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