Ermittlungen zu Hanau-Terror: Seehofer will Schutz von Moscheen
Für den Bundesinnenminister ist Rechtsextremismus die höchste Sicherheitsbedrohung in Deutschland. Die Polizeipräsenz soll bundesweit erhöht werden.
Dieser Artikel wird fortlaufend aktualisiert, letztes Update: 12:11 Uhr
Seehofer kündigte am Freitag ebenfalls an, dass „sensible Einrichtungen“ wie Moscheen verstärkt überwacht würden. Zudem solle die Präsenz an Bahnhöfen, Flughäfen und im grenznahen Raum erhöht werden. Die Bundespolizei werde die Polizeibehörden der Länder unterstützen. Wegen der Gefahr rechtsextremer Terroranschläge erhöht die Polizei ihre Schutzmaßnahmen für die am Freitagmittag in Hamburg geplante Klimademonstration von Fridays for Future mit Aktivistin Greta Thunberg. Das Klimabündnis erwartet mindestens 30.000 Menschen zu der Großdemonstration, die mit Blick auf die Hamburger Bürgerschaftswahl am Sonntag stattfindet.
Seehofer will sich am Freitag auch mit Vertretern der Muslime in Deutschland treffen, um weitere Maßnahmen zu besprechen. Am Mittwochabend hatte der 43-jährige Deutsche Tobias R. nach Erkenntnissen der Ermittler im hessischen Hanau in einer Shisha-Bar und einem Kiosk mit angegliedertem Café neun Menschen erschossen und anschließend seine Mutter und sich selbst getötet. Die Bundesanwaltschaft sieht „gravierende Indizien für einen rassistischen Hintergrund der Tat“. Alle ermordeten Menschen hatten einen Migrationshintergrund.
Ermittler durchleuchten Handy- und Computerdaten
Viele Fragen sind noch offen, unter anderem, ob der Schütze psychisch krank war und an Wahnvorstellungen litt. Zum Ablauf der Gewalttaten am Mittwochabend, die gegen 22 Uhr ihren Anfang nahmen, haben die Ermittler bislang nur wenige Informationen veröffentlicht. Der Täter war in einem Frankfurter Schützenverein aktiv, ist dort nach Angaben des Vereins aber nie als ausländerfeindlich aufgefallen.
Die Ermittler durchleuchten zurzeit Handy- und Computerdaten des mutmaßlichen Täters. Abgeklärt werde, mit wem im Inland und Ausland er Kontakt gehabt und wo er sich aufgehalten habe, sagte Generalbundesanwalt Peter Frank. Mittlerweile seien 40 Zeugen angehört worden, um den genauen Tathergang abzuklären. Zudem würden die GPS-Daten des Autos des mutmaßlichen Täters ausgewertet.
In der Wohnung des 43-Jährigen seien schriftliche Unterlagen und auch technische Gerätschaften sichergestellt worden, die in den kommenden Tagen und Wochen ausgewertet würden. Auch Finanzermittlungen seien angestoßen worden. „Das wird dauern“, sagte Generalbundesanwalt Frank.
Mutmaßlicher Täter schon 2019 in Kontakt mit Behörden
Er bestätigte, dass die Bundesanwaltschaft schon im vergangenen November Kontakt mit dem mutmaßlichen Attentäter hatte. Damals sei bei seiner Behörde eine Anzeige des Mannes eingegangen, der darin Strafanzeige gegen eine unbekannte geheimdienstliche Organisation gestellt habe, die „sich in die Gehirne der Menschen einklinkt und dort bestimmte Dinge dann abgreift, um dann das Weltgeschehen zu steuern“. In der Anzeige waren nach Franks Angaben keine rechtsextremistischen oder rassistischen Ausführungen enthalten. Man habe aufgrund dieses Schreibens kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Auch der Vater des mutmaßlichen Täters sei in der Vergangenheit im Kontakt mit Behörden aufgefallen, durch verschiedene Schreiben, wie Beschwerden. Der Mann sei bei der „Wohnungsöffnung“ des mutmaßlichen Täters in der Nacht zum Donnerstag angetroffen worden. Er sei aber kein Beschuldigter des Ermittlungsverfahrens, sondern im Zeugenstatus.
Am Donnerstagabend gedachten Tausende Menschen in ganz Deutschland der Opfer. Mahnwachen fanden in mehr als 50 Städten statt. In Potsdam trauerten rund 300 Menschen um die Opfer des Anschlags. Auch auf dem Berliner Hermannplatz an der Grenze zwischen den migrantisch geprägten Stadtteilen Kreuzberg und Neukölln versammelten sich zahlreiche Menschen. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sagte in Hanau, der „brutale Terroranschlag“ in der hessischen Stadt mache „fassungslos, traurig und zornig“. Er rief dazu auf, der Sprache der Gewalt Einhalt zu gebieten, die gleichsam den Weg für solche Taten bereite.
Politiker geben AfD Mitschuld an Tat
Nach dem Anschlag hatten zahlreiche Politiker parteiübergreifend der AfD eine Mitschuld an der Tat gegeben. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil fordert eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz. Die Partei habe das gesellschaftliche Klima in den letzten Monaten und Jahren vergiftet.
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir hat eine konsequente Ausgrenzung der AfD durch die übrigen Parteien verlangt. Sie sei der „politische Arm des Hasses“, sagte Özdemir am Donnerstagabend. Die Partei wolle das Land von innen zersetzen und versuche, mit ihren Äußerungen die Regeln des politischen Diskurses und die Grenzen des Sagbaren immer weiter zu verschieben.
Der AfD-Parteivorsitzende Jörg Meuthen wies die Vorwürfe, seine Partei bereite mit ihren Äußerungen über Menschen mit Migrationshintergrund den Boden für derartige Taten, kategorisch zurück. „Das ist weder rechter noch linker Terror, das ist die wahnhafte Tat eines Irren“, sagte Meuthen am Donnerstag. Viele Politiker wie Seehofer sehen in der Entpolitisierung der Tat eine Relativierung. „Der rassistische Hintergrund dieser Tat ist aus meiner Sicht vollkommen unbestritten und kann durch nichts relativiert werden“, sagte der Bundesinnenminister. Der klima- und energiepolitische Sprecher der Linksfraktion im Bundestag Lorenz Gösta Beutin dokumentiert auf Twitter, wie die hessische AfD schon seit Monaten gegen Shisha-Bars hetzt.
Blanker Hass und Schadenfreude in AfD-Fangruppen
Einzelne AfD-Politiker und -ortsgruppen instrumentalisieren den Anschlag indes für ihre politische Agenda. „Ist das wirklich noch das 2017 von der #Merkel#CDU beschworene ‚Deutschland in dem wir gut und gerne leben?‘“, schrieb etwa der Berliner AfD-Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski auf Twitter. Der AfD-Kreisverband Augsburg schrieb auf Facebook, Deutschland sei auf dem Weg zum „Multikulti-Drecksloch“. Die Recherchegruppe „DieInsider“ dokumentierte zahlreiche weitere Reaktionen in rechtsextremen und AfD-nahen Gruppen, die den Terror feiern und Verschwörungstheorien verbreiten. In den Kommentarspalten grassiert der Hass.
Hessen ist nach der Einschätzung des Extremismus-Experten Reiner Becker trotz mehrerer aufsehenerregender Gewalttaten nicht rechtsextremer als andere Bundesländer. „Man kann zwar sagen ‚schon wieder Hessen‘, aber das ist jetzt nicht unbedingt etwas strukturell Spezifisches“, sagte Becker der Deutschen Presse-Agentur. Becker leitet das Demokratiezentrum Hessen, das unter anderem Präventionsarbeit betreibt.
Seit vergangenem Sommer geriet Hessen wegen mehrerer Bluttaten in die Schlagzeilen, die einen rassistischen oder mutmaßlich rechtsextremen Hintergrund haben: Im Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses im nordhessischen Wolfhagen erschossen. Der Generalbundesanwalt geht bei dem mutmaßlichen Täter Stephan E. von einem rechtsextremen Hintergrund aus. Im Juli feuerte ein Deutscher in Wächtersbach aus rassistischen Motiven Schüsse auf einen Eritreer ab und verletzte diesen schwer.
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