Ermittlungen im Fall Qosay Khalaf: Trotz offener Fragen eingestellt
In Delmenhorst starb im März ein 19-Jähriger nach Polizeigewahrsam. Immer noch ist ungeklärt, wie genau es zu seinem Tod kam.

Die Polizei hatte Khalaf im Wollepark in Delmenhorst beim Kiffen erwischt, er rannte weg, widersetzte sich, wurde daraufhin „fixiert“ und in Gewahrsam genommen – so hieß es im Polizeibericht. Vor Ort habe der Rettungsdienst ihn untersucht und keinen Anlass für eine weitere Versorgung gesehen. In der Zelle im Revier sei Khalaf dann kollabiert und in das Krankenhaus gebracht worden, in dem er später verstarb.
Zweifel an der Darstellung der Polizei nährten die Aussagen eines Freundes, mit dem Khalaf unterwegs war. Seine Schilderungen weichen stark vom Polizeibericht ab. So sagt der 23-Jährige, der sich Hamoudi nennt, als er von Polizist*innen zum Festnahmeort gebracht worden sei, hätten andere Beamt*innen auf Khalafs Rücken gekniet. Der habe um Wasser gebettelt und gesagt, er bekomme keine Luft.
Geholfen habe ihm niemand, auch nicht die dazugerufenen Sanitäter*innen. Die hätten Qosay nicht ernst genommen, so Hamoudi.
Vom Rettungsdienst und der Polizei hieß es daraufhin, man führe eben kein Wasser mit sich. Öffentlich wurde das alles überhaupt nur, weil das NDR-Politmagazin „Panorama“ und die taz unabhängig voneinander zu dem Fall recherchierten und sich Freund*innen und Verwandte mit einem Bündnis an die Öffentlichkeit wandten.
Lea Voigt, Anwältin der Hinterbliebenen
Anfangs sah man in Delmenhorst gar keinen Grund für Ermittlungen. Früh sprang der Oldenburger Polizeipräsident Johann Kühme für die eingesetzten Beamt*innen in die Bresche: „Sie haben mein volles Vertrauen.“ Zu Ermittlungen kam es erst, nachdem die Familie Anzeige erstattet hatte.
Die Anwältin der Hinterbliebenen, Lea Voigt, kritisierte in der taz das Vorgehen der Ermittlungsbehörden: „Qosay wurde nach den Schilderungen des Zeugen nicht geholfen, das wurde nicht erkannt oder man wollte das nicht erkennen. Rennen, Panik, Fixierung, Pfefferspray, Bauchlage – wie haben diese Faktoren gewirkt?“, fragte sie im April.
Alle Ermittlungen wurden mittlerweile eingestellt. Dagegen legten die Angehörigen des Verstorbenen Widerspruch ein. Nach Sach- und Rechtslage halte man die Entscheidung für richtig, sagte die Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg, Carolin Castagna, zuletzt zur taz. Die Ermittlungen seien geprüft worden.
Mit einem Klageerzwingungsverfahren versucht die Familie nun, weitere Ermittlungen zu erreichen. Im neuen Jahr wird eine Entscheidung erwartet. Wenn sie Erfolg haben, müsste wieder in dem Fall ermittelt werden.
Ob wirklich alle Möglichkeiten zu Ermittlungen ausgereizt wurden, ist fraglich. Die Telefone und Kommunikation der Beschuldigten zu prüfen, darauf kam die Staatsanwaltschaft zum Beispiel wohl nicht, sagt Anwältin Voigt auf Nachfrage der taz. Zumindest finde sich davon offenbar nichts in den Ermittlungsakten. Dabei hatte erst jüngst ein Fall aus Köln gezeigt, dass es möglicherweise Polizist*innen gibt, die sich in Chats zum besonders harten Vorgehen bei Kontrollen verabreden.
Ist so ein Verdacht gegen die Polizei Delmenhorst angebracht? Zumindest lassen sich mit einfacher Onlinerecherche rechtsextreme Symbole bei dort arbeitenden Polizist*innen finden. So zitiert eine Lokalzeitung einen Polizisten des Reviers mit den Worten: „Nur weil ich Uniform trage, bin ich kein Freiwild.“ Auf den Fotos von einem Sicherheitstraining für Einsatzkräfte der Feuerwehr trägt er einen „Punisher Skull“ – ein beliebtes rechtsextremes Symbol, das im Zuge der „Thin Blue Line“-Bewegung in den USA bekannt wurde.
Unter migrantischen Jugendlichen in Delmenhorst ist der Beamte für seine Sprüche und sein hartes Vorgehen bekannt, schilderten unabhängig voneinander verschiedene Jugendliche aus dem Wohngebiet um den Wollepark. In die tödliche Kontrolle Qosay Khalafs war er offenbar nicht verwickelt, ist aber auf dem zuständigen Revier tätig. Die Anwohner*innen des Wolleparks berichteten auch von wiederholten anlasslosen Kontrollen. Derartige Vorwürfe hat die Polizei immer wieder als absurd abgetan.
Superabsorber im Bauch
Stattdessen untersuchten die Ermittler*innen eine ominöse Vergiftung, die Khalafs Magenschleimhaut angegriffen hatte. Am Ende hieß es, es handle sich um einen chemischen Superabsorber. Diese werden etwa in Babywindeln eingesetzt, um Flüssigkeit aufzunehmen, kommen aber auch in der Medizin zum Einsatz. Wie der Superabsorber in den Bauch des 19-Jährigen gelangt war und welche Rolle er bei seinem Tod spielte – das ist nach wie vor ungeklärt.
Die Staatsanwaltschaft äußerte sich lange nicht zu dem mutmaßlich konsumierten oder gefundenen Betäubungsmittel. Das ließ Raum für rassistisch aufgeladene Spekulationen über harte Drogen. Am Ende zeigte sich: Khalaf hatte lediglich Gras geraucht.
Der Fall Qosay Khalaf reiht sich ein in die 203 von der Kampagne „Death in custody“ dokumentierten Fälle seit 1990, in denen von Rassismus betroffene Personen in Gewahrsam und durch Polizeigewalt in Deutschland starben.
Laut Barsan Mehdi, Khalafs Cousin, versucht die Familie heute vor allem, ihr Leben wieder einigermaßen in den Griff zu bekommen. „Sie leiden immer noch täglich unter dem Verlust, weil ihnen Qosay so gewaltvoll genommen wurde“, sagt Mehdi. „Wenn ich an Qosay denke, kommt alles wieder hoch. Trauer und Wut.“
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