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Ermächtigungsgesetz in UngarnDie EU muss endlich handeln

Andreas Zumach
Kommentar von Andreas Zumach

Viktor Orbán tritt die EU-Regeln zur Rechtstaatlichkeit mit Füßen. Jetzt muss Europa die Demokratie in Ungarn retten.

Verstößt gegen die Bestimmungen des EU-Vertrags und keiner hält ihn auf: Viktor Orbán Foto: Bernadett Szabo/reuters

N icht erst mit seinem Notstandsgesetz zur Selbstermächtigung verstößt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gegen die rechtlich verbindlichen Bestimmungen des EU-Vertrags zu Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Meinungsfreiheit und Menschenrechten – und damit gegen den Kern der „europäischen Wertegemeinschaft“. Verletzt haben Orbán und seine Fidesz-Partei diese europäischen Verträge und Werte bereits 2017 mit der verächtlichen Ablehnung eines Urteils des Europäischen Gerichtshofs sowie mit ihrer üblen antisemitischen Kampagne gegen George Soros, der in der aktuellen Coronakrise von der Regierungspropaganda erneut als „Volksfeind“ diffamiert wird.

Die EU muss jetzt alle verfügbaren Mittel einsetzen, um zu verhindern, dass die Demokratie in Ungarn endgültig beerdigt wird. Sie hat die Verantwortung, die Bürger*innen Ungarns vor der eigenen Regierung zu schützen. Nötig wären eine rasche Klage der Brüsseler Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Orbáns „Ermächtigungsgesetz“ sowie die Suspendierung der großzügigen EU-Strukturhilfen und Subventionen an Budapest. Und: CDU/CSU und die anderen Mitgliedsparteien der Europäischen Volkspartei müssen Fidesz endlich aus ihren Reihen ausschließen.

Möglich, dass sich die Regierung Orbáns unter wachsendem Druck der EU zunächst noch stärker als bislang schon in Richtung Moskau orientiert. Das ist ein Dilemma für die EU, genauso wie die Tatsache, dass die Administration in Washington mit einer Regierung in Polen kooperiert, die in ähnlicher Weise gegen die europäischen Verträge und Werte verstößt wie Orbán.

Doch die Autokraten in Budapest und Warschau weiter gewähren zu lassen beim Umbau ihrer Länder in Quasidiktaturen à la Türkei unter Erdoğan wäre das größere Übel.

Denn dann würden auch in den bislang noch als gefestigt geltenden Demokratien Europas den Feinden von Demokratie, Rechtstaatlichkeit und universell gültigen Menschenrechten – wie der AfD in Deutschland – weiter der Rücken gestärkt.

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Andreas Zumach
Autor
Journalist und Buchautor, Experte für internationale Beziehungen und Konflikte. Von 1988-2020 UNO- und Schweizkorrespondent der taz mit Sitz in Genf und freier Korrespondent für andere Printmedien, Rundfunk-und Fernsehanstalten in Deutschland, Schweiz,Österreich, USA und Großbritannien; zudem tätig als Vortragsreferent, Diskutant und Moderator zu zahlreichen Themen der internationalen Politik, insbesondere:UNO, Menschenrechte, Rüstung und Abrüstung, Kriege, Nahost, Ressourcenkonflikte (Energie, Wasser, Nahrung), Afghanistan... BÜCHER: Reform oder Blockade-welche Zukunft hat die UNO? (2021); Globales Chaos-Machtlose UNO-ist die Weltorganisation überflüssig geworden? (2015), Die kommenden Kriege (2005), Irak-Chronik eines gewollten Krieges (2003); Vereinte Nationen (1995) AUSZEICHNUNGEN: 2009: Göttinger Friedenspreis 2004:Kant-Weltbürgerpreis, Freiburg 1997:Goldpreis "Excellenz im Journalismus" des Verbandes der UNO-KorrespondentInnen in New York (UNCA) für DLF-Radiofeature "UNO: Reform oder Kollaps" geb. 1954 in Köln, nach zweijährigem Zivildienst in den USA 1975-1979 Studium der Sozialarbeit, Volkswirtschaft und Journalismus in Köln; 1979-81 Redakteur bei der 1978 parallel zur taz gegründeten Westberliner Zeitung "Die Neue"; 1981-87 Referent bei der Aktion Sühnezeichen/Friedensdienste, verantwortlich für die Organisation der Bonner Friedensdemonstrationen 1981 ff.; Sprecher des Bonner Koordinationsausschuss der bundesweiten Friedensbewegung.
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7 Kommentare

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  • Dieser Beitrag versucht mich als Leser in eine Zwickmühle zu zwingen, ini der ich nur verlieren kann und die EU mit. Ein Ermächtigungsgesetz ist ein Ermächtigungsgesetz, legal zustande gekommen. Jetzt geht es darum, dessen Verhältnismäßigkeit, angesichts Coronavirus Krise, in Augenschein zu nehmen und vor allem zu prüfen, ob dessen unbefristete Geltung nach EU Recht angemessen ist. wenn nicht Ungarn aufzuerlegen, dieses Gesetz, verbunden mit Coronavirus Ausnahmezustand in EU, mit Verfallsdatum zu versehen

  • Andreas Zumach , Autor des Artikels, Autor

    Ich formuliere keinen "deutschen Anspruch" und bin auch nicht die deutsche Bundesregierung. Aber ich reklamiere als einer von 550 Millionen EU-Büger*innen die Einhaltung der für uns alle gleichermaßen gültigen im EU-Vertrag vereinbarten Grundrechte.Ich fordere weder einen Regimechange in Budapest und erst recht keien militärische Intervention, sondern genau die konkreten juristischen, wirtschaftlichen und politischen Durchmaßnahmen auf die Regierung Orban, die ich in dem Kommentar konkret benannt habe.



    Es wäre ja schön, wenn sich die Statuten der EU elegant so formulieren liessen, wie Sie es vorschlagen. Doch dazu bedürfte es zunächst der einstimmigen Zustimmung ausnahmslos aller Mitgliedsstaaten. Die derzeitigen, in Artikel 7 des EU-Vertrages festgelegten Statuten sehen als einzige Sanktionsmöglichkeit die Suspendierung nicht der Mitgliedschaft, aber doch der Stimmrechte eines Landes vor, wenn es gegen den EU-Vertrag verstößt. Aber auch diese Sanktion ist erst möglich als letzter Schritt in einem EU-Rechtsstaatsverfahren, das bereits seit zwei Jahren nicht nur gegen Ungarn, sondern auch gegen Polen eingeleitet wurde. Doch die Verhängung dieser Sanktion verlangt die einstimmige Zustimmung aller Mitgliedsstaaten mit Ausnahme des Landes, gegen das das Verfahren gerichtet ist. Und diese Einstimmigkeit verhindert Polen in dem Verfahren gegen Ungarn und Ungarn in dem Verfahren gegen Polen. So kompliziert ist die reale EU-Welt.



    Beste Grüße



    Andreas Zumach

  • "Sie hat die Verantwortung, die Bürger*innen Ungarns vor der eigenen Regierung zu schützen."

    Ich mag die ungarische Regierung nun wirklich nicht. Ungeachtet dessen ist diese demokratisch legetimiert. Angesichts dieser Tatsache stößt der vorstehend zitierte Satz sehr negativ auf.

    • Andreas Zumach , Autor des Artikels, Autor
      @DiMa:

      Auch zunächst demokratisch legitimierte Regierungen können sich verfassungswidrig verhalten und gegen elementare, auch durch multilaterale Verträge geschützte Grundrechte ihrer Staatsbürger*innen versossen. Dafür gibt es Beispiele- auch in der deutschen Geschichte.



      Und ja, aus den demokratischen, rechtsstaatlichen und menschenrechtlichen Normen, die im EU-Vertrag rechtlich verbindlich vereinbart wurden, ergibt sich im Falle der Verletzung dieser Normen eine Verantwortung zum Schutz der von diesen Verletzungen betroffenen EU-Bürger*innen. Das gilt auch für die Normen des Europarates und die Europäische Menschenrechtskonvention, denen Ungarn bereits 2000 beigetreten ist, vier Jahre vor dem Beitritt zur EU.



      Beste Grüße



      Andreas Zumach

    • @DiMa:

      So sehr ich die Beiträge von Herrn Zumach schätze. Und so sehr ich Orban verachte. Dennoch finde ich den deutschen Anspruch unangemessen, bestimmen zu wollen, wer in Europa gut und böse ist. Orban hat nach demokratischen Wahlen die Mehrheit erzielt.



      Soll ein Regimechange erfolgen? Vielleicht militärisch? Oder wäre es nicht viel eleganter, die Statuten der EU so zu formulieren, dass eine Mitgliedschaft bestimmten demokratischen Standards entsprechen muss und Verstöße dagegen automatisch zur Suspendierung führen.

      Warum lassen die Statuten der EU Regierungen zu wie Polen oder Ungarn?



      Offensichtlich stehen die Wirtschaftsbeziehungen über alles.

    • @DiMa:

      dann sollte man dieser demokratisch legitimierten Regierung nicht noch unser Geld in den diktatorischen Rachen werfen!

      • 8G
        82286 (Profil gelöscht)
        @Klabautermann:

        ... das ist genau der Punkt.



        Das stinkt mich inzwischen richtig an.

        Demokratisch legitimiert - ja, das war ein einmal. Es sind zwei typische Beispiele: Polen und Ungarn, wie aus einer Demokratie mit einem zuvorderst demokratischen Ergebnis ein Diktatur geformt wird.

        Einfach, weil man sich an keine Regeln hält und sich auch sonst einen Scheiß um irgendwas schert.

        Wie gesagt, daß die EU da immer noch Geld reinschmeißt ...