piwik no script img

Ermächtigung in der KlimakriseSyrerinnen gehen baden

Im Nordosten Syriens widersetzen sich immer mehr Frauen den alten Sitten. Extremhitze treibt sie trotz Verbot in öffentliche Schwimm­bäder.

Manche Männer in Syrien unterstützen ihre Frauen und gehen mit ihnen baden Foto: Hadeel Salem

Hassakeh taz | Avin Darwish streicht sich das lange, nasse Haar aus dem Gesicht. „Mein Mann war nicht sicher, ob er uns hierher bringen soll“, sagt die 32-jährige Sprachlehrerin. Hier, das ist das Schwimmbecken des Bilsan Resorts in der Stadt Hassakeh, die im Nordosten Syriens liegt. Im Sommer litt die Region unter einer extremen Hitzewelle. Die Situation im Haus sei unerträglich geworden, erzählt Darwish. Der Strom sei ausgefallen, somit auch die Klimaanlage. Schließlich hat sich die Familie mit den zwei Kindern doch zum Schwimmbad aufgemacht.

Obwohl sich Gesellschaft und Politik öffnen und Frauen beispielsweise in die Arbeitswelt einziehen, gibt es auch in der selbstverwalteten Kurdenregion noch immer konservative Beschränkungen für sie. Das Schwimmen in öffentlichen Bädern, wie es sie in Hassakeh und in den umliegenden Städten gibt, ist zum Beispiel weitgehend Männern vorbehalten. Nur in ganz wenigen Hallen ist das Schwimmen für Frauen an einem oder zwei Tagen in der Woche möglich, und oft auch nicht am Wochenende. Daher werden sie nur von ganz wenigen Frauen besucht.

Dass Darwish mit ins Wasser geht, ist also keine Selbstverständlichkeit. „Ich schwimme jetzt ständig, aber zusammen mit meinem Mann und meinen Kindern“, erzählt sie. So wahre sie trotz des Regelbruchs „den sozialen Wert“ ihres Mannes, meint sie.

Darwish ist nicht allein. Es gibt Hunderte von Frauen, die sich gegen die Einschränkungen auflehnen, nicht mehr Gefangene der Sitten und der Hitze sein wollen. Sie wollen in das kühle Wasser öffentlicher Schwimmbecken eintauchen. So wie die Männer es schließlich auch tun.

Hitzewellen

Dazu tragen auch die außergewöhnlich hohen Temperaturen bei. In Nordostsyrien herrschten zuletzt zeitweise 47 Grad. Mehrere Todesfälle infolge von Sonnenstichen und Dutzende von Krankheitsfällen wurden registriert. Auch weltweit waren die vergangenen drei Monate laut der Weltwetterorganisation die heißesten, die seit Beginn der Aufzeichnungen gemessen wurden. Durch die menschengemachte Klimakrise werden in der Region Hitzewellen intensiver und häufiger. Die Weltgesundheitsorganisation warnte im Mai davor, die steigenden Temperaturen könnten bis zum Ende des Jahrhunderts jährlich weltweit 9 Millionen Leben fordern.

Trotzdem haben nicht alle Verständnis dafür, dass Frauen sich in öffentlichen Schwimmbädern abkühlen – auch viele Frauen nicht. Hiyam Khaled, die eigentlich anders heißt, steht am Beckenrand. Ihr Blick ist starr auf ihre beiden Söhne gerichtet, die sich im Pool vergnügen. Auch ihr Ehemann planscht mit, wirft seiner Frau von Zeit zu Zeit ein paar Wasserspritzer zu. „Ich möchte nicht in eine direkte Konfrontation mit meinem Mann und seiner Familie treten“, sagt die 45-Jährige. „Sie sind an Bräuche, Traditionen und religiöse Vorstellungen gebunden“.

Khaled lehnt es ab, dass Frauen in öffentlichen Bädern schwimmen. Für sie erniedrigt eine Frau sich selbst und ihre Familie, wenn sie in Anwesenheit unbekannter Menschen ins Wasser geht und sich auf eine Situation einlässt, in der sie Belästigungen oder Beschimpfungen ausgesetzt sein könnte. Ihre 13-jährige Tochter Saya ist damit unzufrieden. „Ich weiß nicht, warum wir mit ins Schwimmbad gegangen sind – um zu sehen, wie mein Vater und meine Brüder Spaß haben“, beklagt sie sich. „Und wir?“ Khaled schweigt.

Etappenweiser Regelbruch

Im Gegensatz dazu genießt Simav Fattah eine gewisse Freiheit. „Mein Mann schubst mich geradezu ins Wasser“, sagt die Frau in den Zwanzigern, die mit ihrem Mann in der Ortschaft Darbasiyah lebt. Dass ihr Mann an ihrer Seite ist, verringere die Intensität der Blicke, die sie auf sich ziehe, erzählt sie. „Was mich aufregt und überrascht, sind die Blicke von manchen Frauen. Sie sehen aus wie ich – aber der Unterschied zwischen uns ist, dass sie Feiglinge sind, die Angst haben, die Regeln zu brechen.“ Fattah schwimmt in ihrer normalen Kleidung, nicht in Burkini, Badeanzug oder Bikini. „Gestern hat die Gesellschaft das Schwimmen von Frauen nicht akzeptiert, heute sehen wir Frauen, die gekonnt schwimmen“, sagt sie. „Vielleicht werden sie morgen auch Badeanzüge tragen können.“

Frauen seien die Gruppe, die am meisten unter der Klimakrise und unter den Auswirkungen des Krieges leide, der seit 2011 in Syrien stattfindet, sagt die Journalistin und Menschenrechtlerin Khawla Donia. Noch gebe es viele gesellschaftliche Einschränkungen.

Teilweise kann Donia zufolge Aufklärung helfen. Die Expertin verweist auf Workshops und Diskussionsrunden für Frauen, die zivile Organisationen veranstalten. So könne das Bewusstsein der betroffenen Frauen steigen. Reichen werde das aber nicht, meint Donia. Letztlich brauche es mehr Verbindlichkeit. „Advocacy-Kampagnen mögen nützlich sein, aber sie sind kein Ersatz für Gesetze, die Frauen ihre Rechte zusichern, und für Schutzmechanismen, die den Frauen angesichts der politischen, wirtschaftlichen und klimatischen Veränderungen im Lande zur Verfügung gestellt werden müssen.“

Bis es so weit ist, sind die Frauen auf sich gestellt. Donia meint: „Die Kraft des Wandels liegt in dem Glauben der Frauen an sich selbst angesichts der sich verändernden Umstände, an ihrem Engagement und an ihrem wirtschaftlichen Empowerment.“

Der Artikel ist mit Unterstützung der taz Panter Stiftung entstanden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "und sich auf eine Situation einlässt, in der sie Belästigungen oder Beschimpfungen ausgesetzt sein könnte."



    Ich fasse einfach nicht, wie man überhaupt zu "Sitten und Gebräuchen" kommen kann, wo das Schwimmen gehen (oder überhaupt ein normales Verhalten von Frauen) zu "Belästigungen und Beschimpfungen" führt. Einfach mal drei Minuten selber denken und die Absurdität des Ganzen sollte doch offensichtlich sein? Unabhängig, ob in Syrien, Deutschland oder auf dem Mond.

    • @Django:

      Bei mir in der Region, brauchen nur 2 Männer händchenhaltend durch die Fußgängerzone gehen um ähnliches zu erleben.

  • "Die Weltgesundheitsorganisation warnte im Mai davor, die steigenden Temperaturen könnten bis zum Ende des Jahrhunderts jährlich weltweit 9 Millionen Leben fordern."

    Nein, das sind nur die Toten durch *unmittelbare* Hitzeeinwirkung.

    Aber das ist halt die Zahl, die einigermaßen präzise antizipierbar ist. Man sieht das ja auch heute schon sehr gut, wenn man nach einer Hitzewelle in Mitteleuropa die durch akute Hitzeeinwirkung[*] Verstorbenen (wenige 1000) mit der Übersterblichkeit (50.000 oder mehr) vergleicht.

    Und wenn man alle indirekten Opfer erfassen will, kann man nur über die carrying capacity gehen, muss Humusverlust durch Dürren/Winderosion und den folgenden Rückgang der Nahrungsproduktion einbeziehen - und dann ist man auch ohne Extremniederschläge und Meeresspiegel zu bedenken, bereits in einer Liga, die geradezu grotesk ist:



    Dass der Planet Ende des Jahrhunderts nur noch 5-6 Milliarden Menschen ernähren kann, ist, wenn es so weitergeht, nahezu sicher. Und dass der Rest auf den Mars auswandert, istso gut wie ausgeschlossen.



    Do the math.

    [*] Wobei erschwerend dazukommt, dass bei der Mehrzahl der Großsäugetiere, die durch Überhitzung verenden, der Tod erst mit Verzögerung von 2-5 Tagen eintritt, und nicht erfolgt, weil irgendwelche Schlüsselenzyme des Primärstoffwechsels denaturieren, sondern weil die akkumulierten Schäden am peripheren Nervensystem dem Kleinhirn und Hypothalamus keine brauchbaren Daten mehr liefern - der Stoffwechsel, insbesondere die Temperaturregulierung, dekoordiniert.



    Im krassesten Fall *erfriert* man *von innen heraus*, weil die Thermorezeptoren im Modus "viel zu heiß, alles sofort maximal runterkühlen" quasi "festgebacken" sind.

    Aber das sind dann in der Statistik keine Hitzetode, sondern "Herz-Kreislauf-Versagen mit unklarer Ätiologie".



    Und das macht bei Menschen mindestens 2/3 der unmittelbaren Todesfälle durch Überhitzung aus. Die mittelbaren kommen noch dazu.