Erkenntnisse zu Geflüchteten in Europa: Aufsteiger rein
Eine UN-Studie über Geflüchtete aus Afrika zeigt: Es ist trügerisch, wenn Politik behauptet, gegen Migration helfe Armutsbekämpfung.
Das Phänomen ist lange bekannt. Sieht man von Kriegs- und Diktaturflüchtlingen ab, dann ist es vor allem ein – sehr kleiner – Teil der unteren Mittelschicht, der sich irregulär, also ohne Visum, auf den Weg nach Europa macht.
4.250 Dollar haben die von der UN Befragten im Schnitt für die Reise bezahlt. Extrem Arme können das nicht aufbringen. Die Mittelschicht wiederum hat definitionsgemäß ein Einkommen von mindestens zehn Dollar pro Tag und entsprechend wenig Anlass, die lebensgefährliche Reise auf sich zu nehmen. Und die Oberschicht kann mit Visum und Flugzeug reisen, wenn sie will.
Für die untere Mittelschicht aber gilt all das nicht. Die ankommenden AfrikanerInnen in Spanien und Italien sind Menschen, die zuvor in größeren Städten lebten (unter den Befragten: 85 Prozent), eine weiterführende Schule (43 Prozent) oder Universität (acht Prozent) besuchten oder eine formale Berufsausbildung sechs Prozent) absolvierten.
Was die Menschen aufhält? Nichts.
Das Problem: In Afrika reicht das nicht automatisch für ein gutes Leben. Viele afrikanische Volkswirtschaften wachsen schnell, aber nicht schnell genug für alle. Für manche ist sozialer Aufstieg zwar in Sicht – aber eben nicht greifbar.
Verstärkt wird die Auswanderungsneigung durch fehlende Freiheit und Korruption in vielen Staaten. Über die Hälfte der von der UN-Befragten gaben an, dass die Reise nach Europa schlimmer als erwartet war. Auf die Frage, was sie von dieser Reise hätte abhalten können, war die häufigste Antwort aber: „nichts“.
Das Ergebnis der UN-Studie ist mehr als die Korrektur eines falschen Klischees. Es ist auch nicht nur eine gute Nachricht für jene, die mit Migration pragmatisch umgehen wollen und daraus – zutreffend – schließen, dass die, die kommen, für den europäischen Arbeitsmarkt ganz brauchbar sind. Es zeigt vor allem, wie trügerisch es ist, wenn Politik den Leuten einredet, gegen die Migration sei ein Kraut gewachsen und das heiße Entwicklungshilfe.
Denn diese wird zur Zeit immer mehr in den Dienst der Innenminister gestellt. Wenn wir uns anstrengen und den Armen helfen, weniger arm zu sein, bleiben sie zu Hause – das ist das Versprechen einer zweckentfremdeten Armutsbekämpfung. Ihr Grundgedanke findet sich gleichermaßen im „Marshallplan mit Afrika“ von Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), den „Afrikapolitischen Leitlinien“ der Bundesregierung, dem „Nachbarschaftsrahmen mit Afrika“ der EU oder in Positionspapieren zur Migration von der Linken bis zur FDP.
Alles wird gut. Es dauert nur noch
Doch falls Entwicklungszusammenarbeit in dem Sinne erfolgreich ist, dass mehr Menschen aus extremer Armut befreit werden, dann wächst genau jenes gesellschaftliche Segment, aus dem sich irreguläre ArbeitsmigrantInnen rekrutieren. Mehr Familien sind in der Lage, einzelnen ihrer Angehörigen, die im Land keine Arbeit finden, die Reise zu bezahlen. In der Forschung spricht man vom Migration Hump, dem „Migrationsbuckel“: Steigt das Einkommen in einer Region, steigt erst einmal auch die Migration – ein Prozess, der etwa auch in Osteuropa zu beobachten war.
Diese Erkenntnis spricht überhaupt nicht dagegen, Armen zu helfen. Es spricht aber dagegen, den Leuten hierzulande zu versprechen, dass man unerwünschte Zuwanderung so abwürgen könne.
Man wird sich damit arrangieren, dass weiter Menschen kommen, auch von dort, wo die Armut zurückgeht. Migration stagniert erst dann – etwa auf einem Niveau, wie wir es in der EU kennen –, wenn ein bestimmtes Durchschnittseinkommen erreicht ist, von dem man halbwegs leben kann. Das wird auch in Afrika der Fall sein. Es dauert aber noch eine Weile.
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