Erinnerungskultur in Berlin: Von Ossietzky bis Heß
Um kein Pilgerort zu sein, wurde das Kriegsverbrechergefängnis in Berlin abgerissen. „Spandau Prison“ erinnert an den Ort, wo einst auch NS-Gegner saßen.

Denn nachdem sich der letzte Insasse, Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, 1987 in der Gartenlaube des Gefängnisses erhängt hatte, beschlossen die Alliierten, das Gebäude noch im selben Jahr abzureißen und alle Spuren zu beseitigen. Hintergrund ist die Angst, das Kriegsverbrechergefängnis werde zu einem Pilgerort für Neonazis und rechtsextreme Gruppen. Und tatsächlich: Immer wieder nutzen diese den 17. August, den Todestag von Heß, um nach Spandau zu marschieren.
Erstmals setzt sich nun die Ausstellung „Spandau Prison“ kritisch mit der Geschichte des Gefängnisses in der Zeit von 1877 bis 1987 auseinander. Anlass ist das 80-jährige Kriegsende. Da das Gebäude selbst nicht mehr existiert, findet die Ausstellung im Zeughaus der Zitadelle Spandau statt.
Die Zitadelle sei der passende Ort, so die Kuratorin am Donnerstagabend bei der Eröffnung. Denn häufig werde sie mit dem Kriegsverbrechergefängnis verwechselt. Grund dafür seien zum einen gewollte Anspielungen der Architekten, etwa der Juliusturm am Eingangstor. Schuld sei aber vor allem ein „Panorama“-Beitrag aus den 1960er Jahren, der das Kriegsgefängnis fälschlicherweise als Zitadelle bezeichnete.
Sprengstoffanschlag zur Befreiung
Die Arbeiten für ein neues „Central-Festungsgefängnis“ in der Wilhelmstadt begannen im Jahr 1877. Bis nach dem Ersten Weltkrieg saßen dort straffällige Soldaten und Kriegsgefangene. Im Zuge der Novemberrevolution befreiten Arbeiter die Insassen. Nach dem Reichstagsbrand inhaftierte die NS-Regierung hier politische Oppositionelle, unter ihnen der Rechtsanwalt Hans Litten und der Journalist Carl von Ossietzky.
Bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges waren in Spandau politische Gefangene inhaftiert. Viele von ihnen wurden zum Tode in Plötzensee verurteilt. Zum ersten Mal auch Frauen, insbesondere aus dem polnischen Widerstand.
In der Zeit nach 1945 wurden in Spandau sieben Kriegsverbrecher, die in den Nürnberger Prozessen verurteilt wurden, inhaftiert. Doch im Laufe der Jahre wurden die Stimmen nach ihrer Begnadigung lauter. Nach der Entlassung von Reichsjugendführer Baldur von Schirach und Albert Speer 1966 spitzte sich die Debatte zu. Die rechtsextreme Terrorgruppe „Befreiungskommando Rudolf Heß“ verübte gar einen Sprengstoffanschlag auf ein benachbartes Gebäude, um den letzten Insassen zu befreien.
Johannes Füllberth, Staatsbibliothek
Das Gefängnis habe den Alltag der Spandauer zu jeder Zeit geprägt, sagt Johannes Füllberth, Referatsleiter in der Staatsbibliothek zu Berlin. Füllberth hat über die Zeit vor den Nürnberger Prozessen promoviert. In dieser Zeit seien die Spandauer mit den Gefangenen in Kontakt gekommen, wenn diese am Bahnhof angekommen seien oder Termine in der Stadt wahrnehmen mussten.
Weil die Haftbedingungen „so schlimm waren“, sei so mancher Wächter mit den Gefangenen gar durch die Kneipen gezogen. „Das sind aber nur Einzelfälle, die sich schön erzählen“, sagt Füllberth. Und an diese Zeit erinnern nur wenige Fotos, die in der Ausstellung gezeigt werden.
„Kein Ort der Belehrung“
An die Zeit der Kriegsverbrecher hingegen erinnern sich Zeitzeugen: „Viel erfahren haben wir über das Gefängnis als Kinder nicht“, erzählt die Spandauerin Birgit Schmidt Möller in einem Interview, das in der Ausstellung zu sehen ist. Die Erwachsenen haben nicht über den Krieg sprechen wollen. „Ich wusste eigentlich nur, dass mehrere dort saßen und Heß am Ende allein bewacht wurde“, sagt sie. Ihrer Familie habe damals ein Garten direkt hinter dem Gefängnis gehört. „Von dort haben wir die Wachen sehen können“, erinnert sie sich.
Die Ausstellung zeigt nur wenige Objekte, die aus der Zeit des Gefängnisses stammen. Das sei eine besondere Herausforderung gewesen, sagt die Kuratorin Urte Evert zur taz. „Wir haben einen kleinen Stein von der Fassade des Gefängnisses bekommen, den wir in der Ausstellung zeigen.“ Um zu verhindern, dass die Ausstellung zu textlastig werde, habe man mit zwei Comic-Künstlern zusammengearbeitet. Auf Bannern sind historische Szenen wie die der Novemberrevolution lebhaft abgebildet.
Evert ist wichtig, dass ein Museum nicht nur ein Ort von „Belehrung“ ist. Interaktive Stationen, etwa zum Entschlüsseln eines Klopfcodes, regen die Besuchenden zum Mitmachen an. Der Code wurde von den Verfolgten in der NS-Zeit entwickelt, denen es verboten war, miteinander zu kommunizieren. Also klopften sie gegen die Heizungsrohre. Eine weitere Besonderheit der Ausstellung sind die einzelnen Tastobjekte für sehbehinderte und blinde Menschen.
Zudem sollen die Besucher:innen auch selbst ihre Gedanken teilen und ihre Meinung äußern können, etwa wie mit dem Ort heute umgegangen werden sollte. „Ich hoffe, dass sich die Menschen in einer Art austauschen, die durchaus kontrovers, aber nicht aggressiv ist“, so Evert. Auch am Ausstellungsabend diskutieren Besucher:innen trotz Hitze darüber, wie mit einem solchen Ort umgegangen werden könnte.
War der Abriss richtig?
Die Entscheidung für den Abriss des Gefängnisses ist umstritten. „Ich denke, es wäre besser gewesen, das Gebäude zu erhalten und daraus eine Gedenkstätte für diejenigen zu machen, die während der Nazizeit dort inhaftiert waren und hingerichtet wurden“, sagt die Historikerin. Sie könne zwar verstehen, dass der Versuch gemacht worden sei, eine „Pilgerstätte“ zu verhindern, es gebe aber ja so viele Orte aus dieser Zeit. An jedem einzelnen müsse gut überlegt werden, wie Erinnerung dort stattfinden könne. „Ich hätte mir einen ähnlichen Umgang wie in Nürnberg gewünscht, der nicht attraktiv für Nazis ist“, sagt Evert.
Der ehemalige Leitende Kriminaldirektor Bernd Finger hingegen ist der Meinung, es sei richtig gewesen, das Gebäude abzureißen: „Nur so konnte dafür gesorgt werden, dass die jahrelangen Naziaufmärsche und gewalttätigen Befreiungsversuche, die ich selbst miterlebt habe, ein Ende haben“, sagt er der taz. Den Ort vergessen dürfe man aber nicht.
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