Erfolgreicher Radentscheid in Aachen: Rückenwind für Radverkehr

AktivistInnen in Aachen haben den erfolgreichsten Radentscheid Deutschlands auf die Beine gestellt. Sie fordern bessere und sichere Wege.

Leute in Fahrradkleidung halten Schilder mit Zahlen hoch

InitiatorInnen des Radentscheids Aachen übergeben die gesammelten Unterschriften Foto: Ute Haupts

AACHEN taz | Aachen hat die relativ bislang beste Performance aller bisherigen Radentscheide in Deutschland hingelegt. Am Dienstagmittag wurden 37.436 Unterschriften auf rund 9.000 Listen in 25 prall gefüllten Sammelordnern, behördenfreundlich vorgelocht, mit einem Gewicht von gut einem Zentner, an Oberbürgermeister Marcel Philipp (CDU) übergeben. Das sind 19,2 Prozent aller Wahlberechtigten der Stadt und – darüber freuten sich die Initiatoren klammheimlich besonders – mehr Voten, als die Aachener Mehrheitspartei CDU bei der letzten Kommunalwahl Stimmen bekam. Sprecher Jan van den Hurk sprach von „gigantischem Rückenwind für den Radverkehr“.

Jetzt muss das Wahlamt der Stadt das Bürgerbegehren zunächst formalrechtlich prüfen. Voraussichtlich am 6. November entscheidet der Stadtrat, ob er dem Ansinnen der BürgerInnen nach eigenen Radstraßen in der Innenstadt, einem autonomen Radwegenetz und sicher umgebauten Kreuzungen zustimmt. Lehnt er ab, womit niemand ernsthaft rechnet, gäbe es automatisch einen Bürgerentscheid. In Aachen sind allein in diesem Jahr schon zwei Radfahrerinnen im Straßenverkehr unverschuldet ums Leben gekommen.

Aachens Parteien haben sich mehrheitlich hinter den Radentscheid gestellt, auch die SPD. Das reicht rechnerisch für ein Ja im Rat. Abgesehen von der Autofahrer-Splitterpartei FDP tun sich die Christdemokraten schwer mit der Verkehrswende. OB Philipp („eine gute Initiative“) würde gern, wie er sagte, die Forderungen „an die Realitäten anpassen“. Sprich: an den Autoverkehr. Sein Dilemma: Er monierte gestern „eine grundsätzliche Systemveränderung“ und fürchtet gleichzeitig Wählerstimmen bei der Kommunalwahl 2020.

Der Radentscheid Aachen ist aus vielerlei Gründen so erfolgreich. Vor dem Kampagnenstart im Mai wurde ein Jahr lang die Lage analysiert und vor allem festgestellt, dass es nicht nur gilt, die ohnehin überzeugten Pedaleure anzusprechen, sondern die Zigtausende, die gerne aufsatteln würden, sich aber auf Aachens grotesken Radwegen nicht trauen. Man setzte nur am Rande auf die Klimathematik und ganz explizit auf Sicherheit, auch für Kinder. Die stringente Logik: sicherere Wege, mehr Radler, weniger Autoverkehr, mehr Sicherheit, weniger Krach und Gestank. Nutzen also für alle.

Unterschriftensammeln in der Moschee und an der Uni

Gut hundert Leute schafften es, fast 400 Sammelstellen in der Viertelmillionenstadt einzurichten, darunter bei großen Firmen, an der Hochschule, in den Krankenhäusern oder in der neuen städtischen Großmoschee. 60 Testimonials mit tollen Argumenten und spritzigen Statements befeuerten das Radbegehren – von Großkopferten aus der Stadtgesellschaft und auswärtigen Prominenten wie Schwimmolympiasiegerin Rica Reinisch, Wettermann Sven Plöger, Berlins Basketballidol Henning Harnisch oder Jörg Schmadtke, Sportvorstand bei Fußball-Bundesligist VfL Wolfsburg und früher bei Aachens Alemannia. Didi Jünemann, Mitgründer der Kölner Stunksitzung, gab für einen Kölner ein geradezu unglaubliches Statement ab: Jetzt könnt ihr kleinen Aachener uns mal zeigen, wie das geht. Auch Köln ist radfahrlich Dritte Welt.

Vor allem aber gab es im Radentscheid-Team dutzende Leute, die unermütlich Konzerte, Bürgerfeste auch in Vororten und Uni-Events nach unterschriftswilligen Mitmenschen abklapperten. Von der Mastersammlerin Anne hieß es: „Die kriegt sie alle“. Nur einen nicht: OB Marcel Philipp, der als erster Bürger der Stadt als Letzter hätte unterschreiben können. Für ihn hatte das Radteam gestern sogar eine persönliche Unterschriftenliste vorausgefüllt. Philipp verweigerte sein Autogramm. Im Vorfeld hatte er den Radentscheid polarisierend genannt.

Bisher hatte München mit 160.000 Unterschriften (17,6 Prozent) am meisten gesammelt. Dort hat der Stadtrat auch schon zugestimmt, ebenso wie in Berlin, wo in dreieinhalb Wochen 105.000 Unterschriften zusammenkamen. Erfolgreich waren auch Bamberg und Darmstadt, hier gibt es noch juristisches Tauziehen. Derzeit wird unter anderem in Bielefeld, Hamburg und Regensburg für eine innerstädtische Verkehrswende gesammelt.

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