Erfolgreiche Deutsche Zehnkämpfer: Warum sie in die USA ziehen
Der WM-Mitfavorit im Zehnkampf, Leo Neugebauer, hat sich in einem College eingeschrieben. Er ist nicht der einzige, der nicht in Deutschland bleibt.
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Es war im Juni, mitten in der Nacht in Deutschland, als die Sensation perfekt war: Leo Neugebauer brach mit 8.836 Punkten den 39 Jahre alten deutschen Rekord von Zehnkampflegende Jürgen Hingsen und stellte damit sogar Welt- und Europameister Niklas Kaul in den Schatten.
Bisher war Neugebauer nur eingefleischten Leichtathletikfans ein Begriff, denn der 23-Jährige lebt und studiert in den USA. Mit seiner neuen Bestmarke gehört er nun aber plötzlich zu den großen Titelfavoriten bei den derzeit stattfindenden Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Budapest – und am Freitag muss Neugebauer ran, der Wettkampf der so vielseitigen Athleten beginnt.
Bereits vor vier Jahren zog es Neugebauer in die USA. Dort studiert er dank eines Sportstipendiums an der University of Texas, eine der Leichtathletikhochburgen Amerikas. Im Rahmen der US-College-Meisterschaften überbot Neugebauer den alten Hingsen-Rekord um 4 Punkte. Was auffällt: Der 23-Jährige ist nicht der einzige deutsche Zehnkämpfer, den es dorthin verschlagen hat.
Neben Alexander Jung und Paul Kallenberg gibt es mit Till Steinforth sowie Félix Wolter weitere Top-Zehnkämpfer, die weg aus Deutschland an US-Universitäten gegangen sind. Mit Erfolg, denn sowohl Steinforth als auch Wolter übertrafen in dieser Saison erstmals die 8.000-Punkte-Marke.
Der Gang in die USA
Vor allem Wolter machte zuletzt auf sich aufmerksam, als er Mitte August beim Thorpe Cup, einem Länderkampf zwischen Deutschland und den USA, seine Bestleistung auf 8.299 Punkte hochschraubte. Für die Teilnahme an der WM reicht es noch nicht, aber er sei auf dem besten Weg zur Olympia-Norm für Paris, so Wolter im Gespräch mit der taz.
2020 entschied sich der heute 25-jährige Wolter für den Gang in die USA; an der University of Pittsburgh machte er einen Master in Computer Science, ab dem kommenden Semester ist er dort für seinen Doktor eingeschrieben. „Ich brauchte eine neue Umgebung. Zu der Zeit war ich schon sieben Jahre im Sport. Ich kam in ein Alter, wo man sich entscheiden musste, ob man jetzt alles auf den Sport setzen oder ins Berufsleben eintreten will“, erzählt Wolter.
Die bessere Vereinbarkeit von Sport und Studium, dazu ein Jahr ohne Verletzungen führten zum Leistungssprung. Denn sein Alltag in Deutschland, als er noch in München studierte, ließ keine Pausen zu. Damals fing der Tag um 6 Uhr morgens an und endete erst gegen 22 Uhr, insbesondere die langen Wege machten ihm zu schaffen.
Besseres Zeitmanagement
„Am College wohne ich nur fünf Minuten von der Halle entfernt, sodass ich im Vergleich drei Stunden am Tag mehr Zeit habe, um mich zu regenerieren oder Hausaufgaben zu machen“, so Wolter. Das Training sei dort in den Uni-Alltag eingegliedert, wodurch es leichter sei, das Akademische mit dem Sportlichen zu verbinden. Um das Finanzielle hätte er sich aufgrund seines Stipendiums keine Gedanken machen müssen; die Lebenskosten seien gedeckt.
Dass nun vermehrt deutsche Zehnkämpfer in die USA gehen, sei kein Zufall, so Wolter. Zum einen würden immer mehr Athlet:innen auf die guten Bedingungen, die das College-System bietet, aufmerksam. Zum anderen sei es im Mehrkampf noch relativ einfach, als Ausländer ein Stipendium zu ergattern. Auch dank der ausländischen Studierenden steige das Niveau der College-Meisterschaften jedoch jedes Jahr weiter an.
Damals habe Wolter auch den Deutschen Leichtathletik-Verband um Rat gebeten, dieser habe ihm aber von dem Schritt in die USA abgeraten. Die Sorge, dass die Strapazen des College-Systems Athlet:innen auslaugen und diese dann frühzeitig mit ihrem Sport aufhören, sei groß beim Verband, berichtet Wolter. Tatsächlich betrachtet DLV-Cheftrainerin Annett Stein das Ganze kritisch.
Sport ist in der US-Gesellschaft verankerkt
„Die Leichtathletiksaison im College ist lang und kräftezehrend. Außerdem ist sie nicht auf die Performance bei Welt- und Europameisterschaften oder Olympia ausgelegt. Jeder Athlet oder Athletin sollte selbst über seinen Weg entscheiden. Wir sehen zwar die Chancen, aber auch die Risiken“, sagt Stein der taz.
Nach drei Jahren in den USA hat Wolter mittlerweile eine andere Sicht auf die Dinge. „Wenn man zurückkehrt, erkennt man erst einmal, welche gute Bedingungen man drüben hatte. Vielleicht hören deshalb einige Athlet:innen nach ihrer College-Zeit auf“, sagt er leicht sarkastisch. Natürlich würde sich Wolter das US-System auch in Deutschland wünschen, das sei aber sehr unwahrscheinlich. „Das funktioniert in den USA nur so gut, weil dort der Sport tief in der Gesellschaft verankert ist. Und davon bewegen wir uns hierzulande ja eher weg.“ Wolter wünscht sich eine größere Unterstützung durch den DLV.
Was Leo Neugebauer angeht, traut er ihm einiges bei der WM zu: „Leo ist mein Favorit.“
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