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Erfahrungen aus SchwedenFlüsterbremsen bremsen nicht richtig

Sie machen laute Güterzüge leiser, verursachen im Winter aber ernsthafte Sicherheitsprobleme. Über das Versagen der Flüsterbremsen im Schneegestöber.

Psssst … Foto: dpa

Stockholm taz | Anfang Februar, 2 Grad minus, Schneetreiben. Einige Zeit nach der Abfahrt im nordschwedischen Boden bemerkt der Lokführer, dass die Bremsen seines Güterzugs nicht richtig funktionieren. Er fährt vorsichtig weiter, doch die Bremswirkung lässt weiter nach. Im Bahnhof von Haparanda wird der Zug kontrolliert. Zwei seiner acht Waggons – schwer mit Gefahrengut beladen – besitzen eine neue „K-Sohle“, eine „Flüsterbremse“. Ihre Bremsklötze bestehen aus elastischen Verbundwerkstoffmaterialien, nicht aus herkömmlichen Grauguss-Bremssohlen.

Die Kontrolle ergibt, dass die Bremsen mit den Komposit-Sohlen durch eine Schnee- und Eisschicht blockiert werden. Der Zug kann nur wegen der Grauguss-Bremsen an den übrigen sechs Waggons bremsen. Sie sind eis- und schneefrei und halten den Zug an – mit deutlich längerem Bremsweg.

Der Vorfall ist einer von mehreren, den die schwedische Transportbehörde „Trafikverket“ nun in einer Sicherheitswarnung der Europäischen Eisenbahnagentur gemeldet hat. Das Fazit: Unter winterlichen Witterungsverhältnissen könne es mit Zügen, die Waggons mit Verbundwerkstoff-Bremsklötzen – Typ C810 – mitführten, ernste sicherheitsrelevante Probleme geben. Bei ausschließlich aus Waggons mit Flüsterbremsen bestehenden Zügen sei in mindestens einem Fall sogar „keinerlei Bremswirkung aufgetreten“. Ähnliche Zwischenfälle wurden aus Finnland berichtet. Die obligatorische Ausstattung aller Züge mit Flüsterbremsen sieht die EU-Kommission als eine Möglichkeit an, die europäische Lärmschutzrichtlinie von 2002 zu verschärfen und den Lärm durch Bahnverkehr zu mindern. In Deutschland dürfen ab 2020 nur noch Waggons mit Flüsterbremsen fahren.

Beim Einsatz von Komposit-Materialien bleiben die Laufflächen der Räder und damit auch der Schienen glatter als bei Waggons mit Grauguss-Klötzen. Das verringert das Rollgeräusch um bis zu 10 Dezibel, was das menschliche Ohr als Halbierung wahrnimmt. Aber zwischen Rad und Grauguss-Klötzen entsteht beim Bremsen Wärme – und sie verhindert die Eisbildung. Bei den Verbundwerkstoffen sei dieser Effekt stark vermindert, erläutert Ulf Olofsson, Professor für Reibungslehre an der TU Stockholm.

In Deutschland dürfen ab 2020 nur noch Waggons mit Flüsterbremsen fahren

Zudem entstehe hier zwischen Bremsklotz und Rad eine glatt polierte Oberfläche, die bei Schnee und Eis zu einer Art Aquaplaning führe: „Die sichere Bremswirkung fällt weg“, so Olofsson. Überraschend sei das nicht. Nach Versuchen in der Klimakammer habe er schon vor drei Jahren einen Bericht dazu veröffentlicht. Ausreichende Tests der Komposit-Bremsklötze bei Winterwetter hätten offenbar nicht stattgefunden.

Solange es keine sicheren Bremsen für nordisches Klima gebe, müssten die EU und Länder wie Deutschland die Verpflichtung zum Einbau von „Flüsterbremsen“ verschieben, fordert Gustaf Engstrand vom Verband der schwedischen Bahnbranche: „Am besten auf eine Zeit nach 2030.“

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6 Kommentare

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  • GÄHN - und schickt den Ulf in Rente!

     

    Es gibt längst Regelwerk dazu: https://uic.org/IMG/pdf/rili_k_9_ausgabe2017_de.pdf

  • Wird die K-Sohlen-Bremse nicht schon seit vielen Jahren in grossem Umfang in der Schweiz eingesetzt? Dort sind ja in den Alpengebieten die Winter auch recht hart. Gibt es da bisher keine derartigen Erfahrungswerte?

  • Das Thema ist bei den Einzelnen EVU´s seit längerer Zeit bekannt. Es gibt zahlreiche Betriebliche Weisungen, dass z.B. bei Fahrt auf ein Haltzeigendes Signal der Zug mit Vollbremsung anzuhalten ist, oder eine stärkere Betriebsbremsung einzuleiten ist, als es üblich wäre. Dass die Bremsen bei mehreren Betriebsbremsungen übel nach Kunststoff stinken und das Gleisbett von Kunststoffpartikeln dieser Bremse überzogen ist stört nicht. Da wird einem schon mulmig im Bauch, wenn man mit einem Ganzzug ausgerüstet mit dieser Bremse bei schlüpfriger Schiene auf ein Vorsignal trifft welches in der Kurve steht, durch Büsche eingewachsen ist und Halt ankündigt. Schaffst du es bis zum Hauptsignal zu stehen oder nicht. Gleich die Schnellbremsung oder doch NUR die Vollbremsung? Und vorne kreuzt der Personenzug. Hauptsache schön leise…

  • Tja, so ist das nun einmal mit den Werkstoffen. Die Bremsklötze aus Grauguss leben ja davon, dass es einen unregelmäßigen Abrieb gibt. Das Oberflächengefüge verändert sich, weil der Zementit (Fe3C) eine höhere Härte als das Eisen besitzt. Das unangenehme Quietschen beim Bremsen entsteht durch diese Oberfläche, wobei die Klötze ins Schwingen geraten und dadurch diese hohen Töne hervorrufen. Es gab dazu schon vor fast 20 Jahren Forschungen an der Twente-Universiteit in Enschede. Abhilfe können nur völlig neue Konstruktionen schaffen, die in erster Linie die Schwingungen unterdrücken. Damit ist zumindest bei den Bremsgeräuschen etwas zu vermindern. Allerdings setzen -10 dB Leistungsminderung die Leistung auf ein 1/10 herab. Die Halbierung ist lediglich gefühlt. Doch in den Naturwissenschaften zählen bisher immer noch Fakten.

     

    Dagegen wurde nicht berücksichtigt der Anteil an Feinstaub, der durch den Abrieb der Verbundbremsklötze hervorgerufen wird. Das ist insbesondere in Bahnhofsbereichen interessant. Wenn kinetische Energie umgewandelt wird, so kann dabei Wärme frei werden oder durch spanendes Abheben mechanische Energie Partikel freisetzen.

    • @achterhoeker:

      wie wärs zum Beispiel mit Scheibenbremsen?

      zusätzlich noch Wirbelstrombremsen wie beim ICE - die sind absolut Geräuschfrei weil kontaktlos.

      Man könnte auch an den Achsen E-Maschinen verbauen und die generatorische Leistung ins Netz zurück speisen...

       

      Alles bessere Lösungen als die Bremsklötze von vor 150 Jahren...

  • nicht das es nicht wesentlich leistungsfähigere und leisere Bremsen gäbe... Sagen wir es doch wie es ist: die sind den Betreibern schlicht zu teuer!