Erdoğans Vermittlerrolle im Ukrainekrieg: Wieder Staatsmann
Er schwankt zwischen Nato und Putin und gilt deshalb plötzlich als ehrlicher Makler: Der türkische Präsident Erdoğan vermittelt im Ukrainekrieg.
E s ist noch nicht lange her, da war die Türkei von Präsident Recep Tayyip Erdoğan international fast völlig isoliert. Am Mittelmeer hatten sich im Konflikt um Schürfrechte nach Öl und Gas, angeführt von Griechenland, fast alle Anrainerstaaten gegen die Türkei zusammengeschlossen. Erdoğans Drohungen gegen Griechenland hatten ihn innerhalb der Europäischen Kommission vollends zum Paria werden lassen und seine jahrelange Schaukelpolitik zwischen den USA und Russland, die unter Donald Trump noch einigermaßen funktioniert hatte, drohte unter seinem Amtsnachfolger Joe Biden in einem De-facto-Ausstieg der Türkei aus der Nato zu enden.
Erdoğan will partout nicht auf die russische S-400-Raketenabwehr verzichten – nicht zuletzt, weil er die CIA nach wie vor verdächtigt, an dem Putschversuch in der Türkei 2016 im Hintergrund beteiligt gewesen zu sein. Und Präsident Biden denkt gar nicht daran, in Syrien die Zusammenarbeit mit der kurdischen Miliz YPG einzustellen, die für Ankara ein eindeutiger Ableger der PKK ist. Als Putin dann vor vier Wochen seinen Angriffskrieg auf die Ukraine startete, schien für Erdoğan der Moment gekommen, sich entscheiden zu müssen: Kehrt er zurück in den Schoß der Nato oder führt er die Türkei endgültig in den russischen Orbit?
Doch Erdoğan ist immer dann besonders stark, wenn er mit dem Rücken zur Wand steht. Sein Credo ist: Dieser Krieg ist ein Unglück für alle und er muss möglichst schnell beendet werden. Dazu bot er von Beginn an seine Vermittlerdienste an. Anfangs noch belächelt, stellte sich im Verlauf der Kriegswochen heraus, dass gerade seine Uneindeutigkeit, sein Schwanken zwischen den Lagern, plötzlich zu einem entscheidenden Pluspunkt werden könnte. Er preist zwar wieder die Nato, will aber in Putin nach wie vor keinen Feind sehen und verweigert deshalb auch Sanktionen. Der Ukraine hat er schon vor Jahren Waffen verkauft, in Syrien aber weiterhin mit Russland kooperiert. Deshalb halten beide Seiten ihn jetzt für einen ehrlichen Makler.
Mit den Verhandlungen in Istanbul bereitet Erdoğan auch ein Treffen zwischen Putin und Selenski vor, mit dem der Krieg zumindest vorläufig beendet werden könnte. Plötzlich gilt der Mann am Bosporus auf dem internationalen Parkett wieder als Staatsmann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich