Erdoğans Feldzug gegen Kritiker: Rauswurf aus der AKP
Der deutsch-türkische Abgeordnete Mustafa Yeneroğlu wird aus der Regierungspartei ausgeschlossen. Ob er auf sein Mandat verzichtet, ist noch unklar.
Der Rausschmiss ist keine Überraschung. Wie Yeneroğlu während einer Pressekonferenz, die auch live im Internet zu verfolgen war, sagte, habe er schon länger erhebliche Bedenken gegen die Politik, die sein Parteivorsitzender Erdoğan verfolgt. Als intern geäußerte Kritik bei Erdoğan persönlich aber auch im Parteivorstand zunehmend auf taube Ohren stieß, machte Yeneroğlu seine Kritik gelegentlich auch öffentlich.
Er beklagte Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Verfolgung politischer Gegner insbesondere nach dem Putschversuch 2016 und kritisierte auch die de facto Abschaffung der Pressefreiheit sowie die Inhaftierung von Journalisten. Bei seiner PK sagte er, ihn hätten die „Beschädigung der demokratischen Institutionen und die Verletzungen der Menschenrechte“ durch die herrschende Politik gestört.
Bei einem Chef wie Erdoğan, für den absolute Loyalität das oberste Gebot ist, konnte das nicht lange gut gehen. Noch bevor Mustafa Yeneroğlu von selbst gehen konnte, hat ihm der Präsident nun den Stuhl vor die Tür gestellt. Ob er sein Mandat als Abgeordneter niederlegen wird, wie Erdoğan fordert, „habe ich noch nicht entschieden“, sagte Yeneroğlu. „Erst einmal werde ich meinen Parlamentssitz behalten“.
Reiner Akklamationsverein
Der Abgang von Yeneroğlu aus der AKP reiht sich ein in die früheren Parteiaustritte und Rauswürfe ehemals prominenter AKP Leute wie dem Ex- Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu, dem früheren Wirtschafts- und Finanzminister Ali Babacan und dem Ex-Präsidenten Abdullah Gül. Alle diese Ex- Führungsfiguren beklagen, dass Erdoğan die AKP zu einem reinen Akklamationsverein gemacht hat, der nur noch dazu da ist, für Mehrheiten im Parlament zu sorgen und sich nebenbei selbst zu bereichern.
Nach langem Zögern haben in diesem Sommer sowohl Ex-Premier Davutoğlu als auch Ex-Chefökonom Babacan angekündigt, sie wollten jeweils für sich eine neue konservative Partei gründen.
Eigentlich war schon für diesen Oktober mit mindestens einer Parteineugründung gerechnet worden, doch der Einmarsch in Nordsyrien hat auch die innenpolitische Agenda der Türkei erst einmal auf den Kopf gestellt. In Zeiten, in denen die Nation sich hinter ihren Präsidenten scharrt, wäre es unklug eine neue Partei, die sich von Erdoğan distanziert, aus der Taufe zu heben.
Doch die neuen Parteien werden kommen, davon geht auch Yeneroğlu aus. Öffentlich sagte Yeneroğlu zwar, er wisse noch nicht, ob er sich einer Partei von Davutoğlu oder Babacan anschließen werde. Doch Leute, die ihn gut kennen sagen, er sei mittlerweile mit Babacan im Gespräch.
Der Rausschmiss von Yeneroglu zeigt aber auch, dass Erdoğan den Aktivitäten seiner konservativen Kritiker nicht tatenlos zusehen will. Er ist dabei die eigenen Reihen zu schließen, um seine Widersacher umso härter angehen zu können. In der türkischen Opposition würde es niemanden wundern, wenn gegen einen oder beide Parteigründer demnächst Verfahren wegen angeblicher Unterstützung einer terroristischen Vereinigung eingeleitet würden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen