Blick aus dem Flugzeug auf Tobago Cays und Mayreau, St. Vincent und die Grenadinen

Ein wahrhaft paradiesischer Blick, doch die Idylle trügt: Tobago, vom Flugzeug aus gesehen Foto: M. DeFreitas/McPhoto/imago

Erderhitzung in der Karibik:Ein Klima des Wandels

Kann man mit lokalen Initiativen der globalen Klimakrise begegnen? Zu Besuch bei Bienenprojekten und Korallenkindergärten in Tobago und St. Lucia.

Ein Artikel von

Aus tobago, st. lucia, 3.3.2023, 13:28  Uhr

Die Welt scheint noch in Ordnung in Charlotteville, einem kleinen Fischerort an der Nordküste Tobagos. Nur wenige Schwimmzüge vom Strand entfernt trifft man bereits auf große Meeresschildkröten und bunte, vielgestaltige Korallen. Blaue Doktorfische, wie Zebras gestreifte Zackenbarsche, gepunktete Juwelenbarsche und schier in allen Farben leuchtende Kaiserfische tummeln sich an den Riffs.

Der erste Eindruck aber trügt: Diese bunte Meereswelt ist stark bedroht. Als „ein Leben zwischen Hammer und Amboss“ bezeichnet die Meeresbiologin Lanya Fanovich die Situation. Sie arbeitet bei E.R.I.C., dem Environmental Research Institute Charlotteville. Das Institut ist in einigen Bungalows nahe am Strand untergebracht, dort sammelt man Daten über Meeresfauna und -flora. Vor allem aber richtet E.R.I.C. ein großes Meeresschutzgebiet ein, das sechs Seemeilen, das sind etwa elf Kilometer, von der Küste bis ins Meer reicht. Die Forschung, die Fanovich am E.R.I.C betreibt, wird also direkt umgemünzt in Maßnahmen zum Klima­schutz.

Das ist auch nötig, betont Fanovich gegenüber taz: „Wir hatten in den Jahren 2005 und 2010 größere Ereignisse von Korallenbleichen. Auslöser waren erhöhte Meerestemperaturen“, erzählt die Wissenschaftlerin. Bei einer Korallenbleiche verlieren die Tiere zunächst ihre Farbe, weil sie farbgebende Algen abstoßen, mit denen sie eigentlich in Symbiose leben. Schließlich sterben die Korallen ab.

„In den Jahren danach erholten sich die Korallen zwar etwas. Aber wir verzeichnen immer wieder Korallenbleichen in kleinerem Ausmaß“, sagt Fanovich. Stressfaktor für die Korallen sei, dass die Perioden höherer Temperaturen zunähmen und zugleich die kühleren Perioden zur Erholung nicht mehr ausreichten. Geschädigte Riffe bedeuteten zugleich weniger Nahrung und Schutzmöglichkeiten für Fische und Krebstiere.

Ein weiteres Problem sind Hurrikans. Die kühlen zwar die Oberflächentemperatur der Meere herunter. „Durch die generell erhöhte Meerestemperatur können Hurrikans aber mehr Energie aufnehmen, stärker und intensiver werden. Für die Korallenriffe wächst dadurch die Gefahr physischer Zerstörung“, erklärt Fanovich den Zusammenhang.

Portrait von Lanya Fanovich

Lanya Fanovich: Meeresbiologin in Tobago Foto: Tom Mustroph

Diese Beobachtungen bestätigt Michael Taylor. Er ist Mitglied der Arbeitsgruppe Tropical Storm Modelling, die für die gesamte Karibikregion Daten sammelt und daraus Modellszenarien erstellt. „Unsere Daten sagen nicht unbedingt, dass die Häufigkeit von Hurrikans zunimmt. Aber sie werden definitiv intensiver und nehmen schneller an Intensität zu als früher“, erzählt Taylor der taz in seinem Büro an der University of the West Indies in Kingston, Jamaika. Das bedeutet auch, dass die Schäden selbst an den Rändern eines Hurrikans dramatischer werden.

Taylors Daten sagen noch etwas anderes aus: „Klimawandel führt zu größerer Unberechenbarkeit. Wir haben nicht mehr die klassische Regenzeit und Trockenheit“, erklärt der Wissenschaftler. „In Perioden der Trockenheit gibt es jetzt stärkere Regenfälle, in der Regenzeit bleiben in kurzen Zeiträumen die gewohnten Niederschläge aus.“ Das hat enorme Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Landwirte sind verunsichert, welches der richtige Zeitpunkt für Aussaat und Pflanzung ist, und auch, welche Pflanzensorten am besten für die veränderten Bedingungen geeignet sind.“

Das Bild von Hammer und Amboss, das Fanovich für die Korallen vor Tobago benutzt hatte – es beschreibt auch gut die Situation der Bevölkerung in der Region. Landwirtschaft und Fischfang sind beeinträchtigt. Erhöhte Meerestemperaturen führen zu anderen Wanderrouten von Fischen, manche Arten landen gar nicht mehr in den Netzen. Dazu kommen die Wirbelstürme.

Eine Taucherin nähert sich im tiefblauen Wasser einem Korallenriff, das von Fischen umschwärmt wird

Steigende Wassertemperaturen lassen Korallen erst erbleichen und dann sterben Foto: imagebroker/imago

Nun seien Hurrikans immer schon ein Phänomen in den Tropen gewesen, sie waren lange vor uns Menschen da, wie Giles Romulus trocken bemerkt. Romulus ist Projektkoordinator im Small Grants Program des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen, kurz UNDP. Romulus hat ein kleines Büro im Gebäude des Energieversorgers Carilec in Castries, der Hauptstadt von St. Lucia.

Er weiß, wovon er spricht, der Mann hat selbst viele Hurrikans erlebt. „Bei Hurrikan ‚Allen‘ im Jahr 1980 hätte ich beinahe mein Leben verloren“, erinnert er sich. „Ich ging damals noch zur Schule. Der Wind blies das Dach von unserem Schutzraum einfach weg.“ 18 Menschen starben damals auf St. Lucia. Das „große Problem“ mit den heutigen Hurrikans sei aber, sagt Romulus, „dass sie viel weniger berechenbar werden und auch immer stärker sind. Du weißt nicht, ob dein Haus danach noch steht“. Romulus sagt: „Wir zahlen für die Sünden, die wir in der Vergangenheit begangen haben.“

Bauen in Überschwemmungsgebieten gehört zu diesen Sünden. Begradigte Flussbetten, so dass die Fließgeschwindigkeit bei starken Regenfällen enorm ansteigt, ebenfalls. Und natürlich die globale Erwärmung, die all diese Probleme noch verschärft. „Ein Fluss mag an einem Tag noch ruhig, fast lethargisch wirken. Am nächsten Tag schwillt er aber zu einem brüllenden Monster an“, sagt Romulus.

In flächenmäßig größeren Ländern wie den USA gebe es zudem Raum für die Menschen, um auszuweichen. „Bei uns ist im Gefahrensfall die gesamte Insel betroffen. Du kannst nirgendwo Zuflucht finden, wenn das Hurrikangebiet 600 Quadratkilometer umfasst“, sagt Romulus. St. Lucias Oberfläche misst 617 Quadratkilometer – schon rein rechnerisch bleibt da nicht viel Platz für ­Rettung.

All das hat auf den karibischen Inseln zu einem Umdenken geführt. Nationale Resilienzprogramme wurden ins Leben gerufen. Die Insel Dominica will gar – als Folge des verheerenden Hurrikans „Maria“ im Jahr 2017 – die erste klimaresiliente Nation werden. Auch Romulus gehört zu den Machern. Mit vergleichsweise kleinem finanziellen Hebel – 50.000 Dollar beträgt gewöhnlich das Budget der Projekte – bewegt der gelernte Geograf viel. Unter den insgesamt 124 Projekten, die in den letzten zehn Jahren im Rahmen des Small Grants Program in St. Lucia finanziert wurden, befinden sich auch Imkerinitiativen.

„Bienen sind ein fantastischer Indikator für die Qualität der Umwelt. Als ich noch an der Universität arbeitete, war ein leitendes Prinzip bei unseren Feldforschungen, zu hören. Nimmt man ein ganzes Orchester aus Bienen, Mücken und Reptilien wahr, dann weiß man, dieser Wald ist in Ordnung“, sagt Romulus. „Hört man nichts, dann bedeutet das, die Pflanzen und Tiere sterben.“

Einmal sei eine Gruppe von Menschen mit Behinderung zu ihnen gekommen, sagt der Forscher. „Sie wollten etwas tun, um aus ihrer wirtschaftlichen Not herauszukommen. Sie wollten sich auf Bienen konzentrieren. Und weil bei uns, auch wegen der Umwelteinflüsse, die Bienenpopulationen rückläufig waren, haben wir das Projekt unterstützt“, erzählt Romulus. Er redet sich dabei in eine Begeisterung, die sein kleines Büro beinahe zum Explodieren zu bringen scheint.

Höhere Meeres­temperaturen lassen Hurrikans intensiver werden – die Zerstörung nimmt zu

Mittlerweile zählt der Honig des Iyanola Apiculture Collective aus St. Lucia zu den Bestsellern der nationalen Honigmesse und wird auch ins Ausland exportiert. Zudem ist ein ganzes Produkt­sorti­ment aus Bienenwachs für medizinische und kosmetische Anwendungen entstanden. In den Wäldern summt es wieder, Fauna und Flora sind diverser, zahlreiche Menschen fanden Arbeit.

„Bei einer Finanzierung durch unser Programm müssen drei Kriterien erfüllt werden. Eines ist Nachhaltigkeit: Werden dabei natürliche Ressourcen genutzt, ohne dass die Umwelt zerstört wird?“, erläutert Romulus. Das zweite Kriterium sei: Beseitigt es Armut? „Denn was nützt das beste Nachhaltigkeitsprojekt, wenn die Menschen weiter in Armut bleiben.“ Der dritte Aspekt sei die Aus- und Weiterbildung der Menschen.

Das mag alles klein klingen, ein Tropfen auf dem heißen Stein angesichts der immensen Herausforderungen durch den Klimawandel. Was können ein paar Bienenvölker auf einer kleinen Karibikinsel schon gegen den globalen Temperaturanstieg bewirken?

„Klimawandel ist ein globales Problem, das stimmt“, gibt Romulus zu. „Aber man muss ihm auch und gerade auf lokaler Ebene begegnen, mit den Menschen vor Ort. Man muss ihnen Möglichkeiten eröffnen. Und beim Tun verändern sie sich auch, gelangen zu anderen Einstellungen und anderem Verhalten“, ist er überzeugt.

Nicht mehr überzeugen muss Romulus den einstigen Fischer Karlis Noel. Der ist eine Art Daniel Düsentrieb, wenn es um lokale Lösungen für globale Probleme geht. Im Süden St. Lucias, in Laborie, hat er, auch dank Förderung des Small Grants Program, sein Labor InVictus eingerichtet. Eine Meerwasserentsalzungsanlage, die keine giftigen Rückstände ins Meer pumpt, hat er dort bereits gebaut. Die Anlage ist auf der Pazifikinsel Nauru in Betrieb.

Portrait von Giles Romulus

Giles Romulus: Helfer und Koordinator Foto: Tom Mustroph

Gegenwärtig arbeitet Noel am Magellan-Projekt, das ebenfalls über das UNDP-Probramm kofinanziert wird. „Ursprünglich wollte ich ja nur ein neues Ortungssystem für Fische entwickeln“, erzählt er lachend. „Wegen des Klimawandels werden die Fische auch bei uns weniger. Die Fischer müssen weiter hinaus fahren und verbrauchen mehr Treibstoff. Deshalb wollte ich etwas bauen, das auf dem Meer schwimmt – das man von Land aus kontrollieren kann und das Fische anlockt“, erklärt er.

Je mehr sich Noel aber in die Details vertiefte, desto komplexer wurde das Vorhaben. Noel, der sich über Onlinekurse an Universitäten im Selbststudium weiterbildete, experimentierte in seinem Behelfslabor mit Modellen für den Schwimmkörper. „In diesen Wassertanks habe ich früher Hummer gezüchtet. Jetzt ist das ein Strömungslabor, in dem ich Wellenbewegungen verschiedenster Stärke erzeugen kann“, erzählt er der taz, während wir durch sein Labor laufen.

Damit das System selbstständig navigieren kann, operierte Noel mit selbst lernenden künstlichen Intelligenzen, die Wellenbewegungen und Windstärken analysieren. „Daraus möchte ich ein Tsunamiwarnsystem entwickeln. Bisher ist es so, dass wir auf Daten angewiesen sind, die von anderen Inseln oder aus den USA zu uns kommen.“

Das könne „zu dramatischen Verzögerungen“ führen. Und weil ohnehin schon eine Menge Sensoren auf der mobilen Station verbaut werden sollen, hatte sich Noel schließlich überlegt, daraus gleich eine komplette Messstation zu machen. „Ich werde auf jeden Fall ein Sonargerät installieren, um Bodenscans vom Ozean zu machen. Wir können damit auch alle Lebewesen zwischen Meeresoberfläche und Meeresboden erfassen. Zudem werden wir einen Biomassesensor installieren, und ein Hydrophon für das Pfeifen der Wale.“

Messwerte für Wasser- und Lufttemperatur, Luftdruck und pH-Wert des Wassers will Noel ebenfalls automatisch erfassen und über Funk an die Basisstation in seinem Labor senden.

Denn die problematische Versauerung der Meere wirke sich vor allem auf Schalen- und Krustentiere aus, hat Meeresbiologin Fanovich aus Tobago beobachtet. Die Schalen von Muscheln und die Außenskelette von Krebsen würden dünner, weil das Wasser säurehaltiger wird. „Wir haben auch schon Verformungen festgestellt“, ergänzt sie.

Daten, wie sie das Magellan-Projekt bereitstellen könnte – den ersten Prototyp will Noel im Juni für sechs Monate zu Wasser lassen –, wären auch für ihre Forschungstätigkeit wichtig. „Ein großes Problem ist, dass in der Karibikregion zwar viele Daten erhoben werden, weil es viele Forschungsvorhaben gibt. Viel zu oft kommen diese Daten aber nicht der Gesellschaft vor Ort und auch nicht den lokalen Forschungsinstitutionen zugute“, kritisiert sie.

Fanovich ist Co-Autorin eines Beitrags, der im März 2022 im Fachmagazin The American Naturalist veröffentlicht wurde. Darin werden neokoloniale Praktiken des Wissenstransfers in der internationalen Wissenschaftscommunity anprangert.

Auch Michael Taylor von der University of the West Indies in Jamaika hält das für einen weiteren Aspekt der globalen Klima-Ungerechtigkeit. Deshalb initiiert er innerkaribische Forschungsverbünde, die Daten und Erkenntnisse innerhalb der Region teilen.

Fanovich selbst ist noch mehr als nur Beobachterin und Kritikerin. Ihr Arbeitsplatz befindet sich nicht nur am, sondern teilweise direkt im Meer. Sie ist zertifizierte Taucherin und prüft selbst immer wieder, in welchem Zustand die Korallen sind und welche Fischpopulationen sich gerade vor Ort befinden. Vor allem aber legt sie mithilfe ihrer Kol­le­g*in­nen und lokaler Freiwilliger aus der Tauchercommunity eine Art Korallenkindergarten in der Bucht vor dem Institut an.

Portrait von Karlis Noel

Karlis Noel: vom Fischer zum Datensammler Foto: Tom Mustroph

Korallenkindergärten sind geschützte Stellen, in denen Korallen sechs Monate an dort ausgebrachten Stangenkonstruktionen wachsen können. „Danach knipsen wir sie ab und bringen sie an gefährdeten Riffen an. Korallen haben die tolle Eigenschaft, sich nicht nur über die Abgabe von Spermien und Eiern fortpflanzen zu können, sondern auch über Teilung“, erklärt die Meeresbiologin. „Sie klonen sich selbst. Das nutzen wir aus“, erzählt sie. Gestänge für weitere Korallenvermehrungsanlagen befinden sich gleich neben ihrem Büro.

Die Korallen in der Man o’ War Bay vor Charlotteville und in der benachbarten Pirates Bay – der Name geht übrigens auf den Piraten Thomas Anstis zurück, der hier im April 1723 vom britischen Militär bei der Schiffsreparatur überrascht wurde – gelten unter Tau­che­r*in­nen und Schnorch­le­r*in­nen immer noch als lohnenswertes Ziel. Trotz Hurrikans und trotz den Herausforderungen des Klimawandels.

Viele der erhobenen Messdaten kommen den Menschen vor Ort nicht zu­gute. Wissenschaft ist oft neokolonial organisiert

Das liegt vor allem an der Arbeit von E.R.I.C. und seinen Partnerorganisationen für das Meeresschutzgebiet. Dazu gehören die lokalen Ini­tia­ti­ven North East Sea Turtles (NEST) aus Char­lotte­ville, die Speyside Eco Marine Park Rangers aus Speyside an der Südküste der Insel und der Gemeinderat von Parlatuvier, einem Fischerort an der Nordküste, der den nordwestlichen Endpunkt des Meeresschutzgebiets markiert.

Diese Kooperationen bedeuten freiwillige Hel­fe­r*in­nen für das Korallen-Biotop. Und sie tragen dazu bei, Meeresschutz in den Köpfen der Menschen vor Ort zu verankern, die vermeintlich andere Interessen haben. Das Meeresschutzgebiet werde nicht etwa gegen die Interessen der Fischer errichtet, sondern mit ihnen, betont Fanovich. Es handelt sich, um noch mal Romulus zu zitieren, um lokale Lösungen vor Ort – damit es beim Eindämmen globaler Problemlagen vorangeht.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.