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Erdbeben in AfghanistanTaliban melden mehr als 1.400 Tote

Nach dem schweren Beben im Osten Afghanistans behindern Taliban-Verbote die Rettungsarbeiten. Auch die gekürzte internationale Hilfe ist ein Problem.

Ein Militärhubschrauber im ostafghanischen Mazar Dara fliegt Verletzte aus Foto: Wahidullah Kakar/AP/dpa

Berlin taz | Während Rettungsteams und Einwohner im ostafghanischen Erdbebengebiet weiter fieberhaft nach Überlebenden suchen, steigt die Opferzahl wie befürchtet weiter an. Am Dienstagmittag gab der Sprecher des Taliban-Regimes, Sabihullah Mudschahed die letzten offiziellen Zahlen bekannt: 1.411 Tote, 3.124 Verletzte und 5.412 zerstörte Häuser.

Doch laut der Taliban-Provinzverwaltung von Nangarhar, der am zweitstärksten betroffenen Provinz, habe das Beben der Stärke 6,0 in der Nacht zu Montag allein dort 8.000 Häuser zerstört. Unter den Toten in der am meisten betroffenen Provinz Kunar sind afghanischen Medien zufolge auch zahlreiche Familien von Flüchtlingen, die erst kurz zuvor in Folge von Pakistans Massenabschiebungen von Af­gha­n*in­nen dorthin gekommen waren.

Da nach Erdrutschen viele Dörfer noch weiter unzugänglich sind, räumen die Einwohner dort teilweise immer noch mit bloßen Händen die Trümmer der aus Lehmziegeln, Beton- oder Felssteinen sowie oft mit schweren Holzbalken gebauten Häuser weg, um Verschüttete zu finden.

In Wadir, eines der am schwersten betroffenen Dörfer in Kunar, landen alle 15 Minuten von den USA erbeutete Taliban-Militärhubschrauber, laden Brot und Wasser für die Opfer aus und Tragen mit Schwerverletzten ein.

Afghanistan

Nach zwei Jahrzehnten Militäreinsatz der US-geführten Nato-Truppen gewann die islamistische Terrorgruppe der Taliban im August 2021 die Kontrolle im Land zurück. Die afghanische Bevölkerung leistet trotz Repressionen Widerstand.

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Rettungspersonal stark ausgedünnt

Mit der nationalen Behörde für Katastrophenschutz ANDMA und der Afghanischen Roter-Halbmond-Gesellschaft, die Mitglied in der weltweiten Roten-Kreuz-Föderation ist, verfügt das Taliban-Regime über professionelle Strukturen zum Umgang mit Naturkatastrophen. Beide wurden unter der Vorgängerregierung mit internationaler Unterstützung ausgebaut.

Allerdings dünnten die Flucht vieler Mitarbeitenden sowie das Taliban-Arbeitsverbot für Frauen in staatlichen Behörden und Nichtregierungsorganisationen außerhalb des Gesundheitsbereichs das Personal nach der Machtübernahme der Taliban im August 2021 stark aus.

Inzwischen baten die Taliban auch offiziell um internationale Hilfe. Doch überließen sie das mit Scharafat Saman Amarchel, dem Sprecher des Gesundheitsministeriums, einem vergleichsweise niedrigem Beamten. Inzwischen schickten die Vereinigten Arabischen Emirate ein Rettungsteam und humanitäre Hilfe.

Die Taliban baten inzwischen um internationale Hilfe – durch einen niedrigen Beamten

Nothilfe kündigten auch die Schweiz und Großbritannien an. Indien lieferte 1.000 Familienzelte und 15 Tonnen Nahrungsmittel. Weitere Hilfsgüter sollen folgen. Auch deutsche Organisationen wie die Caritas, Help und der Afghanische Frauenverein aus Hamburg leisten Soforthilfe und benötigen Spenden. Im Gegensatz dazu bekundete das Büro für Süd- und Zentralasien des US-Außenministeriums in sozialen Medien „dem afghanischen Volk sein tief empfundenes Beileid“, kündigte aber bisher laut CNN keine Soforthilfe an.

Internationale Hilfen wurden zurückgefahren

Im Frühjahr hatte die US-Regierung unter Donald Trump Hilfsverträge im Wert von mehr als 1,7 Milliarden US-Dollar gestoppt, mit denen Dutzende Programme in Afghanistan unterstützt wurden. Die humanitäre Hilfe für das Land schrumpfte von 3,8 Milliarden Dollar im Jahr 2022 auf 767 Millionen Dollar im Jahr 2025. Auch Berlin, London und Paris kürzten Hilfen.

Die Auswirkungen sind gravierend. Laut Weltgesundheitsorganisation mussten allein in Nangarhar und Kunar in diesem Jahr 44 Gesundheitskliniken, die mehr als 360.000 Menschen versorgten, wegen Finanzierungsmangels schließen. Der humanitäre Flugdienst des Welternährungsprogramms, der einst Hubschrauber zur Verfügung stellte, um medizinische Teams und Hilfsgüter in unzugängliche Gebiete zu transportieren, musste Anfang dieses Jahres aufgrund von Budgetkürzungen eingestellt werden.

Kate Carey, Vizechefin des humanitären UNO-Koordinierungsbüros in Afghanistan sagte: „Die Zahl der Menschen, die wir vor Ort haben, ist viel geringer als noch vor sechs Monaten.“ Doch Carey betonte, dass die UNO bei den Taliban durchgesetzt hat, dass Afghaninnen Teil ihrer Krisenteams im Bebengebiet sind, da nur über sie weibliche Opfer erreicht werden können. Ähnlich ist es bei den meisten internationalen NGOs. Zudem gibt es nach wie vor afghanische Frauenorganisationen, die bereits nach dem Erdbeben 2023 in Herat Hilfe mobilisierten und auch vor Ort leisteten.

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